Kai GehringDIE GRÜNEN - Befristete Arbeitsverträge in der Wissenschaft
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor zwei Wochen hat dieses Haus gegen die Stimmen der grünen Bundestagsfraktion ein milliardenschweres, aber ungerechtes Rentenpaket verabschiedet. Aber was ist mit der jungen Generation? Was tut die Bundesregierung für den wissenschaftlichen Nachwuchs in Deutschland, der mit seinem Wissen und Können für dringend benötigte Innovationen sorgt? Die Antwort ist: bisher nichts. Wenn es um verlässliche Perspektiven für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an den Hochschulen und Forschungseinrichtungen geht, zeigt sich diese Koalition erschreckend ideenlos und erschreckend tatenlos. So darf es nicht bleiben.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Hochschulen und Forschungseinrichtungen sind Herzstücke unseres Wissenschaftssystems. Sie müssen attraktive Arbeitgeber mit guten und zukunftsfähigen Arbeitsbedingungen sein.
Schauen wir uns den Gesetzentwurf an, den wir heute debattieren. Ich möchte zunächst fragen: Liebe Koalition, warum muss diese Initiative zur Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes eigentlich aus der Opposition kommen? Sie selbst kündigen doch im Koalitionsvertrag eine Novelle des Gesetzes an.
(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Das werden wir auch machen!)
Der Gesetzentwurf, den wir heute in den Bundestag einbringen, wurde schon im Frühjahr 2013 von grün-rot und rot-grün regierten Ländern in den Bundesrat eingebracht. Sie – und hier meine ich vor allem die Kolleginnen und Kollegen der SPD – hätten längst handeln können. Ihre Zögerlichkeit als Koalition schadet dem wissenschaftlichen Nachwuchs.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE] – Dr. Simone Raatz [SPD]: Ach jemine!)
Meine Fraktion hat die prekären Arbeitsbedingungen des wissenschaftlichen Nachwuchses schon mehrmals im Bundestag zum Thema gemacht. Sie kennen die Zahlen: Beinahe neun von zehn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern an den deutschen Hochschulen und Forschungseinrichtungen sind befristet beschäftigt. Das gilt auch für die Phase nach der Promotion, in der 51 Prozent der Verträge an den Hochschulen und 40 Prozent der Verträge in den Forschungseinrichtungen eine Laufzeit von unter einem Jahr haben. Das sind Zustände, die sich kein Unternehmen leistet, das genauso wie der Wissenschaftsbetrieb auf Spitzenpersonal angewiesen ist. Hier ist etwas aus dem Lot geraten, und das müssen wir ändern.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sprechen hier durchaus von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die gut und gern ihr viertes, teils sogar fünftes Lebensjahrzehnt erreicht haben. Diese erfahrenen Kräfte wollen Sie weiter mit kurzfristigen Verträgen hinhalten.
(Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Nein, wollen wir nicht!)
Mit einer solchen Politik schafft man keine Innovationen und kein wettbewerbsfähiges Wissenschaftssystem, das kreative Menschen an sich bindet. Man schafft vielmehr Frustration und riskiert das Abwandern dieser klügsten Köpfe in die Wirtschaft oder ins Ausland. Das kann hier niemand ernsthaft wollen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE] – Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Das tut auch keiner!)
Mit unserer Novelle des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes schlagen wir konkrete Verbesserungen vor. Dabei ist uns bewusst, dass es nur ein Baustein ist, den wir im deutschen Wissenschaftssystem voranbringen müssen. Im Bereich dieses Gesetzes hat der Bund originäre Zuständigkeiten und Handlungsmöglichkeiten. Deshalb schieben Sie in der Debatte die Verantwortung nicht nur auf die Länder und Hochschulen, sondern lassen Sie uns dort, wo wir es als Bund können, einen klaren Rahmen setzen!
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Zu diesem klaren Rahmen gehört, Mindestvertragslaufzeiten für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der zweiten Qualifizierungsphase einzuführen. Wer seine Promotion erfolgreich abgeschlossen hat, soll nur noch in begründeten Ausnahmefällen eine Vertragslaufzeit von unter zwei Jahren erhalten. Außerdem soll für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in allen Qualifizierungsphasen gelten, dass die Laufzeit der Verträge, die auf Drittmittelbefristung beruhen, mindestens der Laufzeit der Finanzierungsbewilligung des Drittmittelgebers entsprechen muss. Sorgen wir endlich dafür, dass sachgrundlose Befristungen Vorrang haben vor Drittmittelbefristungen. Das täte dem wissenschaftlichen Nachwuchs gut. Mit diesen Vorschlägen können wir einiges tun gegen das Befristungsunwesen in unserem Wissenschaftssystem.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)
Wenn wir schon dabei sind: Lassen Sie uns auch die Tarifsperre im Wissenschaftszeitvertragsgesetz aufheben, um so die Autonomie der Hochschulen zu stärken. Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreterinnen und -vertreter im Wissenschaftsbereich müssen endlich die Möglichkeit erhalten, eigene adäquate Tarifregelungen für die Wissenschaft auszuhandeln. Es ist aus unserer Sicht allerhöchste Zeit, dass die Bundesregierung auch junge Beschäftigte in Deutschland in den Blick nimmt. Promovierende und Postdocs an den Hochschulen und Forschungseinrichtungen sind Teil einer Generation, von der sich dieses Land superwichtige Impulse für seine wirtschaftliche, soziale und ökologische Modernisierung erhofft.
Um diese Hoffnung zu erfüllen, brauchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verlässliche Perspektiven und planbare Karrierewege. Das beginnt bei der Novelle des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes, es geht weiter bei der Zukunft der Wissenschaftspakte und endet im Kern bei der dringend notwendigen Verbesserung der Grundfinanzierung der Hochschulen. Letzterem, liebe Koalitionäre, haben Sie im Haushalt 2014 und in der gestrigen Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses einen Bärendienst erwiesen. Die bei Schäuble zwischengeparkte halbe Milliarde Euro fließt nun doch nicht in Bildung und Forschung, sondern Sie stopfen damit Lücken im Gesamthaushalt.
(Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Fehlinterpretation! – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Das stimmt nicht!)
Damit hätten Sie so viel für die Wissenschaft tun können, unter anderem ein neues Juniorprofessorenprogramm mit Tenure Track auflegen, wie wir es in den Haushaltsberatungen beantragt haben. Ihre Politik ist dagegen unsäglich zukunftsvergessen.
(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Alte Kamelle!)
– Wenn Sie das „alte Kamelle“ nennen, dann rate ich Ihnen: Sprechen Sie einmal mit Vertretern des Wissenschaftsbetriebs. Die werden Ihnen sagen, dass ein neues Juniorprofessorenprogramm Perspektiven schafft,
(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Die sagen mir etwas ganz anderes!)
wichtig und ein Fortschritt ist. Das könnten Sie machen, anstatt 500 Millionen einfach so zu versenken.
(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Das stimmt nicht, Herr Kollege!)
Ich sage Ihnen: Es ist dringend notwendig, Wissenschaft als Beruf wieder attraktiver zu machen. Wir wollen es im Wissenschaftssystem fair statt prekär.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Für die CDU/CSU-Fraktion hat die Kollegin Alexandra Dinges-Dierig das Wort.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3492623 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 40 |
Tagesordnungspunkt | Befristete Arbeitsverträge in der Wissenschaft |