Rainer ArnoldSPD - Verteidigung
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren den Verteidigungshaushalt vor dem Hintergrund einer Welt, in der an allzu vielen Stellen vieles in Unordnung geraten ist. Die Risiken – die Ministerin hat es beschrieben – rücken näher an Europa heran, und mit der Ukraine haben wir eine Problemzone mitten in Europa.
Um nicht missverstanden zu werden: Keines dieser Probleme ist ausschließlich militärisch zu lösen. Sie sind komplex. Es gibt keine einfachen Analysen, keine einfachen Antworten. Aber sie machen eines sichtbar: Wir brauchen eine leistungsfähige Bundeswehr. Dies erwarten auch die Bürgerinnen und Bürger von der Politik.
Wir lernen auch immer mehr. Kein Land, auch nicht die USA, wird alleine mit diesen großen Herausforderungen der Welt fertig. Deshalb ist es notwendig, dass wir als Deutsche in den internationalen Bündnissen ein verlässlicher Partner mit angemessenen Fähigkeiten sind.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Vor diesem Hintergrund ist es wichtig und überfällig, dass die Rolle und Verantwortung Deutschlands in der Welt diskutiert wird. Davon leiten wir ab, welche Streitkräfte wir brauchen. Wenn wir merken, dass sich die Welt verändert hat, brauchen wir auch die Kraft und den Mut, darüber zu reden, ob das, was vor zwei Jahren noch alles gegolten hat – auch bei der Reform –, uns heute noch in die Zukunft führen kann. Dazu gehört auch ein auskömmlicher Bundeshaushalt – selbstverständlich. Ich meine, die 32 Milliarden Euro sind auskömmlich. Ich will ausdrücklich unserer Haushälterin Karin Evers-Meyer für die nicht nur kollegiale, sondern auch freundschaftliche Zusammenarbeit in den letzten Monaten danken.
Aber: Natürlich tut es Fachpolitikern weh, wenn 400 Millionen Euro gestrichen werden. Die 400 Millionen Euro sind auch überproportional viel im Vergleich zu anderen Etats.
(Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört! Da haben Sie recht!)
Da dürfen wir nicht drumherum reden. Die Rechnungen werden in den Folgejahren kommen; denn hoffentlich findet dann auch der Zufluss der großen Projekte statt. Das Geld muss dann auch da sein. Wenn uns dies nicht gelingt, werden wir wieder eine Bundeswehr haben, die plötzlich über neue Geräte verfügt, aber im inneren Gefüge hohle Strukturen aufweist und gar nicht in der Lage ist, diese Geräte tatsächlich so zu verwenden und einzusetzen, wie es notwendig wäre.
Ich verstehe die Haushälter: Wenn es der Regierung nicht gelingt, den Mittelabfluss haushaltskonform zu gestalten, darf man nicht unnötig Geld in den Etat einstellen. Auch wir wollen unseren Beitrag zur Haushaltskonsolidierung leisten. Schließlich sind wir keine Fachpolitiker mit Scheuklappen. Aber es ist ganz klar: Die Intransparenz im Verteidigungsressort führt dazu, dass viel zu spät erkannt wird, wo die Risiken in den Projekten liegen, und dass dann nicht mehr rechtzeitig gegengesteuert werden kann. Insofern ist der Weg, den die Ministerin geschildert hat, richtig. Man darf nicht einfach nur annehmen und Ja sagen, sondern man muss alles noch einmal kontrollieren. Das ist überfällig. Aber, Frau Ministerin, es ist ebenfalls überfällig, dass die Spitzen, die für diesen Bereich Verantwortung tragen, nun besetzt werden; das ist notwendig. Wir haben auch keine hundert Tage Zeit mehr für Diskussionen und Einarbeitung. Wir müssen im Herbst eine ganze Reihe schwieriger Entscheidungen treffen.
Über das Versagen und die Verantwortung der Rüstungswirtschaft wurde hier schon geredet. Wir sollten uns Regressforderungen, die die öffentliche Hand hat, nicht leichtfertig abhandeln lassen, sondern auch ein Zeichen setzen, das deutlich macht: Versprochen ist versprochen, und Verträge gelten nicht einseitig, sondern für beide Seiten.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Teil der Debatte über die Verantwortung Deutschlands in der Welt ist die Frage: Wollen wir in Zukunft die Kernfähigkeiten der Rüstungswirtschaft in Deutschland erhalten? Es wird bei schrumpfenden Etats sicherlich nicht gelingen, alle diese Fähigkeiten zu erhalten. Aber welche sind uns wichtig? Wollen wir abhängig werden von amerikanischen Produkten, oder wollen wir im Sinne von eigener Souveränität gemeinsam mit der Rüstungswirtschaft – deshalb, liebe Kollegen von der Linken, müssen wir mit Vertretern dieser Branche reden – einen Pfad finden und für eine gewisse Grundauslastung sorgen, sodass das Ingenieurwissen, das in vielen Bereichen in Deutschland sehr gut ist, tatsächlich erhalten werden kann? Das hat nichts mit Wirtschaftspolitik zu tun, sondern mit Sicherheitspolitik und der Wahrung nationaler Interessen. Diesen Pfad müssen wir beschreiten.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Ich finde es interessant, zu sehen, wie reflexhaft manche in unserer Gesellschaft, aber auch in der Politik – ich muss nur auf die linke Seite schauen – reagieren, wenn Politiker über die Rolle Deutschlands in der Welt reden. Meine Damen und Herren von der Linken, die Äußerungen Ihres Kollegen aus Brandenburg sind wirklich unentschuldbar. Statt Zurufe zu machen, sollten Sie sich entschuldigen und vielleicht auch ein bisschen schämen, dass jemand aus Ihren Reihen so etwas sagt.
(Karin Binder [DIE LINKE]: Entschuldigen? Wo gibt es denn so was? Das ist ja wohl ein Unding!)
Ich habe mir heute vorgenommen, mich nicht mit Ihnen, meine Damen und Herren von der Linken, auseinanderzusetzen; denn Sie malen sich ein surreales Bild der Welt. Das heißt, das hat mit der Realität nichts zu tun. Das ist ein Fantasie- und Traumgebilde. Auf die Welt, wie Sie sie malen, geben Sie Ihre politischen Antworten.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Dies ist keine Basis für eine ernsthafte Diskussion. Stellen Sie sich endlich der Wirklichkeit! Dann werden wir logischerweise über den richtigen Weg zwischen Regierung und Opposition streiten. Aber solange Sie sich nicht der Realität stellen, ist alle Mühe in dieser Beziehung vergebens.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Der Bundespräsident hat einen nachdenklichen, reflektierten Beitrag zu dieser Diskussion geleistet; der ist in Ordnung. Wir sind froh, dass vom Bundespräsidenten solche Impulse kommen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Es ist doch ganz eindeutig: Dort, wo Politik, dort, wo Diplomatie, dort, wo Prävention versagt, und dort, wo sich kriminelle Energien mit ethnischen Interessen und übelsten Verbrechen wie Menschenhandel verbinden und wo islamistischer Fanatismus hinzukommt, wird es leider immer nur eine Antwort geben.
(Christine Buchholz [DIE LINKE]: Waffenlieferungen!)
Dort, wo Menschenrechte übelst missachtet werden wie im Norden Malis oder in Zentralafrika, wird es Situationen geben, in denen man die Kraft haben muss, sich dazu zu bekennen, dass wir Streitkräfte brauchen, die sich notfalls mit Waffengewalt schützend vor die Menschen stellen. Etwas anderes ist in solchen Situationen nicht möglich.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Man kann mit solchen Menschen nicht verhandeln. Man muss sie abwehren. Das ist die Wirklichkeit, von der ich spreche.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Nun wird auch durch die Krise in der Ukraine in der NATO der Ruf immer lauter, mehr Geld auszugeben. Das ist eine Illusion. Wir wissen das. Es gibt nicht mehr Geld, auch nicht in Deutschland. Das ist ganz klar. Aber richtig und wichtig ist auch, dass wir die Befindlichkeiten der Balten und der Polen, die aus der Historie begründet sind, zumindest verstehen. Ich bin sehr froh, dass die deutsche Regierung, insbesondere der Außenminister, dieses Verständnis aufbringt, gleichzeitig aber auch in den NATO-Gremien mäßigend wirkt.
Es kommt nicht darauf an, mehr Soldaten in Osteuropa zu stationieren, es kommt nicht darauf an, mehr Geld in die NATO zu pumpen, sondern es kommt in erster Linie darauf an, mehr Intelligenz in die NATO zu geben. Wir müssen mehr darüber nachdenken, wie wir dieses Bündnis leistungsfähig halten, aber wir sollten es auch nicht schlechtreden. Die NATO gibt insgesamt zehnmal so viel für die Streitkräfte aus, wie es die Russen tun. Die NATO hat auch insgesamt in fast allen Bereichen zehnmal mehr Fähigkeiten, ganz eindeutig. Das Problem ist aber klar: Dies alles gilt nur, wenn man die USA mit einbezieht.
Wir Europäer haben Defizite. Deshalb ist es richtig und notwendig, die europäischen Fähigkeiten durch eine bessere Vernetzung und Verzahnung zu stärken, nicht durch mehr Geld. Es darf nicht sein, dass wir die 260 Milliarden, die Europa ausgibt, so ineffizient einsetzen, wie es in Europa geschieht. Ich bin der Meinung, dass jetzt ein Zeitfenster offen ist, um innerhalb der NATO, zum Beispiel auf dem Gipfel, mit einem Framework-Konzept und mit vielen anderen Dingen Impulse zu setzen. Auch in der Europäischen Union wurden diese Woche gute Impulse gesetzt, und zwar durch die Rede von Herrn Juncker und durch das Ansinnen, die Rüstungswirtschaft enger zu verzahnen. Jetzt brauchen wir eine Bundesregierung, die das als Motor vorantreibt. Wir werden Sie dabei unterstützen. Der entscheidende Weg ist, eine engere Verzahnung und Arbeitsteilung herzustellen.
An unseren Koalitionspartner und die lieben Freunde gerichtet, sage ich: Es geht uns bei dieser Diskussion nicht darum, recht zu haben, ob „Breite vor Tiefe“ richtig oder falsch war und ist. Es geht uns darum, eine erfolgreiche Regierung nach dreieinhalb Jahren zu haben und ein lernendes System zu bleiben. Es sind nur noch drei Jahre, Herr Kollege Otte, die Zeit vergeht. Wir möchten die Ministerin ermuntern, diese Veränderungen aufzunehmen. Wir sind dankbar und froh und unterstützen dies auch, dass Sie die Aufforderung im Koalitionsvertrag aufgenommen haben und bis Ende des Jahres eine Evaluierung mit den Maßnahmen, die zu Änderungen führen, vorlegen werden.
Das Stichwort Attraktivität haben Sie schon genannt. Ich sage nur, weil meine Redezeit zu Ende geht: Wir werden Sie in dem Bereich, den wir immer gefordert haben, auch da, wo Sie neue Impulse setzen und wo Sie vieles aufnehmen, was im Koalitionsvertrag steht, gegen alle Störfeuer, egal von welchen Seiten sie kommen mögen, verteidigen.
(Michaela Noll [CDU/CSU]: Das freut mich!)
Denn man muss erkennen: Attraktivität und gute Ausstattung stehen nicht miteinander in Konkurrenz, sondern das sind zwei Seiten einer Medaille. Wenn eine Prägung nicht stimmt, haben wir am Ende eine schlechte Bundeswehr. Deshalb werden wir beides in den nächsten Jahren voranbringen. Das ist der Schlüssel für den Erfolg. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir all die Dinge, die wir derzeit diskutieren und die wir aufs Gleis setzen werden, in den nächsten drei Jahren realisieren werden. Das ist anspruchsvoll; wir werden dabei mithelfen, soweit wir das als Parlamentarier können.
Kollege Arnold, das müssen Sie jetzt mit Ihren Kollegen austragen.
Ich bin gleich fertig. – Dann wird diese Koalition die Sicherheitsinteressen der Deutschen gut vertreten haben, diese Koalition wird dann am Ende eine richtig gute Koalition für die Menschen, die in der Bundeswehr sind, gewesen sein.
Recht herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Die Kollegin Doris Wagner hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3565668 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 42 |
Tagesordnungspunkt | Verteidigung |