Michael LeutertDIE LINKE - Auswärtiges Amt
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, ich will in der Kürze der Zeit versuchen, auf einen Punkt einzugehen. In unserem Berichterstattergespräch haben Sie in einem sehr nachdenklichen Beitrag Ihre Einschätzung darüber gegeben, wie es derzeit in der Welt aussieht. Ich fand es schon sehr bedrückend, was Sie erzählt haben. Man kann den Eindruck bekommen, dass derzeit vieles um uns herum zusammenbricht; das wurde schon angesprochen. Ob das die Ukraine ist – die gerade Thema war –, ob das Irak, Syrien oder der ganze Nahe Osten ist, ob in Afrika, zum Beispiel in der Zentralafrikanische Republik: Überall gibt es Probleme. Die Bundeswehr ist derzeit an 18 internationalen Einsätzen beteiligt. Weltweit gibt es 17 Friedensmissionen der UN.
Man denkt immer, das alles ist sehr weit weg, aber dem ist nicht so. Die am weitesten entfernten Krisenherde liegen 5 000 Kilometer von hier, das sind zehn Flugstunden. Wenn man die Situation auf der Karte betrachtet, sieht man, dass es in Fernasien und auf dem ganzen amerikanischen Kontinent keinen einzigen Einsatz gibt.
Die Einsätze finden in den Krisenherden um uns herum statt: Afrika, Mittlerer und Naher Osten, aber auch in Europa, und das wird immer wieder vergessen. Allein in Europa gibt es sechs Einsätze: einen im Kosovo, zwei im Mittelmeer, einen in der Türkei, einen auf Zypern – er hat dieses Jahr im Übrigen 50-jähriges Jubiläum – und einen in der Ukraine. Das bedeutet, die Probleme finden nicht irgendwo da draußen statt, sondern sie sind nicht fern von hier.
Ich glaube, wir sind uns alle einig, liebe Kolleginnen und Kollegen: Die Probleme können nicht militärisch gelöst werden, aber sie müssen gelöst werden. Wenn ich mir die Debatten der letzten Wochen und Monate hier in Deutschland anschaue, dann bin ich mir nicht ganz sicher, ob wir in der Lage sind, dazu beizutragen, diese Konflikte zu lösen.
Es gibt viele, die meinen, Deutschland müsse sich international mehr engagieren, auch militärisch. Viele sind der Meinung, das müsse nicht nur Deutschland tun, sondern eigentlich Europa. Allerdings befindet sich die Europäische Union derzeit in einem Zustand, angesichts dessen man bezweifeln mag, ob sie dazu in der Lage ist: Finanz- und Schuldenkrise, ökonomische Probleme und soziale Verwerfungen und meines Erachtens auch ganz klar politische Probleme. Dies wird am Postengeschacher nach der Wahl zum Europäischen Parlament deutlich, bei dem es darum geht, ob nun der eine Kommissionspräsident wird und der andere dafür Parlamentspräsident.
(Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Hat doch ein gutes Ende genommen!)
Das ist eine Verhöhnung der Wählerinnen und Wähler, so als hätten wir überhaupt keine Wahlen gehabt.
(Alois Karl [CDU/CSU]: Wie geht es bei euch bei Vorstandswahlen?)
Wir brauchen in Europa – und darum geht es mir – klare, transparente, verlässliche und demokratische Strukturen, auf die sich die Menschen verlassen können. Wir brauchen Strukturen und Regeln – über Regeln hat der Außenminister gerade gesprochen –, denen die Menschen in Europa auch wieder vertrauen. Das geht nur, wenn wir endlich dafür sorgen, dass die EU eine Verfassung bekommt, die auch dem Europäischen Parlament die notwendigen Rechte zuschreibt, und die Kommission
(Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat denn den Vertrag von Lissabon abgelehnt?)
vom Parlament bestimmt wird, so wie es eine ganz normale demokratische Gepflogenheit ist. Egal was in der Vergangenheit stattgefunden hat: Das ist die heutige Faktenlage. Ich bin der Meinung, wir brauchen einen Neustart für eine europäische Verfassung.
(Beifall bei der LINKEN)
Diese Debatte zu führen und den Prozess zu begleiten, ist auch Aufgabe des Auswärtigen Amts. So steht zum Beispiel im Vorwort des heute abzustimmenden Etats: Das Auswärtige Amt dient dem Aufbau eines vereinten Europas. – Das spiegelt sich bei den Ausgaben aber überhaupt nicht wider.
Zwei Titel im Etat des Auswärtigen Amts beschäftigen sich mit Europa. Der eine Titel lautet „Förderung des europäischen Gedankens“ und ist mit 800 000 Euro ausgestattet, der andere Titel lautet „Intensivierung der europäischen Integration“ und hat 2 Millionen Euro. Mehr nicht. Insgesamt sind das 2,8 Millionen Euro. Vorhin wurde davon gesprochen, dass 3,6 Milliarden Euro ein Bikinihaushalt sind. Was sind dann diese 2,8 Millionen Euro für die europäische Integration?
(Alois Karl [CDU/CSU]: Ein Stringtanga!)
Herr Minister, liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, ich glaube, es ist ein Fehler, dass wir dafür nicht mehr Geld bereitstellen. Wenn sich Europa nicht schnell zu einer echten politischen, sozialen und wirtschaftlichen Union weiterentwickelt, werden wir die Konflikte in und um Europa nicht lösen können. Eine Währungsunion allein reicht dafür nicht.
Kommen Sie bitte zum Ende.
Ich bin davon überzeugt – das ist mein letzter Schachtelsatz –: Nur ein demokratisches, soziales, friedliches und stabiles Europa wird die Kraft haben, die Krisen um uns herum und die Krisen in Europa nachhaltig zu lösen. Dazu sollten wir unseren Beitrag auch im Haushalt leisten.
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)
Vielen Dank, Herr Kollege. Der Schachtelsatz hielt sich aber in Grenzen.
(Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Zu mehr reicht es nicht!)
Nächster Redner ist Philipp Mißfelder für die CDU/ CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3565832 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 42 |
Tagesordnungspunkt | Auswärtiges Amt |