Michael LeutertDIE LINKE - Epl 17 Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin, ich glaube, ich muss etwas Wasser in den Wein gießen. Das wird Sie aber nicht überraschen. Im Vorwort Ihres Haushaltes steht geschrieben, Deutschland sei ein familienfreundliches Land. Ich sage Ihnen: Nein, das stimmt nicht, Deutschland ist kein familienfreundliches Land. Mit dieser Aussage stehe ich auch nicht allein da, sondern die Mehrheit der Bevölkerung teilt diese Meinung.
In der letzten Studie der Stiftung für Zukunftsfragen bejahten nur 15 Prozent der Befragten die Aussage, Deutschland sei kinderfreundlich. Damit rangiert Deutschland im europäischen Vergleich auf dem allerletzten Platz. Das hat die Presse genüsslich ausgeschlachtet; denn in Dänemark – das Land ist Spitzenreiter – stimmten 90 Prozent der Befragten der Aussage zu, ihr Land sei kinderfreundlich.
In der Presse wurde – das ist das eigentlich Interessante – allerdings nicht reflektiert, dass es zwei Jahre zuvor eine ähnliche Umfrage gab. Damals waren in Deutschland – das ist immer noch ein katastrophaler Wert – immerhin 21 Prozent – also 6 Prozentpunkte mehr – der Auffassung, Deutschland sei kinderfreundlich. Somit haben wir einen rückläufigen Trend. Eigentlich sollte dieser Trend durch die Politik umgedreht werden. Zumindest war das der politische Wille.
So wurde 2007 zum Beispiel – auch damals von einer Großen Koalition – per Gesetz das Elterngeld eingeführt und das Erziehungsgeld abgeschafft. Auch in diesem Haushalt stehen wieder über 5 Milliarden Euro dafür zur Verfügung. Ziel dieses Gesetzes war aber explizit, die Geburtenrate anzuheben. Dieser Effekt ist eben nicht eingetreten. Es gibt heute genauso viele Geburten in Deutschland wie im Jahr 2007. Herr Kollege Rainer, ich weiß nicht, woher Sie Ihre Zahlen nehmen. Ich kann nämlich den von Ihnen genannten Trend aus der Statistik nicht herauslesen. Kinderfreundlicher ist das Land in den Augen der Bevölkerung auch nicht geworden.
Genauso verhält es sich mit dem Kitaausbau. Er ist eine Notwendigkeit, reicht aber bei weitem nicht aus, die selbst gesteckten Ziele zu erreichen. Genauso notwendig ist eine gute Betreuung in den Kitas. Weiter ist es notwendig, dass die Kitas Öffnungszeiten haben, die mit den Arbeitszeiten der Eltern übereinstimmen. Die Qualität ist eben genauso wichtig.
Statt an diesen Dingen bzw. an den realen Problemen zu arbeiten, haben Sie auf Betreiben der CSU das Betreuungsgeld – die „Herdprämie“ – eingeführt und finanzieren es mit über 500 Millionen Euro pro Jahr.
(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist eine Frechheit!)
Dagegen läuft eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht, eingereicht vom SPD-geführten Hamburger Senat. Im Bundestag gibt es eine breite Mehrheit – sie umfasst Linke, Grüne und SPD sowie wahrscheinlich auch Teile der CDU – gegen diese Familienförderung aus dem letzten Jahrhundert.
(Zuruf von der LINKEN: Aus dem vorletzten!)
– Vorletzten Jahrhundert!
(Beifall bei der LINKEN)
Ich bin der Meinung, dass es an der Zeit ist, die Frage zu stellen, was in Deutschland trotz der Sozialleistungen, die zur Verfügung gestellt werden, schiefläuft, und warum sich an der Einstellung Kindern gegenüber nicht viel geändert hat.
Ich bin davon überzeugt, dass sich auch in den kleinen und ganz banalen Dingen im Alltag etwas ändern muss. Ich glaube, alle, die Kinder haben, wissen, wovon ich spreche. Wer zum Beispiel einmal mit einem Kinderwagen in einen ICE eingestiegen ist, weiß, was ich meine. Man muss schon sehr sportlich sein, um in den Zug hineinzukommen, und wenn man es geschafft hat, ist man sozusagen geparkt, weil man mit dem Kinderwagen nicht weiterkommt; denn er passt nicht durch die Gänge. Diese Liste von Beispielen könnte ich beliebig lange fortsetzen. Wie gesagt, Sie alle kennen das.
In Deutschland wird meines Erachtens Gesellschaft viel zu wenig aus dem Blickwinkel von Kindern, Familien oder Schwangeren betrachtet. Wenn über Kinder gesprochen wird, ist immer die Rede von Problemen und davon, dass Kinder zu viel kosten, dass die persönliche Freiheit eingeschränkt ist, dass die Karriere durch Kinder behindert wird oder dass Kinder zu laut sind. Solche Einstellungen können sich auch ganz schnell zu echten Mauern auftürmen, wie zum Beispiel in Berlin, wo ein Investor tatsächlich eine 5 Meter hohe Mauer errichten ließ, um den Lärm des angrenzenden Kinder- und Jugendzentrums von seinen neu errichteten Eigentumsvillen fernzuhalten. Ich nenne hier dieses Beispiel, weil es für mich ein Paradebeispiel dafür ist, wie sich Kinderunfreundlichkeit im Alltag manifestiert.
Frau Ministerin, ich vermisse in Ihrem Haushalt die innovativen Elemente. Sie schreiben tatsächlich nur den alten Haushalt von Kristina Schröder fort. Sie haben aber selbst formuliert, dass Sie eine moderne Familienpolitik und eine gute Kinderpolitik machen wollen. Dazu benötigen wir in Deutschland aber zuallererst ein kinderfreundliches Klima. Die 500 Millionen Euro, welche jetzt für das Betreuungsgeld ausgegeben werden müssen, wären meines Erachtens besser für Maßnahmen geeignet, mit denen positive Anreize für Kinderfreundlichkeit geschaffen werden.
Man könnte das Geld aber auch dafür verwenden, Kinderarmut zu bekämpfen – das ist hier schon mehrfach angesprochen worden, Frau Kollegin Gottschalck –, aber dieses Wort kommt ja leider im Koalitionsvertrag nicht vor. Kinderarmut existiert aber real. 2,5 Millionen Kinder in Deutschland sind von Kinderarmut bedroht oder leben in Kinderarmut. Wir Linke haben konkret dazu einen Antrag vorgelegt. Seine Umsetzung würde 500 Millionen Euro kosten; das wären genau die 500 Millionen Euro für das Betreuungsgeld. Wir schlagen vor, den Unterhaltsvorschuss auszuweiten, die Grenze von 72 Monaten Bezugsdauer und die Altersgrenze von zwölf Jahren aufzuheben. Das wäre ein ganz konkreter Vorschlag, um Kinderarmut in Deutschland zu bekämpfen.
(Beifall bei der LINKEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, insbesondere von der Koalition, Frau Ministerin, dieser Haushalt ist zukunftsunfähig. Er tut nichts gegen die Kinderunfreundlichkeit in Deutschland, auch nichts gegen die Kinderarmut. Aus diesen Gründen können wir diesem Etat in der Form nicht zustimmen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun die Kollegin Nadine Schön das Wort.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3562027 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 41 |
Tagesordnungspunkt | Epl 17 Familie, Senioren, Frauen und Jugend |