25.06.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 42 / Tagesordnungspunkt II.12

Uwe KekeritzDIE GRÜNEN - Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

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Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Müller – ich fange jede meiner Reden mit Ihrem Namen an; ich weiß nicht, woran das liegt –, Ihr Start war sehr gut. Sie haben mit einer neuen Rhetorik viel Hoffnung geweckt. Es war Ihnen von Anfang an klar, dass Sie natürlich nicht an den Worten bewertet werden, sondern an den Taten. Damit war Ihnen auch von Anfang an klar, dass ein angekündigter Paradigmenwechsel in der Entwicklungspolitik nicht auf Worthülsen basieren kann. Ein Paradigmenwechsel verlangt vor allem Ehrlichkeit und Transparenz, und genau das leistet Ihr Haushaltsentwurf nicht. Um nicht ganz bloß dazustehen, übernehmen Sie konsequent die kreative Buchführung Ihres Vorgängers.

Der Haushalt brilliert durch Rechentricks, und dafür verdienen Sie – ganz im Zeichen der Fußballweltmeisterschaft – diese Gelbe Karte hier.

(Manfred Grund [CDU/CSU]: Aber bitte nicht beißen!)

Sie können sich dagegen wehren und sagen: Moment! Das ist doch viel zu hart. – Man könnte diese Gelbe Karte auch 80 Prozent des Parlaments geben.

(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Diese Gelbe Karte entspricht nicht dem vorgegebenem Format!)

– Ich habe sie extra für Sie vergrößert, damit Sie sie auch deutlich sehen. – Im Sinne von Fairplay ist das auf jeden Fall nicht.

Aber nicht nur Ihre Buchhaltung ist ein Problem. Es wird immer deutlicher, dass auch Ihre programmatische Ausrichtung sehr fraglich ist. Nehmen wir den Bereich der Ernährung und der ländlichen Entwicklung speziell für Afrika. Wer den Hunger bekämpfen und die Ernährungssituation verbessern will, darf nicht unkritisch gegenüber den Folgen der globalen Agrarentwicklung der letzten Jahrzehnte sein.

(Dr. Gerd Müller, Bundesminister: Nein, das kann nicht sein!)

– Doch, das sind Sie. Sie arbeiten immer noch mit der German Food Partnership zusammen. Sie übernehmen immer noch die westlichen Technologien und versuchen, sie in Afrika zu implementieren.

Wir wissen doch, dass mit veralteten westlichen Agrarkonzepten die Ernährungssituation nicht verbessert werden kann. Diese Konzepte ignorieren die negativen ökologischen, klimatischen und sozialen Auswirkungen der industriellen Agrarproduktion. Der Verlust der Artenvielfalt, die Verödung der Böden, die Erhöhung der Erosion, die Verschlechterung des Grundwassers, negative Klimaauswirkungen, Landflucht und Entwurzelung sind die Folgen. Ernährungssicherheit geht anders.

Inhaltliche Schwächen zeigen sich auch in jenen Bereichen, die das Ministerium überhaupt nicht angeht. Wo sind Ihre Initiativen gegen das Landgrabbing, das dramatische ökologische und soziale Folgen hat? Wo sind Ihre Analysen über unsere westliche Energiepolitik und Ihre Konsequenzen für die ländliche Entwicklung in Afrika, Asien und Südamerika? Wo sind Ihre Alternativen zum Neoextraktivismus, der inzwischen global praktiziert wird?

Wir kennen die Folgen des heutigen Bergbaus. In keinem anderen Industriebereich sind mehr Menschenrechtsverletzungen zu verzeichnen. Nirgendwo wird die Umwelt so stark und irreversibel geschädigt wie in diesem Bereich.

Wo und wie setzen Sie sich für strukturelle Veränderungen in Deutschland und auf europäischer Ebene ein, die in den Entwicklungsländern weit mehr bewirken können als Projekte? Ich spreche hier zum Beispiel von einem kontrollierten, fairen globalen Finanz- und Steuersystem, das wir in Europa, Deutschland und weltweit etablieren müssen und das den Entwicklungsländern Milliardeneinnahmen sichern würde. Ich spreche natürlich auch von der Unternehmensverantwortung, die Sie immer wieder betonen. Aber Sie erklären den Leuten eben nicht, dass Sie das auf freiwilliger Basis machen möchten. Genau in dem Bereich der Unternehmensverantwortung brauchen wir Verbindlichkeit. Alles andere führt nicht zum Ziel.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wo sind Ihre Initiativen gegen die unsäglichen Freihandelsverträge? Im Ausschuss erklären Sie, Herr Minister, dass Sie sich wenigstens gegen die Deadline des EPA-Vertrages zum 1. Oktober wehren würden. Diese, so Ihre Begründung, sei völlig kontraproduktiv und würde vor allen Dingen die ärmsten Länder schädigen. Allerdings traue ich nicht allen verbalen Äußerungen, und deshalb habe ich schriftlich in Ihrem Haus nachgefragt. Die Antwort ist verblüffend. Sie lautet:

Und:

Die Bundesregierung treibt also die EU voran. Sie setzen den ärmsten Ländern der Welt die Pistole auf die Brust: Entweder unterschreibt ihr den Vertrag, oder euer privilegierter Marktzugang nach Europa ist Geschichte. Es ist doch schön, dass ich das schriftlich habe.

Herr Kollege, es gibt einen Wunsch aus der CDU/ CSU-Fraktion. Charles M. Huber möchte Ihnen gern eine Zwischenfrage stellen.

Herr Huber, gerne.

Herr Kollege Kekeritz, wenn wir über afrikanische Volkswirtschaften sprechen, sprechen wir in der Regel von informellen Volkswirtschaften. Ich habe dazu eine Frage: Wie wollen Sie in einer informellen Volkswirtschaft, wo die meisten Unternehmen nicht erfasst sind – deswegen heißt es „informelle Volkswirtschaft“ –, ein Steuersystem überhaupt implementieren?

Die Antwort ist ganz einfach: Wenn Sie meinen, dass das nicht geht, dann sind Sie in diesem Ausschuss falsch.

(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das funktioniert einfach nicht. Außerdem ist es völlig falsch, von „informellen Gesellschaften“ zu reden.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU: „Volkswirtschaften“!)

Sprechen Sie doch mal mit Kenianern oder mit Senegalesen und sagen Sie ihnen: „Ihr habt eine informelle Gesellschaft“!

Meine Antwort ist ganz klar: Ihre Fragestellung ist einfach falsch; die mit der Fragestellung implizierte Aussage ist grottenfalsch. Das muss ich Ihnen wirklich sagen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU: „Volkswirtschaften“! – Charles M. Huber [CDU/CSU]: Ich habe „Volkswirtschaften“ gesagt!)

– Ja, selbstverständlich, „Volkswirtschaften“. Was wollen Sie denn? Natürlich gibt es in vielen Ländern Steuersysteme. Es gibt das Problem der Korruption – das streitet keiner ab –, aber wir müssen das überwinden.

(Charles M. Huber [CDU/CSU]: Erklären Sie es mir nicht! Ich lebe zum Teil im Senegal!)

– Wenn Sie es eh wissen, warum fragen Sie dann?

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Charles M. Huber [CDU/CSU]: Ich frage nur, um zu schauen, ob Sie es auch wissen!)

– Natürlich weiß ich das. Ich beschäftige mich schon sehr lange mit der Situation, und ich kenne vor allen Dingen auch die Ausgaben des Bundesministeriums, die damit verbunden sind, dass die GIZ seit Jahren in vielen Ländern versucht, entsprechende Strukturen aufzubauen. – Herr Bundesminister, hoffentlich sagen Sie einmal Herrn Huber, dass Sie mit Ihrer Politik nicht völlig falsch liegen und sie nicht wirkungslos ist. – Danke schön.

Schade, wirklich schade, Herr Minister! Sie sind gerade dabei, sich Ihren positiven Ruf, den Sie aufgrund guter Rhetorik gewonnen haben, etwas zu verspielen. Wie glaubwürdig ist eine solche Rhetorik, wenn Sie nicht einmal den Schneid haben, einzugestehen, dass Sie gerade dabei sind, das 0,7-Prozent-Ziel mithilfe einer bereitwilligen SPD zu beerdigen!

(Dagmar G. Wöhrl [CDU/CSU]: Das hat kein Mensch gesagt!)

Das geschieht trotz der Unterschrift von Frau Pfeiffer unter einem Aufruf zur Erreichung des 0,7-Prozent- Ziels, die offensichtlich nicht mehr weiß, was sie vor drei Jahren unterschrieben hat. Da stand auch drin: „bis 2015“.

(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 2015!)

Daran erinnern Sie sich nicht mehr. Aber Sie meinen ganz genau zu wissen, dass die Grünen nicht seriös arbeiten und an Entwicklungspolitik überhaupt kein Interesse haben. Das halte ich für eine reife Leistung.

Unsere Partner in den Entwicklungsländern, die international tätigen Organisationen, die Zivilgesellschaft, aber auch der Deutsche Bundestag haben einen Anspruch, zu erfahren, wie Deutschland zukünftig seinen Verpflichtungen nachkommen wird. Dieses mehr als berechtigte Interesse, Herr Minister, umspielen Sie, aber nicht gut und nicht fair. Diese Politik ist letztlich ein böses Foul an den Ärmsten der Armen. Wer in einem Spiel zweimal die Gelbe Karte bekommt,

(Zuruf von der CDU/CSU: Fliegt vom Platz!)

der bekommt auch die Rote Karte. Aber Sie haben Glück: Jetzt kommen die Sommerferien.

Bei Ihnen droht gleich auch die Rote Karte, weil die Zeit schon stark überzogen ist.

(Heiterkeit)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3565494
Wahlperiode 18
Sitzung 42
Tagesordnungspunkt Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
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