06.06.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 40 / Tagesordnungspunkt 27

Daniela KolbeSPD - Sanktionen bei Hartz IV und Sozialhilfe

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Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, über Sanktionen zu sprechen, ist mehr als sinnvoll. Immerhin sprechen wir auch über einen zum Teil sehr massiven Eingriff in das Leben von Menschen. Deshalb lohnt die Reflexion darüber, auch als Gesetzgeber, ob wir mit dem Sanktionsregime, das wir installiert haben, die Ziele wirklich in dem Maße erreichen, wie wir uns das vorstellen.

Auch deshalb gibt es derzeit eine Bund-Länder-Kommission mit dem Titel – ob er eingängig ist, darüber kann man sich streiten – „Rechtsvereinfachung im SGB II“. Diese Kommission beschäftigt sich auch mit dem Thema Sanktionen. Wir haben am Mittwoch im Ausschuss für Arbeit und Soziales einen ersten Zwischenbericht gehört, der sich aus meiner Sicht sehr positiv anlässt. Allerdings wird dort nicht die Abschaffung aller Sanktionen gefordert oder vorgeschlagen, und das ist auch gut so.

Sehr wohl aber deutet sich an, dass die verschärften Sanktionen gegenüber U25, also unter 25-Jährigen, kritisch gesehen werden. Das sehen wir als Sozialdemokraten ähnlich. Es gibt aus meiner Sicht keine wirklich guten Gründe, warum unter 25-Jährige härter bestraft werden sollten als Ältere. Ich finde auch, dass dies Sanktionen als erzieherische Maßnahme ein ganzes Stück überbewertet. Ich bezweifle, dass möglichst scharfe Sanktionen dazu führen, dass sich bei jungen Erwachsenen Verhaltensänderungen einstellen oder dadurch gar eine Nachsozialisation möglich wird. Scharfe Sanktionen sind dann womöglich gerade eine Maßnahme, die Türen nicht öffnet, sondern zuschlägt.

Die verschärften Sanktionen haben zudem oft krasse Auswirkungen auf das reale Leben der Betroffenen. Sie stehen häufig von einem Tag auf den anderen ohne Ressourcen für alltägliche Dinge da. Die verschärften Sanktionen widersprechen auch dem gesellschaftlich eigentlich weitverbreiteten Ansatz, dass Menschen am Anfang ihrer Berufskarriere eher eine zweite Chance verdient haben, als sofort abgestraft zu werden. Deswegen finde ich den Ansatz der Bundesregierung richtig, einen anderen Weg zu wählen, nämlich diese jungen Menschen gezielt zu fördern und eine viel stärkere Betreuung durch die Behörden zu organisieren.

Wir orientieren uns dabei an den sehr guten Erfahrungen, die unter SPD-Führung in Hamburg gemacht wurden, und an den dort sehr erfolgreich erprobten Jugendberufsagenturen. Dort gibt es eine enge Zusammenarbeit zwischen allen Behörden, die damit zu tun haben: zwischen Jugendämtern, Schulen, Jobcentern, Arbeitsagenturen und vielen anderen mehr. Ziel ist ganz klar: Niemand soll durchs Netz fallen, weder nach der Schulzeit noch dann, wenn es mit der Ausbildung schiefgegangen ist und man sie abgebrochen hat, noch nach Beendigung einer Ausbildung. Niemand soll also durchs Netz fallen. Das ist genau der richtige Ansatz.

(Beifall bei der SPD)

Im besten Fall führt das dazu, dass die jungen Menschen die Behörden eben nicht mehr als Gegner, wie es manchmal mitunter der Fall ist, sondern als Partner wahrnehmen. Uns als Sozialdemokraten erscheint es zielführender, genau diesen Zustand zu erreichen.

Sanktionen sind allerdings grundsätzlich notwendig. Wir lehnen die radikale Abschaffung aller Sanktionen ab. Oft wird in diesem Zusammenhang von den Gegnern der Sanktionen eine Studie aus NRW ins Feld geführt – die ich übrigens sehr interessant finde –, die auch im Antrag erwähnt ist. Man sucht sich aus Studien ja immer gerne das heraus, was passt. Es stehen aber auch einige andere Aspekte darin, zum Beispiel, dass die Tatsache, dass Leistungen des Staates an bestimmte Pflichten gebunden sind, auch bei den Betroffenen auf Zustimmung stößt und dass der überwiegende Teil der Betroffenen weiß, warum eine Sanktion gegen ihn oder sie ergangen ist. 80 Prozent der Betroffenen haben zudem auch die Rechtsschutzbelehrung verstanden. Sie wissen also, welche Folgen ihr Handeln hat. Am wichtigsten finde ich: Es gibt ein grundsätzliches Verständnis der Betroffenen dafür, dass es Sanktionen gibt und warum es sie gibt.

Wir halten Sanktionen als grundsätzlich vorhandenes Mittel für notwendig, und daran werden wir als SPD auch weiter festhalten. Trotzdem sagen wir ganz klar: Veränderungen in diesem Bereich sind notwendig. Gerade wenn es um den KdU-Bereich – Wohnung, Miete, Heizung – geht, sind Sanktionen oft kontraproduktiv. Wenn jemand erst einmal obdachlos geworden ist, sind viel größere Maßnahmen und Ressourcen notwendig.

Ganz grundsätzlich halte ich noch einmal fest: Zielstellung ist, dass die Jobcenter als Partner gesehen werden. Dazu gehört, dass die Jobcenter die Kundinnen und Kunden als individuelle Personen wahrnehmen können und wahrnehmen. Das wird zunehmend schwieriger.

Ich will noch einen Aspekt einführen, der noch gar nicht richtig zur Sprache gekommen ist. Wir erleben auch eine Veränderung bei den Arbeitsuchenden. Ein immer größerer Anteil der Kundinnen und Kunden der Jobcenter ist durch wirklich große Schwierigkeiten belastet und hat es auf dem Arbeitsmarkt sehr schwer. Das hat unterschiedlichste Gründe: persönliche Gründe, gesundheitliche Gründe, psychologische Schwierigkeiten, Suchtprobleme, Verschuldung. Ich denke, dass wir alle mit unserem gesunden Menschenverstand sagen: Bei dieser Klientel ist einfach nur ein Mehr an Sanktionen womöglich nicht der richtige Weg; vielmehr sind hier Verbesserungen in ganz anderer Weise vonnöten. Ich rede allerdings nicht von der Abschaffung von Sanktionen, sondern es geht zum Beispiel darum, eine bessere Betreuung durch einen besseren Betreuungsschlüssel zu organisieren. Die Jobcenter müssen in der Lage sein, auf jeden Einzelnen wirklich individuell zugehen zu können. Dazu brauchen sie die notwendigen Ressourcen, aber sicherlich auch die richtige Grundhaltung, um jeden, der kommt, als Individuum zu betrachten. Daneben brauchen wir eine bessere Zusammenarbeit der verschiedenen Träger in diesem Bereich usw. usf.

Zum Schluss will ich sagen: Das ist ein sehr wichtiges Thema. Reformen sind nötig, allerdings keine pauschale Ablehnung von Sanktionen. Insofern lehnen wir an dieser Stelle nur Ihren Antrag pauschal ab.

Wir werden die Diskussionen anhand eines Gesetzentwurfs, der noch vorgelegt wird – wir haben die Bund- Länder-Kommission ja nicht zum Spaß eingesetzt –, fortsetzen. Nach der Sommerpause werden wir dann viel Gelegenheit haben, miteinander zu diskutieren. Ich freue mich darauf.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Christel Voßbeck-Kayser, CDU/CSU.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3492432
Wahlperiode 18
Sitzung 40
Tagesordnungspunkt Sanktionen bei Hartz IV und Sozialhilfe
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