24.06.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 41 / Tagesordnungspunkt II.4

Lothar BindingSPD - Epl 08, Epl 20 Finanzen, Bundesrechnungshof, Euro in Litauen

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Ich kann mir doch nicht verkneifen, eine kleine Bemerkung zu Ralph Brinkhaus zu machen, der behauptet hat, wir verdankten auch Schwarz-Gelb diesen wirtschaftlichen Aufschwung. Ehrlich gesagt glaube ich, dass die notwendige Voraussetzung, dass wir überhaupt die Krise haben bewältigen können, die Agenda 2010 war. Sie war an Einzelpunkten schmerzhaft für uns; aber sie war notwendig, ganz wichtig. Andernfalls hätten wir weder das Konjunkturpaket I noch das Konjunkturpaket II noch die Abwrackprämie stemmen können. Die Agenda 2010, das waren gesellschaftliche Strukturreformen mit Zukunftsaspekt.

(Bettina Hagedorn [SPD]: So ist es!)

Dagegen war Wirtschaftsförderung durch Senkung der Mehrwertsteuer für Hotelleistungen keine Strukturmaßnahme, die zukunftsweisend ist, sondern Klientelpolitik.

(Beifall bei der SPD)

Darin unterscheidet sich unser Ansatz von dem Ansatz der Vorgängerregierung. Jetzt regieren wir gleichwohl zusammen, und jetzt funktioniert eine ganze Menge.

(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist mit der Mehrwertsteuerermäßigung für Hotels? Wird die jetzt abgeschafft? Wann schafft ihr die ab, SPD?)

Axel Troost hat gesagt: Es scheitert am Vollzug der Steuergesetze. – Den Steueranspruch des Staates durchzusetzen, ist natürlich wichtig. In diesem Zusammenhang will ich dem Zoll einmal gratulieren. Die Steuerfahnder aus NRW haben in zwei Containern brisantes Material aus einer Offshore-Bank auf den Cayman Islands gefunden und dieses beschlagnahmt. Inzwischen ist klar, dass es von einer ehemaligen Schweizer Privatbank stammt, nämlich der Coutts-Bank, deren Mutter interessanterweise die Royal Bank of Scotland ist. Hieran merkt man, wie gut es ist, dass man den Vollzug klug organisiert, sodass hier etwas gelingen kann.

(Beifall bei der SPD)

In dieser Woche tun wir noch viel mehr. Vor einigen Jahren – das muss man auch sagen – wäre das mit der CDU/CSU wahrscheinlich noch nicht ganz leicht möglich gewesen. Aber man merkt: Wir haben uns in der Großen Koalition aufeinander zubewegt.

Ich nenne einmal ein Beispiel: Es ist schlecht, wenn zum Beispiel ein Herr Porsche mit 1 Milliarde Euro jongliert, zu dieser Milliarde noch stille Reserven hinzufügt und das alles – weitere Stichworte sind: Personengesellschaften, Körperschaften, Entstrickungsbesteuerung – durcheinanderwirbelt, sodass Herr Schäuble zum guten Schluss einen dreistelligen Millionenbetrag in seiner Kasse auf der Minusseite buchen muss. – Das wollen wir nicht. Deshalb werden wir die grenzüberschreitende Steuergestaltung bekämpfen. Hier arbeiten wir zusammen. Es geht um § 50 i Einkommensteuergesetz. Das haben wir sehr klug geregelt.

Wir werden diese Steuerschlupflöcher systematisch schließen. Das heißt nicht, dass nicht immer wieder neue gefunden werden, aber wir werden sie immer wieder schließen.

(Beifall bei der SPD – Johannes Kahrs [SPD]: Da müsst ihr von der CDU/CSU auch klatschen!)

– Ja, genau.

Daneben packen wir das Programm gegen Base Erosion and Profit Shifting, also gegen die Gewinnverlagerung ins Ausland, gemeinsam mit der OECD an. Das ist ein Riesenprojekt. Ich glaube, das ist ein Schritt, von dem wir vor einigen Jahren nur haben träumen können.

Ich will Herrn Schäuble für die Bemerkung danken, die er hinsichtlich der Abschaffung der Abgeltungsteuer gemacht hat, weil die Idee sehr klug ist, wieder zu einer synthetischen Besteuerung zurückzukommen. Das müssen wir erreichen. Das Gegenteil nennen wir ja, um einmal den Fachbegriff zu nutzen, Schedulenbesteuerung, also Schubladenbesteuerung. Schedulenbesteuerung bedeutet, dass es für Einkünfte aus unterschiedlichen Einkunftsquellen unterschiedliche Schubladen gibt. Wenn die Einkünfte also in eine ganz bestimmte Steuerschublade fließen, ist der zu zahlende Steuersatz ganz niedrig. Jetzt darf jeder genau einmal raten, in welche Steuerschublade alle Leute ihre Einkommen verschieben. Natürlich verschieben sie sie in die Steuerschublade, in der der Steuersatz am niedrigsten ist.

Das Ziel ist also, weg von der Schedulenbesteuerung und hin zu einer synthetischen Besteuerung zu kommen. Das wäre sehr gut. Sehr gut ist auch die Verschärfung bei der strafbefreienden Selbstanzeige.

(Beifall bei der SPD)

Ich glaube, man darf sagen: Es ist historisch, dass wir die Neuverschuldung im nächsten Jahr auf null bringen können. Das ist seit Urzeiten erstmalig wieder der Fall. Natürlich haben wir auch ein bisschen Glück: Wir haben Glück, dass die Konjunkturlage gut ist. Wir haben Glück, dass die Zinslage gut ist. Das gilt jedenfalls für diejenigen, die Schulden haben, und da der Staat Schulden hat, ist die Zinslage gut; für die Sparer ist sie nicht ganz so gut. Außerdem haben wir Glück, dass wir im Moment das Staatsvermögen und die Infrastruktur unterfinanzieren. Das sind schon drei dicke Brocken, die uns helfen, diese Null zu erreichen.

Wir müssen diese Null aber auch langfristig absichern, damit wir in zehn Jahren sagen können: „Das war eine historische Null“, und nicht sagen müssen, dass wir die Null nur in einem oder zwei Jahren erreicht haben.

(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Wer ist die historische Null?)

Hier muss mehr passieren.

Ich glaube auch, dass wir noch einmal über die Steuerpolitik nachdenken müssen –

(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Sehr richtig! – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Warum nur darüber nachdenken?)

natürlich nicht in der Großen Koalition; das haben wir verabredet und ist völlig klar. Herr Schäuble sagt: Keine Diskussionen über Steuererhöhungen! Das wird sicherlich noch einmal zu diskutieren sein.

(Beifall des Abg. Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE] – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann denn?)

– Dietmar Bartsch applaudiert jetzt. Er verkleidet seine Kritik gerne in die Frage: Wo ist eigentlich Ihr Programm?

(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, wo ist das?)

Laut Ihrem Programm wollten Sie doch Steuererhöhungen. Ihr wolltet doch die Vermögensteuer und dass die Leute, die 40 000 Euro am Tag verdienen, stärker besteuert werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Das stimmt!)

– Das stimmt.

Ich will das jetzt nur kurz erklären: Wir haben in dieser Koalition einen Kompromiss gemacht, und genau das haben wir für diesen Kompromiss geopfert. Ich sage jetzt aber auch einmal, wo unser Programm eins zu eins funktioniert – und das ist auch gesellschaftliche und historische Zukunftspolitik für unser Volk, und zwar unabhängig vom Geld; man muss nämlich selbst als Finanzer und Haushälter gelegentlich auch einmal vom Geld wegkommen –: Der Mindestlohn ist eine historische Sache.

(Beifall bei der SPD)

Ich könnte begründen, warum er eigentlich schon 1872 hätte eingeführt werden müssen. Das Rentenpaket ist eine historische Sache. Die Energiewende ist eine historische Sache.

(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Energiewende fahrt ihr doch an die Wand!)

Gleiches gilt für die Stärkung der Kommunen sowie die Verbesserungen im Mietrecht und im Wohnungsbau. Das sind kleine Dinge mit großer Wirkung. Ähnlich ist es bei Kultur und Integration. Auch das Technische Hilfswerk – es wurde vorhin als ein wichtiger Punkt dieser Haushaltspolitik erwähnt – stärken wir; das haben wir gemeinsam beschlossen. Auch in der Flüchtlingspolitik haben wir Verbesserungen erreicht.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Sven- Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welche Flüchtlingspolitik?)

Das sind alles sehr gute Sachen. Damit gestalten wir, um ein Wort der Grünen aufzunehmen, weil es nämlich klug ist, in dieser Weise zu handeln.

(Beifall bei der SPD – Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei Ihrer Klimapolitik brauchen wir das THW!)

Finanzminister Schäuble hat, wie ich finde, einen guten Satz gesagt. Er lautet: Im Moment profitieren die Nachbarn von unserer guten Lage. – Diese Aussage unterschreibt jeder. Ich möchte hinzufügen: Wir profitieren aber auch von unseren Nachbarn. – Angesichts unseres Exportes ist klar, warum es klug ist, dafür zu sorgen, dass es den Nachbarn gutgeht, sodass auch wir wieder profitieren. Das gilt nicht nur im Sinne eines Profits; darauf komme ich gleich zurück.

Hier sind wir an einer Stelle angekommen, die die eigentliche Reichweite dieses Haushalts beschreibt. Wenn wir uns nur auf unser Staatsgebiet beziehen, wenn wir uns nur auf die Zahlen unseres Haushaltes beschränken, dann denken wir nicht weit genug. Dieser Haushalt geht weit über unsere Grenzen hinaus. Das bedeutet, dass wir auch die Lage der anderen in den Blick nehmen müssen.

Wenn wir beobachten, dass die Arbeitslosigkeit in anderen Ländern steigt, und zwar gravierend und in beängstigender Form, wenn wir sehen, dass die Jugendarbeitslosigkeit in anderen Ländern bis auf einen Wert von 50 Prozent steigt, wenn wir feststellen, dass die finanziellen Möglichkeiten dieser Länder zur Stärkung der Binnennachfrage und für den Aufbau der Infrastruktur nicht mehr ausreichen, dann frage ich mich: Wie lange kann das für Deutschland noch gutgehen? Wir haben schließlich nicht nur Handelsbeziehungen, sondern wir haben auch menschliche Beziehungen zu diesen Ländern. Wir müssen schauen: Was passiert in diesen Ländern, was sich auch auf unsere Situation auswirken könnte? Wer das Ganze nur ökonomisch sieht, der blickt nicht weit genug. Ruinierte Staaten, auch wenn der Ruin selbstverschuldet ist, sind schlechte Kunden, um es einmal darauf zu reduzieren.

Wir sehen aber neben diesem Aspekt auch noch Folgendes: Welche Zukunft kann Europa haben, wenn sich die Entwicklung in diesen Regionen so fortsetzt? Was wird aus arbeitslosen Jugendlichen, deren Eltern schon arbeitslos waren? Was passiert da eigentlich? Da muss man auch politisch handeln. Die Frage ist nicht nur: Was passiert als Folge dieser Entwicklung in der Gesellschaft? Ich will das Ganze einmal auf eine Frage reduzieren – hier sind schließlich Politiker im Raum –: Wen werden diese Menschen in fünf oder zehn Jahren wählen, wenn es uns nicht gelingt, diese Entwicklung zu stoppen? Auch das ist eine Aufgabe der reichsten Nation in Europa.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb müssen wir über den Stabilitäts- und Wachstumspakt nachdenken, insbesondere über das Wachstum. Am allerwichtigsten ist qualitatives Wachstum; denn wir haben gelernt: Austerität ist kein nachhaltiges Konzept.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Wir haben gerade gesagt: Die Nullverschuldung müssen wir für die Zukunft sichern. Zukunftssicherung heißt, nachhaltig zu denken. Weder in den anderen Ländern noch bei uns ist Austerität ein nachhaltiges Konzept. Austerität bis zum Ende gedacht, heißt immer, dass man verhungert. Dagegen muss man etwas tun, und zwar rechtzeitig. Deshalb müssen wir helfen, dass auch alle anderen Länder genug Zeit haben, die Zielvorgaben, die wir verabredet haben, zu erreichen. In diesem Sinne muss man über den Stabilitäts- und Wachstumspakt nachdenken, auch mit Blick auf unsere Haushaltspolitik, um auf europäischer Basis zukunftsfähig zu werden.

(Beifall bei der SPD)

Jetzt möchte ich als einen kleinen Nachklapp in meiner Rede einen anderen Punkt aufgreifen. Vorhin gab es einen ganz konkreten steuerpolitischen Vorschlag, der sich auf die Abgeltungsteuer bezog. Christian Kindler, du hast formuliert, dass Dividenden deutlich geringer besteuert würden als die Arbeitseinkommen. – Das ist falsch.

(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Im Regelfall!)

– Auch nicht im Regelfall. Die Abgeltungsteuer besteht aus drei Kategorien. Die Abgeltungsteuer besteuert den Zins mit 25 Prozent. Da hättest du mit deiner Aussage recht gehabt. Die Abgeltungsteuer besteuert darüber hinaus den Verkauf von Wertpapieren. Auch da hättest du recht gehabt. Aber ausgerechnet dein Beispiel mit der Dividende ist falsch; denn die Dividende bringt für eine Körperschaft im Trennungssystem eine Vorbelastung von 30 Prozent mit sich, vom Gewinn werden 70 Prozent ausgeschüttet. 25 Prozent davon sind 17,5 Prozent. 17,5 plus 30 sind 47,5. Es gibt keinen Arbeitnehmer, der im Rahmen der Einkommensteuer 47,5 Prozent zahlt. Deshalb ist diese These falsch. Damit wollte ich hier unbedingt einmal aufräumen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich glaube, es ist ganz klug, wenn man hier Steuerpolitik differenzierter betrachtet. Eine gewisse Genauigkeit gehört auch dazu, wenn man Finanzpolitik betreibt.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Nächster Redner ist der Kollege Manuel Sarrazin, Bündnis 90/Die Grünen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Das ist jetzt peinlich für den Kollegen von den Grünen!)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3559421
Wahlperiode 18
Sitzung 41
Tagesordnungspunkt Epl 08, Epl 20 Finanzen, Bundesrechnungshof, Euro in Litauen
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine
Automatisch erkannte Entitäten beta