Sven-Christian KindlerDIE GRÜNEN - Epl 08, Epl 20 Finanzen, Bundesrechnungshof, Euro in Litauen
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind jetzt auf der Zielgeraden der Haushaltsberatungen. Auch nach den vielen Beratungen bleibt es dabei: Es gibt keine strukturellen Änderungen der Koalition. Ihnen fehlen der Mut und der Wille zu strukturellen Reformen im Haushalt. Sie verlassen sich ganz allein auf die gute Konjunktur. Das ist ein gefährliches Spiel mit dem Feuer. Dieser Haushalt der Großen Koalition ist unsolide, ungerecht und zukunftsvergessen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Der Haushalt nicht! Der kann ja nichts dafür!)
Ihr Haushalt ist unsolide, und er ist vor allen Dingen hart auf Kante genäht. Vor der Bereinigungssitzung hatten Sie ein 3-Milliarden-Euro-Loch. Wie haben Sie das gestopft? Sie haben keine strukturellen Änderungen vorgenommen. Sie haben weder bei Einnahmen und Ausgaben noch bei den Subventionen angesetzt oder Reformen vorgesehen. Was haben Sie stattdessen gemacht? Wir haben noch am Montag vor der Bereinigungssitzung alle gemeinsam – auch Sie, Herr Barthle und Herr Kahrs – die Einnahmen aufgrund der Steuerschätzung angepasst. Donnerstagnacht um 0.30 Uhr haben Sie eine eigene politische und willkürliche Steuerschätzung aufgestellt und die Einnahmen um 700 Millionen Euro nach oben angepasst. Sie haben sich damit kaltschnäuzig über die Mai-Steuerschätzung hinweggesetzt. Das nenne ich unverschämt und dreist.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Das zeigt auch das Grundverständnis Ihrer Haushaltspolitik. Sie verweigern die Arbeit und ändern im Haushalt nichts strukturell. Stattdessen hoffen Sie und zocken. Sie sind Zocker. Sie wetten auf die gute Konjunktur und auf eine gute Zukunft. Das ist Haushaltspolitik im Las-Vegas-Style. Am Roulettetisch setzen Sie alles auf Schwarz, und wenn die Kugel dann auf Rot landet, ist Ihr Portemonnaie leer, und Sie müssen zur Bank gehen. Aber diese Zockerei hat nichts mit solider Haushaltspolitik zu tun.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Den Gang zur Bank haben Sie übrigens schon eingeplant. Sie haben nachts um halb eins in der Bereinigungssitzung das Haushaltsgesetz geändert. Sie können nun dieses Jahr 3 Milliarden Euro mehr Schulden machen, indem Sie 2014 alte, nicht verbrauchte Kreditermächtigungen nutzen. Sie müssen darüber den Haushaltsausschuss nicht zeitnah informieren. Sie haben sich damit im Haushaltsgesetz eine Portokasse geschaffen, weil Sie Angst haben, dass Sie dieses Jahr mehr Schulden als die geplanten 6,5 Milliarden Euro machen müssen. Wenn Sie diese Schulden machen müssen, dann wollen Sie darüber weder das Parlament noch die Öffentlichkeit informieren. Das ist versuchte Täuschung mit Ansage.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Wenn man es ansagt, ist es keine Täuschung!)
Ihr Haushalt ist zudem ungerecht, Herr Schäuble. Sie und die Große Koalition loben sich schon jetzt für die schwarze Null im Jahr 2015. Aber wie finanzieren Sie das? Sie greifen mit vollen Händen in die Sozialkassen. Sie greifen in den Gesundheitsfonds und die Rentenkasse. Sie finanzieren das damit auf dem Rücken der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler. Das hat aber mit struktureller Haushaltskonsolidierung nichts zu tun. Die Zeche dafür zahlen später die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen. Das ist einfach ungerecht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir Grüne beantragen dagegen für mehr Gerechtigkeit die Anhebung des Arbeitslosengeldes II auf 420 Euro. Bei der Rente wollen wir den Einstieg in eine steuerfinanzierte Garantierente für langjährig Versicherte. Damit würden wir vor allen Dingen Frauen und Geringverdienern helfen, die von Altersarmut besonders betroffen sind. Sie dagegen nehmen 160 Milliarden Euro in die Hand und machen nichts gegen Altersarmut. Das ist das große Gerechtigkeitsproblem bei der schwarz-roten Rentenpolitik.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Dieser Haushalt ist auch zukunftsvergessen. Wir alle wissen: Die Infrastruktur in diesem Land verrottet. Wir leben von der Substanz. Sie tun nichts dagegen. Im Gegenteil: Die Investitionsquote befindet sich bei der Großen Koalition im freien Fall. Sie wird 2018 bei nur noch 8 Prozent liegen. Wir als Grüne haben dagegen mit unseren Änderungsanträgen klargemacht, dass sich die Investitionsquote schon in diesem Haushalt auf 11 Prozent steigern lässt. Wir wollen einen 3-Milliarden-Euro-Energiesparfonds auflegen und die Mittel für die CO 2 -Gebäudesanierungsprogramme auf 2 Milliarden Euro aufstocken. Wir wollen 1 Milliarde Euro mehr für den Erhalt von Straßen und Brücken ausgeben, anstatt neue, überflüssige Autobahnen zu bauen. Das ist der fundamentale Unterschied zwischen Ihrer und unserer Politik: Sie wollen mehr schlecht als recht den Status quo verwalten. Wir Grüne wollen gestalten und für morgen in die Zukunft investieren.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Investitionen für morgen sind Investitionen in Bildung und Kinderbetreuung sowie in Hochschulen und Forschung. Aber die für 2015 versprochenen 500 Millionen Euro haben Sie einfach verschoben. Die 1 Milliarde Euro, die für die Kommunen versprochen war, haben Sie einfach gestrichen, obwohl gerade in den Kommunen die meisten Investitionen getätigt werden. Das zeigt, was das Motto dieser Großen Koalition ist: Kaum versprochen, schon gebrochen!
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Johannes Kahrs [SPD]: Da klatscht noch nicht einmal die Linke!)
– Doch, die Linke klatscht; das siehst du doch.
(Johannes Kahrs [SPD]: Aber erst nach Aufforderung!)
– Du bist doch gleich dran, Johannes.
Klar ist auch: Wir wollen die Investitionen konkret und solide gegenfinanzieren, ohne zusätzliche Schulden zu machen. Unsere Leitlinie als Grüne lautet: Investieren statt Subventionieren. Jedes Jahr gibt dieser Staat 50 Milliarden Euro für Investitionen aus, die klimaschädlich sind. Wir Grüne sagen: Davon können wir zu Beginn schnell 8 Milliarden Euro pro Jahr abbauen. Wir können Milliarden bei der Privilegierung des Flugverkehrs und von schweren Dienstwagen sowie bei den Subventionen für Erdöl, Kohle, Agrardiesel und Atomenergie abbauen. Diese klimaschädlichen Subventionen müssen endlich abgebaut werden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Die entscheidende Frage lautet: Was machen Sie als Große Koalition in diesem Haushalt? Sie schaffen neue klimaschädliche Subventionen. Sie führen eine Strompreiskompensation in Höhe von 350 Millionen Euro ein. Im Rahmen des EEG wollen Sie erneut Milliarden an Subventionen in die Großindustrie pumpen. Das zeigt wieder einmal: Sie sind eine große Subventionskoalition.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Da Norbert Barthle die Debatte über die Europapolitik angesprochen hat, will ich ebenfalls darauf eingehen. Es ist richtig: Wir brauchen Haushaltskonsolidierung und Reformen in Europa. Wir Grüne halten auch nichts von Scheindebatten über den Stabilitäts- und Wachstumspakt. Der hat genug Flexibilität. Wir Grüne stehen zum Stabilitätspakt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
Das große Problem ist aber die einseitige Fokussierung der Konservativen in Europa mit Frau Merkel an der Spitze auf eine rigide Sparpolitik. Das hat die Rezession verstärkt.
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das hat die Haushalte stabilisiert, die Arbeitslosigkeit gesenkt!)
Das hat die Jugendarbeitslosigkeit in die Höhe getrieben, weil Mittel für wichtige Investitionen gekürzt wurden. Für uns Grüne ist klar: Diese einseitige, blinde Sparpolitik in Europa muss beendet werden.
Wir brauchen auch eine Investitionsstrategie für Europa.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die gibt es doch schon!)
Eine kluge Investitionsstrategie in Europa setzt neben der Ausgabenseite auf die Einnahmeseite, sie setzt auf die Beteiligung von Vermögenden, sie geht massiv gegen den Steuerbetrug vor, um Investitionen zu finanzieren. Das heißt aber nicht Investitionen im Sinne von sozialdemokratischem Beton- und Kohlewachstum,
(Manfred Zöllmer [SPD]: Oh!)
sondern das heißt Investitionen in die Zukunft, in erneuerbare Energien, in den sozialökologischen Umbau und in Bildung. Liebe SPD, bisher ist von Ihnen in Sachen Investitionsstrategie sehr wenig gekommen. Da reichen keine warmen, vagen Worte vom Vizekanzler.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir Grüne streiten in dieser Haushaltsdebatte nicht nur für europäische Gerechtigkeit, wir streiten auch für globale Gerechtigkeit. Auch da hat die Koalition versagt. Sie haben mindestens 240 Millionen Euro für den internationalen Klimaschutz gestrichen. Wir Grüne dagegen wollen die Mittel um 500 Millionen Euro erhöhen. Wir wollen auch einen Aufholplan, um endlich das 0,7-Prozent-Ziel bei der Entwicklungszusammenarbeit zu erreichen. Wir wollen dafür in diesem Haushalt 1,3 Milliarden Euro mehr zur Verfügung stellen. Wir wollen das gegenfinanzieren, indem bei Rüstungsprojekten der Bundeswehr 2 Milliarden Euro eingespart werden sollen. Humanitäre Hilfe für Flüchtlinge statt Milliarden für neue Rüstungsdesaster – so kann man ganz praktisch im Haushalt globale Gerechtigkeit umsetzen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Auch bei den Einnahmen stehen wir für mehr Gerechtigkeit. Die strukturelle Unterfinanzierung des Staates muss beendet werden. Die Schere zwischen Arm und Reich geht weiter auf. Das ist ungerecht. Starke Schultern müssen mehr tragen als schwache. Wir Grüne wollen unter anderem an die Abgeltungsteuer heran und die Kapitaleinkommen wie die Arbeitseinkommen wieder progressiv besteuern. Denn man kann niemandem mehr erklären, warum Gewinne aus Aktiengeschäften im Regelfall niedriger besteuert werden als Einkommen aus Lohnarbeit. Das ist extrem ungerecht, das muss dringend geändert werden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Wir Grüne haben in diesem Haushalt konkrete Alternativen vorgelegt, und zwar für Investitionen in die Zukunft. Wir wollen das durch Ausgabenkürzungen, Subventionsabbau und Einnahmeverbesserungen solide gegenfinanzieren. Ich fordere Sie auf: Geben Sie sich einen Ruck! Stimmen Sie unseren Alternativen zu! Denn sonst bleibt Ihr Haushalt leider unsolide, ungerecht und zukunftsvergessen.
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Für die Sozialdemokraten erteile ich das Wort dem Kollegen Johannes Kahrs.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3559327 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 41 |
Tagesordnungspunkt | Epl 08, Epl 20 Finanzen, Bundesrechnungshof, Euro in Litauen |