Christel Voßbeck-KayserCDU/CSU - Sanktionen bei Hartz IV und Sozialhilfe
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist eigentlich schon alles gesagt worden, nur noch nicht von mir.
(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)
Vielleicht ist es ja auch gut, einmal aus NRW-Sicht über dieses Thema zu reden.
Bis September letzten Jahres habe ich fast 30 Jahre lang im Sozialpsychiatrischen Dienst gearbeitet – auch in Zusammenarbeit mit den Jobcentern. Ich fühle mich durch Ihren Antrag, Kolleginnen und Kollegen der Linken, schon auch angegriffen und verärgert. Die Arbeit, die in den Jobcentern von den Mitarbeitern geleistet wird, finde ich hier nicht ausreichend gewürdigt.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Matthias Zimmer [CDU/ CSU]: Das sind alles Theoretiker! – Katja Kipping [DIE LINKE]: Dazu habe ich gar nichts in meiner Rede gesagt! Das ist eine Unverschämtheit!)
Ich habe in den letzten Wochen öfter hier gestanden und habe auch immer wieder negative Äußerungen gehört. Alles wird kaputtgeredet. Das ist wieder Stimmungsmache vor anstehenden Landtagswahlen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Kipping?
Nein, ich würde gerne meine Rede zu Ende führen. Vielleicht erledigt sich die Frage dann von selbst.
Zur Sache. Die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II basiert auf dem Solidaritätsprinzip. Dieses Prinzip unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens hat sich seit Jahrzehnten bewährt. Das ist kein einseitiges System, keine Einbahnstraße. Jedes Mitglied in unserer Gesellschaft hat Rechte und Pflichten. Ja, in der Gewährung von Leistungen nach dem SGB II sind Einschränkungen aufgeführt. Aber es kann und wird abgewogen. Es wird nicht willkürlich gekürzt. Es gibt unterschiedliche zeitliche Abläufe, es gibt auch unterschiedliche finanzielle Abstufungen.
Die Möglichkeit, Leistungen zu mindern, ist sehr wohl ein arbeitsmarktpolitisches Instrument. Es ist auch ein pädagogisches Instrument. Mir haben in meiner beruflichen Tätigkeit viele Kunden rückgemeldet: Ja, die Kürzung war ein Schock. Sie hat wehgetan. Aber sie hat mich auch wachgerüttelt. – Die Kürzung entmutigt nicht, und die Menschen werden auch nicht alleine gelassen. Das Beratungs- und Hilfesystem in Deutschland ist mit eines der größten. Wer will, kann sich mit den Mitarbeitern ein entsprechendes Beratungssystem aussuchen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Die Studie des Institutes für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung ist schon genannt worden. Es wird darin eindeutig aufgezeigt, dass eine Kürzung, die dazu dient, Fehlanreizen im System der Arbeitslosenversicherung entgegenzuwirken, als Maßnahme sehr wohl Früchte trägt und als Sanktion dazu führt, dass die Leute in die Gänge kommen. Somit ist Ihre Aussage widerlegt, dass Sanktionen nicht zu Verhaltensänderungen führen würden. Sie tun es sehr wohl.
(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber oft in die falsche Richtung!)
Damit die zur Verfügung stehenden Arbeitsmarktinstrumente, die den Jobcentern zur Verfügung stehen, Wirkung zeigen können, bedarf es nun einmal eines regelmäßigen Kontaktes zwischen den Leistungsbeziehern und den Jobcentermitarbeitern, sonst können die eingesetzten Maßnahmen nicht wirken.
Leistungsempfänger erhalten nicht nur finanzielle Unterstützung, sondern sie werden auch aktiv unterstützt. Diese aktive Unterstützung heißt Fallmanagement; darüber haben wir uns gestern im Rahmen einer Debatte zu diesem Thema ausgetauscht. Hier sitzen die Mitarbeiter der Jobcenter mit Mitarbeitern der Beratungsstellen – ich kann Ihnen das, wie gesagt, aus meinem eigenen Erleben und aus meiner beruflichen Tätigkeit versichern – zusammen und suchen gemeinsam nach dem richtigen Instrument für die Zusammenarbeit mit den Kunden.
Im Rahmen des Fallmanagements, der aktiven Unterstützung, gibt es verschiedene Formen. Es gibt die Qualifizierung und Unterstützung zur Eingliederung, sei es ein Bewerbungstraining, sei es eine fachspezifische Weiterbildung, seien es Arbeitsgelegenheiten in unterschiedlichen Gewerken zur Berufsorientierung.
Die Sanktionen wegen Meldeversäumnissen – der häufigste Grund für Sanktionen – sind angesprochen worden. Seit dem vergangenen Jahr versenden die Jobcenter Termin-SMS. Von Januar bis Oktober letzten Jahres waren das 430 000 Termin-SMS. Ich frage Sie, Kolleginnen und Kollegen: Welcher Arbeitnehmer erhält diese Form der Unterstützung von seinem Arbeitgeber?
(Beifall bei der CDU/CSU)
Wie gesagt, die Personen mit Vermittlungshemmnissen, die wirklich auf Unterstützung angewiesen sind, bekommen diese Unterstützung auch. Ich kann doch nicht sagen: Es gibt in Deutschland kein Hilfe- und Fürsorgesystem. – Die Sache ist eher die: Ich muss dort hingehen. – Darüber hinaus wird auch aufsuchende Hilfe geleistet. Es werden nicht einfach Sanktionen ausgesprochen und dann, plumps, steht auf einmal keiner mehr als Ansprechpartner zur Verfügung. Das ist Unsinn. Das stimmt so nicht.
Das Prinzip des Förderns und Forderns, insbesondere das Prinzip des Förderns, habe ich anhand der gerade genannten Beispiele sehr deutlich gemacht. Aber es darf doch auch gefordert werden, dass eine Person mithilft, die eigene Situation nach ihren Möglichkeiten zu verbessern.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Wenn Sie die Abschaffung von Sanktionen fordern, dann erklären Sie uns bitte, was Sie einer Krankenschwester, einem Handwerker oder einem Fabrikarbeiter sagen und damit all denen, die jeden Tag frühmorgens aufstehen, zur Arbeit gehen, ihrer Arbeit nachgehen und vielleicht auch noch zwischendurch Familienmanager sind,
(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die kriegen häufig selber Hartz IV und sind von Sanktionen bedroht! Was für ein blödes Argument!)
also Kinder zur Kita, zur Schule, zu Freunden, zum Kinderarzt oder zum Vereinssport bringen, und die hart für ihren Beitrag zur Sozialversicherung arbeiten. Wie erklären Sie ihnen, dass ihre Sozialversicherungsbeiträge per Gießkannenprinzip verteilt werden, ohne etwas zu fordern?
(Beifall bei der CDU/CSU – Katja Kipping [DIE LINKE]: Sie verhindern doch, dass sie steuerlich entlastet werden, weil Sie die Millionäre nicht stärker besteuern wollen!)
Dieses Gießkannenprinzip können Sie niemandem erklären. Es widerspricht auch allen Grundsätzen unseres Zusammenlebens und der sozialen Gemeinschaft in unserem Land. Das alles hat nichts mit einer Solidargemeinschaft zu tun.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ein anderer Aspekt: Hat nicht jeder, der einen Beitrag für die Solidargemeinschaft leistet, indem er Beiträge einzahlt, das Recht, dass mit seinem Beitrag verantwortungsvoll umgegangen wird? Ich fände es deshalb wesentlich hilfreicher, Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Die Linke, wenn Sie statt wiederholter Showanträge zu Sanktionen bei Hartz IV einmal einen konstruktiven Antrag einbringen würden, der einer Solidargemeinschaft gerecht wird.
Wir haben im Koalitionsvertrag – meine Vorrednerinnen und Vorredner haben es schon erwähnt – gerade die junge Generation berücksichtigt. Wir wollen uns den jungen Menschen widmen und Lücken zwischen der Jugendhilfe und anderen Hilfesystemen weiter reduzieren.
(Katja Kipping [DIE LINKE]: Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe ist doch höchst intransparent!)
Lassen Sie uns deshalb gemeinsam konstruktiv an Lösungen und Ideen arbeiten,
(Katja Kipping [DIE LINKE]: Sie haben uns doch die Mitarbeit in dieser AG verweigert!)
um den Menschen zu helfen, in Arbeit zu kommen und damit eine geregelte Tagesstruktur zu haben.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Sie stellen mit Ihrem Antrag quasi die Jobcentermitarbeiter unter den Generalverdacht, nichts Besseres zu tun haben, als den Leistungsbeziehern immer nur Schlechtes zu wollen und sie zu sanktionieren. Das stimmt einfach nicht.
Eben wurde es schon angesprochen: Worum geht es heute Mittag? Es geht um 3 Prozent der Leistungsbezieher.
(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh nein! Das ist doch Quatsch!)
– Doch, das ist so. Der Jahresdurchschnitt der Leistungsberechtigten mit mindestens einer Sanktion lag im vergangenen Jahr bei 147 000 Personen. Das sind die genannten 3 Prozent. 97 Prozent der Leistungsberechtigten sind nicht von Sanktionen betroffen.
(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist doch falsch!)
Die Mehrheit der Leistungsberechtigten verhält sich verantwortungsvoll. Auch das Instrumentarium der Leistungsminderung wird von den Jobcentermitarbeitern nicht ausgenutzt.
(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie wirklich schon einmal mit Langzeitarbeitslosen zu tun gehabt?)
Ihr Antrag vermittelt den Eindruck, es gäbe eine generelle Ungerechtigkeit im gesamten Leistungsbereich des SGB II. Ich wünsche mir, wie sicherlich viele andere Kollegen auch, dass Sie aufhören, Einzelfälle, die nicht gut laufen, als allgemeingültig hinzustellen und damit ein Versagen des ganzen Hilfesystems zu unterstellen. Denn dies entspricht in keiner Weise der Realität.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Deshalb lehnen wir auch diesen Antrag, den Sie eingebracht haben, ab. Denn er verstößt gegen den Grundsatz der Solidargemeinschaft und torpediert das Prinzip der Solidarität.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Bevor der Kollege Paschke gleich das Wort ergreifen wird, hat die Kollegin Kipping die Möglichkeit zu einer Kurzintervention.
(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Jetzt wird es kritisch!)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3492438 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 40 |
Tagesordnungspunkt | Sanktionen bei Hartz IV und Sozialhilfe |