25.06.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 42 / Tagesordnungspunkt II.11

Ursula von der LeyenCDU/CSU - Verteidigung

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Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal möchte auch ich mich bei den Haushaltsberichterstatterinnen und -erstattern für die ausgesprochen konstruktive Zusammenarbeit bedanken.

Frau Evers-Meyer, auch ich wünsche mir, dass die Schlagworte der nächsten sechs Monate oder des nächsten Jahres ausschließlich Fortschritt und Modernisierung lauten. Aber ich glaube, ich bin Realistin genug, um zu wissen, dass es angesichts eines so großen Haushalts, hinter dem eine 250 000 Mann starke Belegschaft und, wie wir wissen, immer wieder Großprojekte stehen, blauäugig wäre, zu glauben, es würden sich nicht tagtäglich auch Probleme ergeben.

(Karin Evers-Meyer [SPD]: Aber man darf sich ja etwas wünschen!)

Wir sind ja auch dazu da, diese Probleme zu lösen. Das wollen wir gemeinsam angehen.

Ich habe vorhin sehr aufmerksam gelauscht, als sich Frau Buchholz darüber ausgelassen hat,

(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Das lohnt nicht!)

in welchen Krisen und Konfliktherden die Bundeswehr im Rahmen der Bündnisse einen Beitrag leistet. Wenn man sich die ersten sechs Monate dieses Jahres vor Augen führt, stellt man fest: Zu Anfang hatten wir nicht den Hauch einer Vorstellung davon, was im Osten Europas los sein wird.

(Henning Otte [CDU/CSU]: Oh ja!)

Es gab zwar Konflikte in Afrika, aber von Zentralafrika war in dieser Dimension noch überhaupt keine Rede. Die Situation in Mali hatte noch nicht die Brisanz, die wir inzwischen erleben. Schwierig ist nach wie vor die Situation in Somalia. Hinzu kommt der Krisenbogen vom Norden Afrikas über den Irak, Afghanistan und Pakistan; das ist neu. All das sind Themen, von denen wir in dieser Kombination vor sechs Monaten nichts geahnt haben.

Die sicherheitspolitische Lage ist und bleibt angespannt. Sie ist hochkomplex. Gerade in diesem Zusammenhang erwarten unsere Bündnispartner, dass sich Deutschland tatsächlich gemäß seinem Gewicht und seiner Größe einbringt. Das war der Sinn der Debatte, die auf der Münchner Sicherheitskonferenz ausgelöst wurde und jetzt fortgeführt wird.

Ich finde es ganz interessant, dass man an dieser Debatte auch sieht, wie dringend es ist, dass wir sie führen. Denn von denjenigen, die sie im Grundsatz ablehnen, wird sie erst einmal nur schwarz-weiß geführt; sie sind gar nicht bereit, sich auf eine differenzierte Debatte einzulassen. Deshalb habe ich mich gefreut, Frau Brugger, dass Sie heute Nachmittag in der UNIFIL-Debatte sehr deutlich gesagt haben: Wir dürfen uns nicht achselzuckend abwenden. – Das kommt mir sehr vertraut vor. „ Indifferenz ist keine Option“, habe ich stattdessen gewählt.

Frau Brugger, so wie ich Sie und die Grünen kenne, würde ich niemals so platt wie unter anderem die Linke reagieren – das gilt manchmal aber auch für andere Diskutanten – und sagen: Nur weil Sie Verteidigungspolitikerin sind, gehe ich davon aus, dass der Satz: „Wir dürfen uns nicht achselzuckend abwenden“ automatisch heißt, dass Sie mehr Militäreinsätze und mehr Kampfeinsätze verlangen. – Nein, so platt würde ich niemals argumentieren. Gerade weil Sie Verteidigungspolitikerin sind und deshalb den umfassenden sicherheitspolitischen Ansatz, den die große Mehrheit in diesem Hause verfolgt, teilen, wissen Sie nämlich ganz genau, dass Mili-täreinsätze immer in die vernetzte Sicherheit eingebettet sind, dass Diplomatie und wirtschaftlicher Aufbau immer den Vorrang haben. Aber wir wissen eben auch, dass Militäreinsätze manchmal als Ultima Ratio, also zum Schluss, notwendig sein können, um Völkermord, Genozid, zu verhindern, um Parteien, die einander bekämpfen, zu trennen und dann Versöhnungsarbeit zu leisten. Deshalb bin ich der festen Überzeugung, dass wir dieses Konzept der vernetzten Sicherheit richtig verstehen und dass wir deshalb auch die Sätze, dass man sich nicht achselzuckend abwenden kann oder dass Indifferenz keine Option ist, richtig verstehen. Das sollte die Grundlage unserer differenzierten Debatte sein.

(Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Unsere Bündnispartner erwarten, dass wir uns einbringen. Wir sind das größte Mitglied der EU, wir sind der zweitgrößte Beitragszahler in der NATO, wir sind drittgrößter Beitragszahler bei den Vereinten Nationen, viertgrößter bei den Peacekeeping-Missionen. Das heißt, durch unser Engagement können wir frühzeitig mitgestalten und dort Einfluss nehmen, wo unser Beitrag einen Unterschied macht. Das ist eine Frage der Grundhaltung.

Ich möchte noch einmal auf das Thema von heute Nachmittag, dass sich die Vereinten Nationen einen stärkeren Beitrag von Deutschland wünschen, eingehen. In diesem Zusammenhang ist die Debatte über die Transall aufgekommen. Ich habe ein bisschen gestaunt, Frau Buchholz, dass Sie jetzt auch noch Friedensmissionen der Vereinten Nationen ablehnen.

(Christine Buchholz [DIE LINKE]: Diese Friedensmission!)

Das war schon sehr verblüffend. Ich darf vielleicht einmal den Vizegeneralsekretär der Vereinten Nationen, Jan Eliasson, zitieren – Sie können das bei dpa nachlesen; das ist gestern gelaufen –:

Klarer kann man nicht sagen, dass der deutsche Beitrag von den Vereinten Nationen aktuell gewünscht wird, und dem wollen wir auch entsprechen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich finde, zu einer differenzierten Debatte gehört auch, dass wir gerade beim Thema Transall hören, was die VN sagen:

Das heißt, kein Wort davon, dass die Vereinten Nationen im Grundsatz keinen stärkeren Beitrag von Deutschland wollen – das Gegenteil ist der Fall. Ich finde es völlig legitim, dass die VN auch sagen, sie brauchen das richtige Material für die klimatischen Bedingungen.

Das ist auch ein Ausdruck dafür, dass es allerhöchste Zeit wird, dass der A400M auf den Hof kommt, damit wir dieses Flugzeug endlich nutzen können.

(Beifall der Abg. Henning Otte [CDU/CSU] und Karin Evers-Meyer [SPD])

– Da bin ich ganz bei Ihnen, Frau Evers-Meyer. – Ich erwarte, dass im November dann tatsächlich das erste Flugzeug ausgeliefert wird, damit wir uns auch mit modernem Material in die Mission einbringen können, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und zu welchem Preis?)

Diese Diskussion zeigt: Jede Krise ist anders. Ich möchte der Ordnung halber einmal festhalten – es gab in den letzten Tagen eine Diskussion über den Einsatz Active Fence in der Türkei –: Nein, es ist nicht so, wie zum Teil kolportiert wurde, dass der Einsatz infrage steht, weil Deutschland nicht durchhaltefähig ist. Das ist nicht der Fall, Deutschland ist durchhaltefähig bei Active Fence. Der Oberbefehlshaber der NATO hat Ende Mai bei der regelmäßigen Überprüfung festgestellt, dass das Bedrohungspotenzial sinkt. Wir wissen, dass der Abtransport der syrischen Chemiewaffen erfolgreich ist. Es sind schon bis zu 100 Prozent aus dem Land gebracht. Wir wissen noch nicht, ob alle Lager tatsächlich identifiziert sind. Aber es gibt bei der NATO bisher keine Festlegung zur Zukunft des Einsatzes. Deshalb bleibt es auch bei der Verantwortung der Bundeswehr für diesen Einsatz. Ich will nur noch einmal festhalten: Wir sind bei diesem Einsatz durchhaltefähig.

In der Debatte kam in den letzten Tagen – das spiegelt auch unser Haushalt wider – die Frage auf, ob wir in der NATO genügend Beitrag leisten angesichts der Tatsache, dass die Vereinigten Staaten einen hohen Beitrag leisten und dass die Forderung im Raum steht, jedes Land müsse 2 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für Verteidigungsausgaben dort einbringen. Ich glaube, es lohnt sich, diese Debatte zu führen – und das fällt auch unter den Begriff „differenzierte Debatte“ –; denn ich bin der festen Überzeugung: Wenn ich mir die Entwicklung der Verteidigungsetats der letzten Jahre anschaue, ist die Frage nicht so sehr, ob 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aufgewendet werden; denn dann müsste man fragen: 2 Prozent wovon? Es gibt Länder, die ihre Verteidigungshaushalte in den letzten Jahren drastisch gekürzt haben. Das Bruttoinlandsprodukt ist dort zum Teil aber schneller gesunken, als die Verteidigungshaushalte gekürzt werden konnten, sodass in Relation die 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts durch eine schrumpfende Wirtschaft eher erreicht wurden. Bei uns ist das Problem – in Anführungsstrichen – eher umgekehrt: Unsere Wirtschaft ist robust, unser Bruttoinlandsprodukt wächst.

Wir alle wissen – darum geht es in der Debatte über diesen Bundeshaushalt hier –, dass wir uns bemühen, den Anteil des Staates insgesamt zu reduzieren. Deshalb bin ich der festen Überzeugung, dass wir nicht so viel darüber diskutieren sollten, ob 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts das Maß aller Dinge sind; denn eine schrumpfende Wirtschaftsleistung führt ja nicht zu einer stärkeren Verteidigung, sondern im Gegenteil: Wir sollten darüber diskutieren, wie und wofür wir das Geld einsetzen. Das sollte in der Debatte auf dem nächsten NATO-Gipfel der Weg für uns gemeinsam sein.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das heißt, wir brauchen Investitionen in Fähigkeiten, in Hochtechnologie und in gutes Personal. Hier bin ich bei Ihnen, Frau Evers-Meyer. Sie haben gefordert, mehr Faktenklarheit über die Großprojekte und die Rüstungsprojekte zu bekommen. Das ist doch genau der Grund, warum wir im Frühjahr dieses Jahres gesagt haben: Wir müssen eine gemeinsame Basis herstellen, sodass wir wissen, wie die 15 größten Rüstungsprojekte – es laufen weitaus mehr, weshalb auch die Ausgaben weiter getätigt werden müssen und der Haushalt nicht in einem Moratorium enden darf – in Bezug auf die Vollkosten insgesamt zu beurteilen sind. Das ist der Sinn der Expertenkommission, die die Statusberichte im Sommer noch einmal spiegeln wird.

Ich bin der Meinung: Es ist gut und an der Zeit, dass wir für diese Transparenz sorgen; denn es ist das oberste Gebot und die Pflicht eines Ministeriums, gegenüber dem Souverän und den Haushältern, die die Mittel genehmigen, Transparenz in Bezug auf die tatsächliche Kostenentwicklung und die Risiken herzustellen. Das ist mein Ziel, das ich mit dem Einsetzen dieser Expertengruppe verfolge.

Wir haben hier über die globale Minderausgabe von 400 Millionen Euro debattiert. Ja, eine globale Minderausgabe von 400 Millionen Euro im Verteidigungshaushalt schmerzt; das sage ich ganz offen. Ich bin aber lange genug Ministerin, um zu wissen, dass eine globale Minderausgabe, die auch alle anderen Haushalte betrifft, Ausdruck des gemeinsamen Verständnisses ist, dass der Bundeshaushalt konsolidiert werden muss. Ich finde das richtig.

Herr Kalb hat vorhin sehr deutlich über die globale Minderausgabe und das Geld gesprochen, das zurückfließt, weil es voraussichtlich nicht ausgegeben wird. Diese Beträge werden in den nächsten Jahren kompensiert, wenn das Material, das dann geliefert wird, auch zu bezahlen ist. Ich finde es klüger, das Geld in einem Haushalt, das voraussichtlich nicht ausgegeben wird, tatsächlich einzusparen, um das Ziel eines konsolidierten Haushaltes zu erreichen, als darauf zu sitzen und eifersüchtig gegenüber den anderen Ressorts darüber zu wachen, und ich finde es sehr sinnvoll, die Rechnungen zu begleichen, wenn sie anfallen. Da ich mich auf die Haushälter verlasse und weiß, dass ich ihnen vertrauen kann, weiß ich auch, dass die Kostenplanung für den Haushalt in den nächsten Jahren in guten und sicheren Händen ist.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Damit bin ich beim Thema Attraktivität. Frau Evers- Meyer, ich kann Sie beruhigen: Die 103 Millionen Euro, die wir bis 2018 für die Steigerung der Attraktivität zur Verfügung stellen werden, betreffen die untergesetzlichen Maßnahmen. Ich kann Ihnen versichern, dass ein Artikelgesetz, das mehr Kosten nach sich ziehen wird, weil es die ganzen Themen aufgreift, die im Koalitionsvertrag bereits verankert sind, Ende September ins Kabinett eingebracht und dann diesem Hohen Haus auch vorgelegt werden wird. Ich bin ganz Ihrer Meinung, dass wir die Attraktivität der Bundeswehr in der Tat auch durch konkrete Maßnahmen – in diesem Gesetz werden zum Beispiel Zulagen behandelt; das ist ja auch im Koalitionsvertrag verankert – weiter steigern müssen.

Wir werden, wenn man nach vorne schaut, 2 bis 3 Prozent eines jeden Jahrgangs in der Bundeswehr brauchen – und zwar nicht als Bewerber, sondern als Einstellungen; 2 bis 3 Prozent sind richtig hohe Zahlen –, wenn wir die Qualität und die Quantität, die in der Neuausrichtung vereinbart worden sind, auf Dauer erhalten wollen. Um das zu erreichen, müssen wir als Arbeitgeber, als Dienstherr deutlich bessere Rahmenbedingungen schaffen.

Ich habe ganz oft den Satz gehört: Soldatin oder Soldat zu sein, ist kein Beruf wie jeder andere. – Ja, es ist richtig: Das ist kein Beruf wie jeder andere. Wir verlangen von diesen Männern und Frauen viel, mehr als von vielen anderen, gerade in den Einsätzen. Wir verlangen das Beste von ihnen. Gelegentlich erwarten wir auch, dass sie in Einsätzen Leib und Leben gefährden. Das sollte man deutlich aussprechen.

Ich sehe überhaupt nicht ein, warum das ein Grund sein sollte, diese Menschen hier zu Hause im Grundbetrieb schlechter und anders als jeden anderen und jede andere Beschäftigte zu behandeln. Ich finde, es muss eine Selbstverständlichkeit sein, hier im Land die besten Rahmenbedingungen zu bieten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Ich sehe gerade mit Schrecken, dass ich meine Redezeit schon weit überschritten habe, Frau Präsidentin. Deshalb werde ich einen direkten Schlenker zu meinen Schlussworten machen.

Ich bitte Sie darum – Entschuldigung, dass es so lange gedauert hat –, gemeinsam eine solide Grundlage zu schaffen, auf der wir den eben skizzierten Herausforderungen, die in den nächsten Jahren auf uns zukommen werden, begegnen können, und freue mich mit Blick auf diesen Haushalt, den wir hoffentlich in dieser Woche so verabschieden werden, auf eine konstruktive Zusammenarbeit.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, zu glauben, dass, wenn ein Minuszeichen vor der Zeitanzeige der Uhr erscheint, die noch verbleibende Redezeit angezeigt wird. Aber bei einer erfahrenen Parlamentarierin gehe ich davon aus, dass sie das Zeichen versteht. Wir werden darüber sicherlich gleich noch verhandeln.

Erst einmal hat der Kollege Michael Leutert für die Fraktion Die Linke das Wort.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3565664
Wahlperiode 18
Sitzung 42
Tagesordnungspunkt Verteidigung
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