Daniela De RidderSPD - Befristete Arbeitsverträge in der Wissenschaft
Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In einer Großen Koalition ist man miteinander verpartnert, Herr Schipanski. Das bedeutet auch – so kenne ich das aus meiner Ehe –, dass man gelegentlich beim Abendessen, beim Frühstück eine hitzige Diskussion führt. Auf die mit Ihnen im Ausschuss, auch jenseits des Ausschusses, freue ich mich,
(Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Abends oder morgens?)
weil ich Sie gerne davon überzeugen möchte, dass wir hier wirklich Änderungs- und Handlungsbedarf haben.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Die Einladung steht. Sie können das auch gleich heute einlösen.
Heute sprechen wir aber zunächst – scheinbar – über die Vorschläge von Bündnis 90/Die Grünen, die sich ja inhaltlich weitestgehend bei jenem Gesetzentwurf bedient haben, den die SPD im vergangenen Jahr in dieses Hohe Haus eingebracht hat.
(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gemeinsam mit den Grünen!)
– Es freut mich doch, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, dass Sie unseren Gesetzentwurf offensichtlich so klasse fanden, dass Sie ihn fast eins zu eins übernommen haben.
(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir ja schon gehört!)
Worum ging es bei diesem Gesetzentwurf? Wir wollten gegensteuern, weil im wissenschaftlichen Bereich in der Tat prekäre Beschäftigungsverhältnisse zunehmend zum Standard zu werden drohen. Davon werden wir Sie, Herr Schipanski, auch noch überzeugen. Fast der gesamte akademische Mittelbau arbeitet nämlich befristet, meist projektbezogen, häufig sogar mit Arbeitsvertragslaufzeiten von unter einem Jahr. Am Ende stehen dann die meisten vor der ungeklärten Frage, wie ihre Jobperspektiven aussehen. Gelingt der Aufstieg zur Professur, oder folgt der Abstieg in die Arbeitslosigkeit?
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben keineswegs vergessen, was wir gesagt haben. Heute, ein Jahr danach, wissen wir noch besser, was wir wollen. Es ist nämlich unser Gesetzentwurf aus dem vergangenen Jahr, der die Grundlage für die Arbeit in dieser Legislaturperiode legt. Wie gesagt: Sie sind alle herzlich eingeladen, mit uns darüber zu diskutieren, um mit uns für den wissenschaftlichen Nachwuchs den besten Weg zu entwickeln.
(Beifall bei der SPD)
Mich stimmt es sehr optimistisch, wenn wir hier zu einer großen Übereinstimmung kommen. Die werden wir herstellen; davon bin ich felsenfest überzeugt. Denn es geht um faire Arbeitsbedingungen; das wollen wir für unsere Wissenschaft weiterentwickeln.
Beim Wissenschaftszeitvertrag, lieber Herr Gehring, geht es um die Perspektive für die Jüngeren. Unser wissenschaftlicher Nachwuchs braucht bessere Arbeitsbedingungen. Wer heute als junger Mensch einen sicheren Job will, dem kann man in der Tat kaum empfehlen, an der Uni zu bleiben.
(Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Ja!)
80 Prozent – ich wiederhole: 80 Prozent – der wissenschaftlich Beschäftigten unter 30 Jahren arbeiten auf befristeten Stellen. Das sind die Zahlen des Statistischen Bundesamtes. Das ist, ehrlich gesagt, alles andere als Planbarkeit. Das gilt nicht nur für den wissenschaftlichen Nachwuchs, sondern umso mehr für die Universitäten und Forschungseinrichtungen; denn die wollen ihre Talente bewahren können.
Wer also Exzellenz will, insbesondere wissenschaftliche Exzellenz, muss lebensnahe und faire Arbeitsbedingungen schaffen. Das gilt im Übrigen auch – lassen Sie mich das aus meiner Perspektive betonen – für die Familienfreundlichkeit an Hochschulen. Schon vor rund 20 Jahren habe ich mich als Gleichstellungsbeauftragte an einer Hochschule für mehr Familienfreundlichkeit eingesetzt. Am Ende meiner Wünsche bin ich heute noch lange nicht; aber das Ziel – da bin ich ganz sicher – scheint heute näher zu rücken. Wir müssen dafür sorgen und klarstellen, dass die sogenannte familienpolitische Komponente deutlich häufiger angewandt wird. Die erlaubt nämlich, dass der Arbeitsvertrag, den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben, aus familiären Gründen pro Kind um jeweils zwei Jahre verlängert werden kann. Beschäftigte – das ist unser Problem, Herr Schipanski – haben darauf bislang aber noch keinen verbindlichen Rechtsanspruch.
(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Leider, ja!)
Das ist ein Problem, und deshalb müssen wir hier tätig werden und nicht nur die Länder.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Tankred Schipanski [CDU/ CSU]: Steht aber nicht im Gesetz!)
– Weil es nicht im Gesetz steht, haben wir hier Handlungsbedarf. Wie gesagt: Ich überzeuge Sie gern davon, dass das eine Perspektive ist, die wir gemeinsam diskutieren müssen. Kommen Sie also ruhig mit mir! Ich trinke gerne Tee oder Kaffee. Über anderes reden wir dann noch.
(Heiterkeit bei der CDU/CSU)
Die SPD wird in der Diskussion dafür Sorge tragen – das versichere ich Ihnen –, dass an den Hochschulen Elternzeit, Betreuungs- und Pflegezeiten ernster genommen werden als bisher. Denn unser Versprechen – Sie kennen es – lautet: gesagt, getan, gerecht. Ich lade Sie alle, die Sie sich als Bildungspolitikerin bzw. -politiker verstehen, dazu ein. Dies ist eine Situation, die wir herstellen müssen, insbesondere in der Bildungspolitik.
Wer, wie wir in der SPD, will, dass wir möglichst vielen jungen Menschen mehr Chancen geben, der darf doch vor den Toren der Hochschulen nicht haltmachen. Wer will, dass unsere Talente, unsere Wettbewerbsfähigkeit und unser Innovationspotenzial in einer globalisierten Welt konkurrenzfähig bleiben – denn darum geht es –, der lässt nicht zu, dass der wissenschaftliche Nachwuchs ausgebeutet wird. Wir sollten deshalb klar benennen, welche Stressfaktoren in der wissenschaftlichen Arbeitswelt leistungssteigernd und welche blockierend wirken.
Wir haben – das bleibt eine Tatsache – zu viele Beschäftigungsverhältnisse, die am Menschen vorbei nur negativen Stress produzieren. Deshalb brauchen wir faire Arbeitsbedingungen. Dazu werden wir Mindeststandards entwickeln –
Kollegin De Ridder, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
– das tue ich – und positive Anreize setzen, mit mehr Planungssicherheit.
(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])
Das gilt im Übrigen für alle Phasen der wissenschaftlichen Qualifikation. Wir machen das – davon bin ich überzeugt – gemeinsam, wohlüberlegt, zeitnah und im Konsens. Ich lade Sie alle herzlich ein, daran mitzuwirken.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege Dr. Wolfgang Stefinger.
(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Simone Raatz [SPD]: Los, Herr Stefinger, jetzt mal etwas Freundliches! – Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Nehmen Sie meine Einladung an! Sie sind mit gemeint!)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3492677 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 40 |
Tagesordnungspunkt | Befristete Arbeitsverträge in der Wissenschaft |