Sigmar GabrielSPD - Wirtschaft und Energie
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich zuerst ein paar Bemerkungen zu den Fragen bzw. zu der Kritik des Kollegen von der Linken und der Kollegin von den Grünen sagen.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Lohnt eigentlich nicht!)
– Doch, so viel Fairness muss sein. – Sie haben zuerst kritisiert, dass wir ein umfangreiches Änderungspaket zum EEG eingebracht hätten. Ich finde, ehrlich gesagt, das Lesen von fünf Seiten, auf denen präzise steht, worum es bei den Änderungen geht, ist keine intellektuelle Überforderung.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: 204 Seiten! – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielleicht hat die SPD die Kurzfassung bekommen! – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 204 Seiten!)
– Ist doch gut! Ihr habt doch morgen noch eine Gelegenheit, zu schimpfen.
(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Einfach überheblich! – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Arrogant!)
Aber das Ergebnis ist: Es geht um fünf Seiten, die erklären, was gesetzestechnisch in einer Synopse umgesetzt wurde, wo ganz häufig „Der Text bleibt unverändert“ steht. Daraus machen Sie einen Riesenpopanz.
Viel wichtiger wäre, dass Sie sich beide mit der Frage auseinandersetzen, ob wir eigentlich diese Querintervention der Europäischen Union nicht im Gesetz hätten beantworten sollen. Sie setzen sich gar nicht mit dem Inhalt auseinander.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Keine Sorge!)
Ich kenne die Position der Linkspartei dazu nicht, aber eigentlich müssten die Grünen der Bundesregierung sagen: Es ist richtig, dass Sie sich weigern, Stromimporte nach Deutschland von der EEG-Umlage zu befreien. Sie wissen doch, dass Teile der Kommission seit Jahren das Ziel haben, nationale Fördersysteme wie das EEG zu zerstören.
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Ihr Kommissar Oettinger!)
Dies ist – das wissen Sie doch – ein weiterer Angriff in dieser Richtung. Das hat die Kommission am 17. Juni und am 22. Juni gemacht, nachdem wir sechs Monate von der Kommission – –
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Ihr Kommissar Oettinger!)
– Herr Krischer, ich weiß ja, dass es mit dem Zuhören bei Ihnen schwierig ist.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr richtig!)
Trotzdem bin ich aber wirklich ganz ruhig. Ich will nur versuchen, zu erklären, dass ich glaube, dass Sie darüber froh sein müssen,
(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dass die anderen schuld sind! – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hauptsache, die anderen sind schuld!)
dass wir diesen Angriff zur Zerstörung des EEG nicht mitmachen, Herr Krischer.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Herr Minister, der Kollege Schlecht würde Ihnen dazu gerne eine Zwischenfrage stellen. Lassen Sie die zu?
Selbstverständlich, gerne.
Herr Minister, in der Stuttgarter Zeitung steht heute die Meldung, dass EU-Kommissar Günther Oettinger verlautbart hat, dass der Streit zwischen Brüssel und Berlin in dieser Woche nicht mehr beigelegt werden kann. Wenn das so stimmt, wie wollen Sie dann guten Gewissens morgen eine entsprechende Gesetzesvereinbarung hier durch das Parlament bringen? Das ist doch abenteuerlich – ganz abgesehen von dem Schweinsgalopp, der hier kritisiert worden ist. Aber rein sachlich: Sie wollen morgen etwas beschließen, obwohl im Grunde die Inhalte noch gar nicht ausverhandelt sind. Das ist doch wirklich abenteuerlich.
Herr Kollege, es gibt bei der Frage, ob der Deutsche Bundestag oder die Koalitionsfraktionen einen Angriff der EU zur Zerstörung des EEG zulassen sollen, keine Verhandlungsmöglichkeit.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Wir sagen hier im Deutschen Bundestag und gegenüber der Kommission, dass wir die Position der Kommission für rechtswidrig halten und dass wir deshalb bei der Position bleiben, die wir jetzt im Gesetzentwurf sozusagen noch einmal hervorgehoben haben. Das ist im Wesentlichen die Änderung. Es gibt bezüglich der Frage der Möglichkeit der Förderung erneuerbarer Energien in Deutschland nichts zu verhandeln.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Herr Kollege, ich verstehe es deswegen nicht, dass Sie angeblich Zeit zur Beratung dieser Frage brauchen. Wenn Sie dafür Zeit brauchen, halten Sie die Zerstörung des EEG für denkbar und möglicherweise sinnvoll. Das unterscheidet uns ganz erheblich.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Bezüglich des zweiten Punktes gehe ich eigentlich davon aus, dass uns die Grünen – auch da kenne ich die Position der Linkspartei nicht – unterstützen und dem Änderungsantrag zustimmen. Frau Hajduk, die Kommission hat am 17. und 22. Juni erstmals mitgeteilt, dass sie Bestandsanlagen mit 100 Prozent Eigenstrom belegen will. Insofern müssen Sie sich entscheiden, ob Sie diese Position richtig oder falsch finden. Ich habe Sie so verstanden, dass Sie die Industriestrukturen in Deutschland nicht infrage stellen wollen. Dann können Sie das kurzfristige Einbringen eines Änderungsantrages, mit dem wir abwehren können, was da kommt, doch nicht als Schweinsgalopp und Überforderung des Parlaments verurteilen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind Ihre Worte!)
Frau Hajduk, damit stellen Sie Ihr Licht derart unter den Scheffel, dass jeder weiß, dass es dabei nur um Klamauk geht und nicht um Beurteilung der Sache selbst.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Darf der Herr Krischer jetzt noch einmal eine Zwischenfrage stellen?
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wir haben morgen das Thema auch noch einmal!)
Aber dann würde ich es auch wirklich gerne dabei belassen; denn wir müssen uns entweder darauf verständigen, dass wir die Redezeiten, die wir beschlossen haben, einhalten oder dass wir – was natürlich auch eine denkbare Alternative ist – den jeweiligen Minister zu einer Fragestunde nötigen; dann muss aber eine Reihe der Wortmeldungen zurückgenommen werden, die in dem Rahmen, den wir beschlossen haben, zeitlich nicht zu bewerkstelligen wären – das wäre die Konsequenz.
Darf ich nur anmerken, Herr Präsident: Ich würde mich gar nicht genötigt fühlen.
Das leuchtet mir sofort ein. – Also, darf der Kollege Krischer jetzt die Zwischenfrage stellen?
Ja, sicher.
Bitte schön, Herr Krischer.
(Michael Schlecht [DIE LINKE]: Wir wollen doch ein lebendiges Parlament haben!)
– Sie wissen, dass Sie mich da sofort an Ihrer Seite haben, aber das gilt im Rahmen der Beschlüsse, die dieses Parlament selber trifft, und wir haben gerade einen getroffen.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt Pause, es folgt Herr Krischer! – Heiterkeit – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Herr Krischer, Ihnen wurde gerade das Wort erteilt!)
Herr Kauder, Sie sollten still sein!
Herr Gabriel, ich habe das so wahrgenommen, dass diese Koalition sich mindestens seit drei Wochen um das Thema EEG-Umlage auf Eigenstrom – man kann auch sagen: Sonnensteuer – streitet,
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Quatschkopf!)
dass Sie keine einheitliche Linie gefunden haben, dass wir wöchentlich, täglich andere Positionen gehört haben.
Jetzt schieben Sie diesen Streit auf die EU-Kommission, bauen darum einen Popanz auf und erzählen uns urplötzlich, die EU-Kommission mache das Thema EEG-Umlage auf Eigenstrom zum Problem, deshalb müsse eine Änderung vorgelegt werden – eine Änderung, die Sie beantragt haben und die so aussieht, dass zwar jeder 40 Prozent EEG-Umlage auf Eigenstrom zahlen soll, aber über das Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz der Satz für die Industrie – und nur für die Industrie! – wieder auf 15 Prozent reduziert werden soll. Also, wenn das die Politik der EU-Kommission sein sollte, dann verkaufen Sie die EU-Kommission für dumm. Ich glaube eher, dass das ein billiger großkoalitionärer Kompromiss ist, um den Streit um die EEG-Umlage auf Eigenstrom, die Sonnensteuer, zu lösen; darum geht es.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Caren Lay [DIE LINKE])
Herr Krischer, Sie erhalten nachher einen Ausdruck meiner Antwort auf den Kollegen und meiner Ansprache an Frau Hajduk; lesen Sie das im Protokoll noch einmal nach. Ich habe nämlich gesagt, dass vor wenigen Tagen der Angriff der Kommission auf die Bestandsanlagen erfolgt ist, dass wir sie mit 100 Prozent EEG-Umlage belegen sollen.
Worüber Sie eben geredet haben, betrifft die Neuanlagen. Darüber habe ich gar nicht im Zusammenhang mit der Kommission gesprochen.
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum dann der Änderungsantrag?)
– Herr Krischer, ich antworte jetzt auf Ihre Frage. Ich weiß, dass das ganz doll wehtut.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Aber wenn Sie mich fragen, kann ich nichts anderes tun, als Ihnen den Sachverhalt zu erläutern. Ich habe hier gegenüber Frau Hajduk – nachzulesen im Wortprotokoll meiner Rede von vor drei, vier Minuten – erklärt: Die Kommission hat am 17. und am 22. Juni zum ersten Mal die Forderung aufgestellt, Bestandsanlagen mit 100 Prozent EEG-Umlage zu belegen. – Das kann eigentlich, wenn ich Frau Hajduk ernst nehme in ihrem Bemühen, Industriestrukturen in Deutschland zu erhalten, nicht akzeptiert werden.
Sie haben eine Frage zu einem ganz anderen Sachverhalt gestellt. Da geht es um die Frage: Wie gehen wir mit dem Eigenstrom um, der durch Neuanlagen erzeugt wird? – Niemand bestreitet, dass darüber eine Debatte in der Koalition geführt wurde. Niemand bestreitet, dass die Koalition – nicht völlig unabhängig von den Hinweisen der Brüsseler, dass man, das wissen wir übrigens schon länger, nicht akzeptieren könne, dass zwei unterschiedliche Fördersätze gewählt werden – sich erst, wenn ich mich daran richtig erinnere, Montagabend verständigt hat. Das hat niemand bestritten. Das ist übrigens auch kein ungewöhnlicher Vorgang. Warten Sie einmal ab, wenn Sie morgen hier einen Geschäftsordnungsantrag oder Ähnliches stellen zur Frage der Einmaligkeit dieses Vorgangs, was es da alles für Vorgängerverhalten gibt!
(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das macht es nicht besser!)
– Nein, das nicht; aber es macht ein bisschen das Theater deutlich, das hier aufgeführt wird.
(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bloß weil die Vorgänger Fehler gemacht haben, muss man sie nicht wiederholen! – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Diese ganzen Gesetze haben so geendet, dass man sie nachbessern musste!)
Herr Krischer, ich bitte Sie nur um eines: Machen Sie das, was ich mit Ihnen mache: Ich höre immer genau zu, was Sie sagen. Das wäre auch umgekehrt ein ganz gutes Verfahren und ersparte uns die Beantwortung solcher Zwischenfragen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Frau Hajduk, ich werde Ihnen morgen auch nochmals erläutern – notfalls auch schriftlich –, warum wir natürlich nicht die Absicht haben, Waffenexporte von der EEG-Umlage zu befreien.
(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielleicht haben Sie nur die Instrumente nicht mehr!)
– Auch das werden wir Ihnen mitteilen.
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum sagen Sie jetzt nichts dazu?)
Nun zu den Fragen, die vorhin zu den kleinen und mittelständischen Unternehmen und zur Luft- und Raumfahrt gestellt worden sind. Denjenigen, die sich über die Luft- und Raumfahrtförderung beschweren, möchte ich sagen: Herr Mattfeldt hat, wie ich finde, mit Blick auf die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes und Europas bei diesen Technologien die richtige Antwort gegeben. Was glauben Sie eigentlich, wie viele mittelständische Zulieferer davon abhängig sind, dass Airbus ein erfolgreiches Unternehmen ist und im Bereich der Luft- und Raumfahrt vorankommt? Dieses Unternehmen hat doch nicht nur ein großes Werk in Toulouse und ein paar kleine Werke im übrigen Europa, sondern es geht auch um Tausende von Zulieferern, die von dem, was wir in der Luft- und Raumfahrtforschung tun, profitieren.
Sie haben natürlich recht, dass der Industriebesatz in Ostdeutschland absolut nicht zufriedenstellend ist. Das ist eine Entwicklung, der wir entgegenzusteuern versuchen – das sollten Sie sagen –, indem wir die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ anheben. Wir haben mit den Koalitionsfraktionen übrigens verabredet, dass sie weiter steigen werden. Bis zu 80 Prozent dieser Mittel – ich habe Frau Gleicke danach gefragt – fließen in den Osten. Ich finde, Sie sollten sagen, dass dies eine der Maßnahmen ist, die wir ergreifen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Ich glaube, auch mindestens 40 Prozent der Mittel des ZIM fließen nach Ostdeutschland.
(Beifall des Abg. Andreas G. Lämmel [CDU/ CSU] – Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: 60!)
– Oder sogar 60 Prozent. – Wir stellen also einen erheblichen Anteil der Mittel für Ostdeutschland zur Verfügung.
Frau Hajduk, was ich überhaupt nicht nachvollziehen kann, ist Ihre Definition von Mittelstand. Sie sagen, wir sollen die europäische Definition heranziehen: bis zu 249 Beschäftigte. Was unsere Volkswirtschaft so stark macht, ist aber, dass es in diesem Land im Unterschied zu Resteuropa einen außerordentlich starken und international aufgestellten Mittelstand gibt.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Wollen Sie ernsthaft, dass man ein Unternehmen mit 300, 400 oder 500 Beschäftigten nicht mehr fördern darf, weil die Schwelle bei 249 Beschäftigten liegt? Das ist doch nicht sinnvoll. Wir müssen uns fragen: Was zeichnet unsere Volkswirtschaft in besonderem Maße aus? Anders als der Mittelstand in Frankreich ist unser Mittelstand eben nicht klein und nicht national, sondern relativ stark, relativ groß und international aufgestellt. Dabei muss es auch bleiben.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Insofern: Es gibt hinreichend viele Themen, über die wir noch miteinander zu reden haben; keine Frage.
Lassen Sie mich wenigstens ein paar Minuten auf die Herausforderungen eingehen, die trotz der sehr guten wirtschaftlichen Entwicklung, die Frau Hajduk beschrieben hat, aus meiner Sicht auf uns zukommen. Ich glaube, der Grund für die gute Entwicklung liegt vor allen Dingen darin, dass wir unfassbar innovative und flexible Unternehmen und hochqualifizierte Beschäftigte haben, die den Aufschwung erarbeiten. Es ist ja nicht die Politik, die das tut, sondern es sind die Menschen, die Unternehmen, die Kreativen, die Forscher und die Entwickler, die den Aufschwung in diesem Land ermöglicht haben.
Aber man darf sich, glaube ich, nicht täuschen: Es gibt natürlich auch eine ganze Reihe von Herausforderungen, und es stellt sich die Frage, ob wir diesen derzeit guten Zustand erhalten können. Dazu zählen innenpolitische Herausforderungen – da hat Frau Hajduk völlig recht – wie die Investitionen; ich glaube, Sie haben dieses Thema auch angesprochen. Die Nettoinvestitionen unserer Wirtschaft in unserem Land sind zu niedrig, sowohl die Investitionen in die öffentliche Infrastruktur als auch die privaten Ausrüstungsinvestitionen. Aber, Frau Hajduk, wenn Sie fragen: „Wie gehen wir mit der guten Situation um?“, dann dürfen Sie nicht verschweigen: 9 Milliarden Euro investiert diese Koalition in Bildung, Forschung und Entwicklung
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
und 5 Milliarden Euro zusätzlich in die Infrastruktur.
Was tun wir angesichts der guten Entwicklung noch? Wir sorgen für ausgeglichene Haushalte. Was kann man für dieses Land eigentlich Besseres tun, als dafür zu sorgen, dass wir solide Finanzen haben, sodass auch bei steigenden Zinsen nicht immer mehr Steuergelder für Schulden ausgegeben werden müssen? Das ist Zukunftsvorsorge. Da kann man doch nicht sagen, das sei nichts.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Eine weitere Herausforderung ist die Gewinnung von Fachkräftenachwuchs. Immer noch schließen mehr als 50 Prozent der Jugendlichen mit Migrationshintergrund keine duale Berufsausbildung und kein Hochschulstudium ab. Hier haben wir ein Riesenpotenzial, das wir heben müssen. Wir dürfen nicht nur über die Frage diskutieren: Wen holen wir aus dem Ausland? Wir müssen auch dafür sorgen, dass wir die jungen Leute im eigenen Land vernünftig qualifizieren.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Deswegen ist es richtig, dass der Bund die Länder entlastet. Aber wir wollen, dass die Länder diese Entlastung nutzen, um in Bildung zu investieren; das ist dabei das Entscheidende.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Eine weitere Herausforderung ist die Infrastruktur. Zwei Drittel der öffentlichen Infrastrukturinvestitionen tätigen die Kommunen.
(Michael Schlecht [DIE LINKE]: 50 Prozent!)
– Na klar, gucken Sie mal nach: Zwei Drittel der öffentlichen Investitionen sind kommunale Investitionen und keine Investitionen der Länder oder des Bundes.
(Michael Schlecht [DIE LINKE]: 50 Prozent, weil Sie die Kommunen schon so heruntergeprügelt haben!)
Was haben wir beim letzten Mal, noch in der alten Koalition, gemacht? Durch die Übernahme der Grundsicherung im Alter haben wir im Vermittlungsausschuss für eine Entlastung von 4,5 Milliarden Euro gesorgt. Die jetzige Koalition hat verabredet, im Sommer mit dem Bundesteilhabegesetz noch einmal eine Entlastung von 5 Milliarden Euro pro Jahr zu schaffen, und im Vorgriff darauf entlasten wir die Kommunen in den Haushalten 2015 und 2016 nochmals jeweils um 1 Milliarde Euro. Das ist die reale Förderung von öffentlicher Infrastruktur und Investitionen
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
und nicht nur eine Förderung in Reden.
Ich glaube, dass das nicht reicht; das ist keine Frage. Die Debatte wird aber weniger darüber geführt werden, welche öffentlichen Investitionen wir noch tätigen, sondern darüber, wie wir privates Kapital für Investitionen und die öffentliche Infrastruktur mobilisieren können. Es gibt Geld genug, aber es fließt nicht in die Realwirtschaft und auch nicht in die Infrastruktur. Darüber haben wir zu reden.
Daneben haben wir natürlich auch über das Thema Energie zu sprechen, und zwar nicht nur in Bezug auf das EEG, aber das werden wir morgen ja noch ausführlich tun.
Meine Damen und Herren, die größte Sorge ist nach wie vor die weitere europäische Entwicklung. Ich glaube, dass wir uns alle miteinander einig sind, dass Europa neben vielen anderen Ländern der Welt für Deutschland natürlich von großer Bedeutung ist; denn wir werden es nur schaffen, unsere ökonomische Stärke aufrechtzuerhalten, wenn es anderen in Europa auch gut geht. Es ist ja nicht so, dass Deutschland der Lastesel der Europäischen Union ist, sondern wir sind die großen Profiteure der Europäischen Union; denn man wird nicht Exporteuropameister und Exportweltmeister, ohne dass andere Menschen die Produkte kaufen. Deswegen geht es auch darum, dafür zu sorgen, dass es diesen Menschen so gut geht, dass sie sich unsere Produkte leisten können.
Wir haben gesehen, dass die Europawahl fatale Ergebnisse gebracht hat. Es kann uns nicht gleichgültig sein, was in Ländern wie Frankreich passiert. Es kann uns nicht gleichgültig sein, dass in Frankreich eine populistische Partei wie die Front National immer stärker wird und eine Antieuropäerin, Frau Le Pen, die Chance hat, nächste französische Präsidentin zu werden.
Wir müssen uns hier darüber im Klaren sein: Damit diese Länder aus der Strukturkrise herauskommen, sind Strukturreformen notwendig. Wer sich diesen dauerhaft verweigert, der wird am Ende keinen Erfolg haben. Ich glaube, dass Deutschland das beste Beispiel dafür ist. Was immer man von der Agenda 2010 halten mag, eines ist, glaube ich, unbestritten: Sie hat in weiten Teilen einen großen Einfluss auf die gute wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes gehabt.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Wahr ist aber auch, dass Deutschland zum gleichen Zeitpunkt, 2003, die Defizitkriterien der Europäischen Union gebrochen hat, was vielfach kritisiert wurde. Hätte Deutschland damals aber neben den harten Reformen aufgrund der Agenda 2010 auch noch 20 Milliarden Euro einsparen müssen, dann wäre das Ergebnis doch nicht gewesen, dass sich die Agenda durchgesetzt hätte, sondern ich bin mir sicher, dass sie dann überhaupt nicht zustande gekommen wäre. Eines geht nämlich nicht: Wenn man Reformen macht, kann man nicht zeitgleich auf Investitionen verzichten. Das funktioniert nicht. Reformen und Investitionen gehören zusammen. Deswegen heißt der Pakt übrigens nicht Stabilitätspakt, sondern Stabilitäts- und Wachstumspakt.
Ich glaube, dass man an diesem Beispiel schön sehen kann, wo der Unterschied zwischen Deutschland und Frankreich ist. Frankreich hat die Defizitkriterien zum gleichen Zeitpunkt auch gebrochen, aber es hat sich kein Reformprogramm auferlegt, sondern einfach so weitergemacht wie bisher. Das ist der große Unterschied zwischen Deutschland und Frankreich.
Im Umkehrschluss bedeutet das – das hat die Bundeskanzlerin in der Generaldebatte gestern zu Recht noch einmal gesagt –: Niemand, auch nicht in der SPD, will den Stabilitäts- und Wachstumspakt angreifen. Wir wollen ihn auch nicht kreativ umdefinieren oder die Defizitkriterien aufweichen. Darum geht es nicht. Der Pakt steht, und ich bin froh, dass das in Europa inzwischen alle – jedenfalls in meiner Parteifamilie – akzeptiert haben.
Innerhalb des Stabilitäts- und Wachstumspaktes gibt es aber eben eine Vielzahl von Möglichkeiten, dafür zu sorgen, dass Reformen mit Investitionen Hand in Hand gehen können. Wenn der italienische Staat 15 Milliarden Euro aus Fonds der EU nicht abrufen kann, weil er nicht kofinanzieren kann, da er sonst die Defizitkriterien nicht erfüllen würde, dann frage ich: Warum ist es nicht möglich, die 15 Milliarden Euro aus den Fonds auszuzahlen und auf die Kofinanzierung durch den italienischen Staat zu verzichten? Warum schaffen wir nicht solche Flexibilitäten?
Das erwarte ich von der nächsten Kommission. Wer Reformen macht, muss Luft zum Atmen für Investitionen und Wachstum haben. Ich erwarte aber nicht eine irgendwie ideologisch geprägte Debatte um den Stabilitäts- und Wachstumspakt. Ohne nachhaltige Strukturreformen gibt es kein Wachstum, aber ohne Wachstumsimpulse wirken nachhaltige Strukturreformen eben auch nicht. Das ist die Diskussion, die wir in Europa führen müssen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ich bin sicher, dass man das deutsche Beispiel von 2003 offensiv verkaufen kann. Aber die eigentlich schwierige Debatte ist: Was eigentlich sind die notwendigen Strukturreformen? Das ist die entscheidende Debatte. Da darf niemand der Härte der Diskussion ausweichen; das müssen alle wissen.
Deswegen bin ich der Überzeugung, dass wir noch eine Menge Arbeit vor uns haben. Aber auch Deutschland wird seine gute wirtschaftliche Entwicklung nicht beibehalten, wenn es uns nicht gelingt, Europa zu stabilisieren: ökonomisch, aber auch politisch und kulturell. Es ist – da hat die Kanzlerin recht – das größte Projekt, das wir geerbt haben. Es gibt eine Menge zu tun, damit wir in den nächsten Jahren dieses Erbe in Europa nicht verspielen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Das Wort hat nun der Kollege Michael Schlecht für die Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
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