Matthias BartkeSPD - Sanktionen bei Hartz IV und Sozialhilfe
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eines vorweg: Die überwältigende Mehrheit der Hartz-IV-Empfänger ist gesetzestreu. Es gibt unzählige Gründe, warum man in den Hartz-IV-Bezug gelangen kann: Verwerfungen am Arbeitsmarkt, Betriebsschließungen und persönliche Schicksalsschläge. Nur einen Grund gibt es fast nie: Unlust oder Faulheit.
(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)
Es ist wichtig, dies zu Beginn zu betonen; denn man hat in der Debatte über Leistungsmissbrauch zuweilen den Eindruck, dass ein signifikanter Anteil der Hartz-IV- Empfänger Leistungsmissbrauch betreibt. Ich sage Ihnen: Das stimmt nicht; das ist nicht zutreffend.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)
Von Sanktionen sind nach Angaben des IAB im Laufe der Zeit gerade einmal 5 Prozent der Leistungsbezieher betroffen, und die ganz häufig nur wegen Meldeversäumnissen; das wurde eben schon gesagt.
(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist dann aber doch trotzdem ein Problem!)
Dennoch sind Sanktionen im System des SGB II unerlässlich. Grundsätzlich muss man sich vor Augen führen, dass es sich bei Hartz-IV-Leistungen um Steuergelder handelt, die von anderen Menschen hart erarbeitet worden sind. Gerade die wenig verdienenden Menschen sind es, die in der Regel am wenigsten Verständnis dafür haben, wenn Menschen nicht alles daransetzen, aus dem Leistungsbezug wieder herauszukommen.
Der richtige Grundgedanke, der hinter dem Sanktionskonzept steht, ist der Ansatz der fordernden Aktivierung. Damit soll sichergestellt werden, dass die Leistungsberechtigten mit den Jobcentern kooperieren, und es sollen dadurch Bewerbungsaktivitäten und die Annahme von angebotenen Stellen gewährleistet werden. Wenn man arbeitslos und bedürftig ist und kein ALG I erhält, bekommt man ALG II. Man muss dafür nicht arbeiten; das liegt in der Natur der Sache. Aber man muss schon die Auflagen des Jobcenters erfüllen. Das ist die Gegenleistung für staatliche Unterstützung, und das ist, mit Verlaub, auch richtig.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war aber nicht der Grundsatz!)
Die Linke fordert in ihrem vorliegenden Antrag, bei Fehlverhalten von Leistungsbeziehern komplett auf Sanktionen zu verzichten. Das, meine Damen und Herren, ist ein weitgehender Schritt in Richtung bedingungsloses Grundeinkommen:
(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! – Zurufe von der LINKEN)
Man muss keine Leistung erbringen, man muss keine Auflagen erfüllen, und man muss nicht arbeiten, aber Geld vom Staat bekommt man trotzdem. Meine Damen und Herren, das geht nicht.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Die Große Koalition ist ohne Wenn und Aber gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen, und ich war bisher davon ausgegangen, dass es auch bei der Linken differenziert betrachtet wird. In Ihrem Wahlprogramm fordern Sie noch eine Enquete-Kommission dazu;
(Katja Kipping [DIE LINKE]: Die haben wir immer gefordert!)
nun fordern Sie aber die völlige Abschaffung der Sanktionen im SGB II. Damit setzen Sie einen Kurs fort, den Sie mit der ziemlich populistischen Kampagne von Inge Hannemann zum bedingungslosen Grundeinkommen begonnen haben.
(Zurufe von der LINKEN)
Ich kenne Frau Hannemann; sie kommt aus meinem Wahlkreis. Ich sage Ihnen: Sie ist zweifellos eine kluge Frau, die mit ihrer Kritik in vielen Einzelpunkten recht hat; nur sind die Handlungskonsequenzen – so ist das häufig bei Kritikern – nicht zu Ende gedacht.
Meine Damen und Herren von der Linken, in Ihrem Antrag fordern Sie die Totalabschaffung aller Sanktionen im SGB II. Damit hat sich bei Ihnen in dieser zentralen Frage der populistische Flügel durchgesetzt. Ich bedaure das sehr. Wir werden Ihren Antrag ablehnen. Das heißt im Umkehrschluss aber keineswegs, dass wir das Sanktionssystem in seiner jetzigen Form gutheißen.
(Katja Kipping [DIE LINKE]: Da sind wir ja mal gespannt!)
Es ist nicht gut; es ist zu kompliziert, es ist intransparent, und es wird von vielen Betroffenen als Schikane empfunden.
(Zuruf von der LINKEN: Das ist wohl wahr!)
Besonders das verschärfte Sanktionssystem gegen Jugendliche geht gar nicht. Verstöße von Jugendlichen gegen Auflagen der Jobcenter werden stärker geahndet als die von Erwachsenen. Das ist eine Verdrehung der tatsächlichen Notwendigkeiten.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Eine Streichung sämtlicher ALG-II-Leistungen inklusive aller KdU-Leistungen ist bei Jugendlichen deutlich schneller möglich als bei Erwachsenen. Das setzt häufig eine Abwärts- und Verschuldungsspirale in Gang, die niemand wollen kann. Sogar das IAB hat kürzlich festgestellt, dass das zutiefst problematisch ist. Selbst im Strafrecht werden Jugendliche milder behandelt als Erwachsene. Dabei stehen pädagogische Erwägungen im Vordergrund. Solche Erwägungen müssen auch im SGB II stärker zum Tragen kommen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Das vorhin schon von Ihnen zitierte Institut für Sozial- und Gesellschaftspolitik hat dazu festgestellt: Je höher die Sanktionen bei Jugendlichen, desto stärker schwindet ihr Vertrauen in die Berater. Das ist ja auch kein Wunder.
Das Sanktionssystem des SGB II, insbesondere das für Jugendliche, gehört auf den Prüfstand. Das hat die Große Koalition daher auch in ihrem Koalitionsvertrag festgeschrieben. Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Rechtsvereinfachung im SGB II“ hat sich dieses Auftrags angenommen. Vorgestern haben wir im Ausschuss erfahren, dass sich die Arbeitsgruppe auf der Zielgeraden befindet. Wir werden also in Kürze mit Ergebnissen rechnen können. Es ist geplant, dass die notwendigen SGB-II-Änderungen spätestens im kommenden Frühjahr im Bundesgesetzblatt stehen werden. Das Sanktionssystem für Erwachsene wird vereinfacht und transparenter, und das Sanktionssystem für Jugendliche wird völlig geändert. Ich sage: Je schneller das passiert, desto besser.
(Katja Kipping [DIE LINKE]: Na, wir werden nachfragen!)
Meine Damen und Herren, ich komme aus Hamburg. Wir haben dort das System der Jugendberufsagenturen entwickelt. Ein Bestandteil dieses Systems ist, dass wir immer wieder auf Jugendliche zugehen. Wir sorgen so dafür, dass keiner von ihnen verloren geht. Das, was die Hamburger Jugendberufsagenturen machen, hat der Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz einmal fürsorgliche Belagerung genannt. Ich sage Ihnen: Eine solche fürsorgliche Belagerung ist viel wirksamer als Sanktionen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Es ist daher gut, dass die Große Koalition die bundesweite Einführung der Hamburger Jugendberufsagenturen im Koalitionsvertrag festgeschrieben hat.
Unterm Strich lässt sich festhalten:
Erstens. Die ganz überwältigende Mehrheit der Hartz- IV-Empfänger verhält sich rechtskonform.
Zweitens. Das von der Linken geforderte weitgehend bedingungslose Grundeinkommen ist ein gesellschaftlicher und politischer Irrweg.
(Beifall der Abg. Daniela Kolbe [SPD] – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, die fordern das gar nicht!)
Drittens. Das gesamte Sanktionsregularium im SGB II bedarf dringend der Überarbeitung, insbesondere hinsichtlich der unter 25-Jährigen.
Viertens. Die GroKo ist dabei. Wir liefern.
Ich danke Ihnen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Herr Kollege Dr. Bartke, vielen Dank. – Es spricht jetzt die Kollegin Brigitte Pothmer, Bündnis 90/Die Grünen.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3492395 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 40 |
Tagesordnungspunkt | Sanktionen bei Hartz IV und Sozialhilfe |