24.06.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 41 / Tagesordnungspunkt II.6

Ekin DeligözDIE GRÜNEN - Epl 15 Gesundheit

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man die Debatte über den Gesundheitsetat verfolgt, stellt man auf den ersten Blick fest, dass sehr viel Einigkeit herrscht. Niemand kann ernsthaft gegen Krebsforschung oder die Förderung der Kindergesundheit sein; das gilt auch für viele andere Projekte. Wenn ich aber genauer hinschaue, fallen mir vor allem zwei große Baustellen auf, auf die ich näher eingehen will, Herr Minister.

Die erste Baustelle ist das, was Sie zum Schluss Ihrer Rede angesprochen haben, Herr Heiderich, nämlich der Bundeszuschuss zum Gesundheitsfonds. Was ist das eigentliche Problem? Sie schaffen kein Vertrauen. Im Gegenteil: Es wurde bereits siebenmal in den Gesundheitsfonds eingegriffen. Mit jeder Kürzung provozieren Sie Beitragssatzsteigerungen. Diese Steigerungen werden alleine von den Arbeitnehmern getragen; das ist das Problem. Die Arbeitgeber sind dank Ihrer Gesetze fein raus.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Wenn Sie in der Anhörung genau zugehört haben, dann wissen Sie, dass alle Experten, auch diejenigen, die Sie eingeladen hatten, darauf hingewiesen haben: Es sind zwei kommunizierende Röhren. Wenn Sie an der einen Stelle kürzen, dann wird an anderer Stelle Geld fehlen, und die Beiträge werden steigen.

(Jens Spahn [CDU/CSU]: Das stimmt ja nicht! Sie haben bis heute den Fonds nicht verstanden!)

Die ersten Krankenkassen haben bereits darauf hingewiesen, dass sie knapp bei Kasse sind und rote Zahlen schreiben, und haben angekündigt, die Versicherungsnehmer stärker finanziell zu beteiligen. Das ist doch das Problem, über das wir reden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE])

Sie tun so, als wäre der Zuschuss des Bundes zum Gesundheitsfonds eine große Gefälligkeitsleistung. Das ist er aber nicht. Der Bund sagt: Wir übernehmen Kosten und solidarisieren uns. – Es geht um Leistungen, die der Solidarität der gesamten Gesellschaft bedürfen, zum Beispiel bei der Kindererziehung, der Schwangerschaft, in der Elternzeit und während der Mutterschaft. Der Bundeszuschuss wird gewährt, weil es sich um gesamtgesellschaftliche Aufgaben handelt, und nicht, weil Sie so großzügig, lieb und nett sind. Dieser Zuschuss erfüllt eine bestimmte Funktion. Würden Sie sich zu dieser Funktion bekennen, könnten Sie nicht willkürlich in die Kasse greifen. Aber genau das tun Sie. Sie nehmen das Geld der Versicherungsnehmer und konsolidieren damit Ihren Haushalt. Sie stopfen damit die Löcher. Eigentlich müsste man sagen: Schämen Sie sich dafür, dass Sie das überhaupt machen und diese Gelder so falsch verwenden!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE])

Wenn Sie wirklich den Willen hätten, den Haushalt zu konsolidieren, hätten Sie sich unsere Vorschläge zu eigen gemacht. Warum bauen Sie nicht die ökologisch schädlichen Subventionen ab? Dann würden Sie auch etwas für die Gesundheit in diesem Land tun. Oder: Warum sind Sie nicht mutiger bei der Abgeltungsteuer? Warum wird Einkommen aus Erwerbstätigkeit eigentlich anders besteuert als Einnahmen aus Kapital? Entsprechende Änderungen hier würden mit der Aufwertung der menschlichen Arbeit einhergehen. Ideen also, wie sich der Haushalt konsolidieren ließe, gibt es in ausreichendem Maße. Sie müssen nicht in den Haushalt des Gesundheitsministeriums eingreifen, dessen Mittel ohnehin sehr knapp bemessen sind. Ich bin auf der Seite des Ministers,

(Jens Spahn [CDU/CSU]: Das ist schon mal gut!)

der seinen Etat verteidigt und verhindern will, dass seine Mittel so missbraucht werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch wir Grünen sind für eine Bürgerversicherung, gerade weil wir an die Gesamtsolidarität glauben. Jeder sollte einzahlen. Die Versicherten sollten nicht eine bestimmte Gruppe sein und quasi unter sich bleiben, während sich andere herauskaufen können. Eine Bürgerversicherung würde die Finanzierungsbasis erweitern und vor allem für mehr Nachhaltigkeit in einer sich demografisch verändernden Gesellschaft sorgen.

Das wird doch die größte Herausforderung sein, vor der wir in diesem System stehen werden.

Jetzt komme ich zur zweiten Baustelle: zum Pflegebegriff. Sie machen einige Schritte in die richtige Richtung. Teile dieses Leistungsgesetzes werden wir wahrscheinlich unterstützen. Sie gehen aber nicht an den Pflegebegriff heran. Die Verlierer werden die Demenzkranken sein. Die Verlierer werden genau die Menschen sein, um die wir uns sorgen wollen.

(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Sie können sich darüber aufregen, so viel Sie wollen. Der erste Sozialverband hat bereits eine Klage angekündigt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich finde, wir sollten uns an dieser Stelle nicht vom Bundesverfassungsgericht treiben lassen, sondern von der Vernunft und einer guten Politik. Da reicht es eben nicht, wenn Sie hier stöhnen. Tun Sie etwas dagegen, nehmen Sie das in die Hand! Machen Sie eine Strukturreform! Wagen Sie einmal etwas!

Sie aber wollen einen Pflegefonds schaffen. Was passiert denn mit einem Pflegefonds? Kurzfristig senken Sie die Beiträge, langfristig haben Sie ein Budget, in das Sie wieder willkürlich hineingreifen werden, um Versichertenmittel zu missbrauchen. Unter dem Strich ändern Sie aber nichts an der Qualität der Pflege; genau das ist doch der Schwachpunkt. Wir müssen die Qualität der Pflege verbessern, und wir dürfen nicht einfach passiv sein und Schattenhaushalte schaffen. Gehen Sie an den Pflegebegriff heran, aber richtig, und machen Sie eine Pflegereform, die diesen Namen verdient, Herr Minister.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben im Rahmen des Berichterstattergesprächs das wichtige Thema Hebammen besprochen. Auch da reicht es nicht, passiv zu bleiben. Wir haben inzwischen im Zusammenhang mit den Haftpflichtprämien, die die Hebammen zahlen müssen, genug Argumente für eine Regressbeschränkung oder einen Haftungsfonds. Wir haben geprüft, Sie haben geprüft, es liegen einige Vorschläge auf dem Tisch. Es ist jetzt an der Zeit, zu handeln. Sie, Herr Gröhe, als Minister und ich als Haushälterin, aber auch als Mutter zweier Kinder, wir waren uns einig: Jede schwangere Frau hat einen Anspruch auf eine Hebammenbetreuung. Die ersten schwangeren Frauen bekommen aber jetzt zu hören: Hol dir bloß keine Hebamme; die gibt es bald nicht mehr.

(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)

Wie weit sind wir denn gekommen?

(Zuruf von der CDU/CSU: Eine Unterstellung!)

Wie weit sind wir gekommen, dass Sie schwangere Frauen im Stich lassen und diese sich nicht mehr darauf verlassen können, wirklich eine Hebamme zu bekommen?

(Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt wird es wirklich peinlich!)

– Nein, es wird nicht peinlich. Mich wundert nicht, dass aus diesen Reihen genau diese Reaktion kommt. Etwas anderes hätte ich nicht verstanden. Wo waren Sie denn, als die Hebammen im Petitionsausschuss waren? Wo sind Sie denn, wenn sie auf die Straße gehen? Beschäftigen Sie sich einmal mit diesem Thema, und grölen Sie hier nicht herum!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

So viel Ignoranz auf einem Haufen versammelt habe ich, ehrlich gesagt, selten im Parlament erlebt.

(Maria Michalk [CDU/CSU]: Das ist doch falsch, was Sie sagen!)

Mich wundert es übrigens auch nicht, dass die Kolleginnen und Kollegen der SPD jetzt in der Großen Koalition ganz still sind; denn es gibt auch so etwas wie Fremdschämen in diesem Haus.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Es gibt noch einen Punkt, den ich erwähnen will, Herr Minister. Wir haben vorgeschlagen, 35 Millionen Euro mehr für die Weltgesundheitsorganisation einzustellen. Das ist nicht viel Geld, aber es ist Geld für eine wichtige Sache. Da geht es nicht nur um die ODA-Quote, sondern die WHO leidet unter der schlechten Planbarkeit und mangelnder Finanzierung. Es geht um den Kampf gegen Polio und Tuberkulose. Ich fände es sehr gut, wenn sich Ihr Haus an diesem großen Projekt, bei dem es um eine gemeinsame Verantwortung geht, mit einem freiwilligen Beitrag Deutschlands an die WHO beteiligen würde.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es gibt einige Dinge, die wir ausdrücklich unterstützen; auch das will ich erwähnen. Dazu gehört die HIV- Stiftung. Wir Grüne sind dabei, weil wir der Meinung sind, dass das richtig angelegte Mittel sind. Es ist gut, dass wir dafür eine Lösung gefunden haben. Wir sind übrigens auch dabei, wenn es um die Kürzung des Pflege-Bahrs geht. Ich wünschte mir ganz ehrlich – das habe ich Ihnen auch schon gesagt – etwas mehr. Das funktioniert nicht, das läuft schief, das wird nicht in Anspruch genommen. Sie wollen damit das Pflegerisiko privatisieren. Das ist ein falscher Ansatz, und das, was nicht funktioniert, kann man genauso gut streichen. Das Geld kann man an anderer Stelle viel sinnvoller ausgeben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich finde es auch sehr gut, dass Sie im Bereich der Kindergesundheit Mittel eingestellt haben, weil auch die aktuelle KiGGS-Studie zeigt, dass wir in diesem Bereich sehr sensibel sein müssen und dass auch hier Kinderarmut eine Rolle spielt. Das ist zwar eine erschreckende Erkenntnis, aber eine wahre Erkenntnis. Wir müssen in diesem Bereich aktiver werden.

Herr Minister, ich wünsche Ihnen viel Mut, die notwendigen Grundsatzdebatten anzugehen und sich von Ihren Kollegen nicht entmutigen zu lassen.

(Jens Spahn [CDU/CSU]: Notfalls kann er ja die grüne Mehrheit in Anspruch nehmen!)

Ich wünsche mir, dass ich die gleiche Rede demnächst nicht wieder halten muss.

Herr Minister, unsere Unterstützung hätten Sie.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion erhält jetzt das Wort Petra Hinz.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3559956
Wahlperiode 18
Sitzung 41
Tagesordnungspunkt Epl 15 Gesundheit
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