26.06.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 43 / Tagesordnungspunkt II.14

Peter RamsauerCDU/CSU - Wirtschaft und Energie

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Deutschland ist die fünftgrößte Volkswirtschaft der Welt. Alles, was damit zusammenhängt, was uns dazu gemacht hat, ist schon vielfach gepriesen worden: Rekordbeschäftigung, Rekordtiefstand bei der Arbeitslosigkeit, großartige Wachstumserwartungen, Nullverschuldung, Rekordsteuereinnahmen, dass wir Wachstumslokomotive und Stabilitätsanker in Europa sind, all das ist wahr. Aber so eindrucksvoll diese Bilanz auch ist, so wenig dürfen wir uns damit zufriedengeben und so wenig dürfen wir uns darauf ausruhen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Ja, wir sind die fünftgrößte Volkswirtschaft der Welt. Wahr ist aber auch, dass unser Anteil an der Weltwirtschaft im Jahr 2005 noch bei 4,6 Prozent lag, während er derzeit bei 3,7 Prozent liegt. Allein diese Zahlen verdeutlichen, dass sich gewisse Relationen verschieben. Deswegen müssen wir alles dafür tun, dass wir den Vorsprung, den wir gerade in Europa haben, sichern. Eine Selbstermahnung darf hier auch sein: Wir dürfen uns auch nicht in einer großkoalitionären Selbstzufriedenheit ergehen. Nein, wir müssen alles tun, um unsere Wettbewerbsfähigkeit zu sichern, und alles unterlassen, was diesem Ziel entgegensteht, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Mir ist dies sehr deutlich geworden, als ich vor einigen Monaten meinen Antrittsbesuch als Vorsitzender des Ausschusses für Wirtschaft und Energie des Deutschen Bundestags bei meinem Pendant in der französischen Assemblée nationale, beim Vorsitzenden des dortigen Wirtschaftsausschusses, gemacht habe. Er hat zu mir Folgendes gesagt: Unsere französische Bitte an euch Deutsche ist, dass ihr weitermacht – er hat immer gesagt: Continuez! –

(Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

bei der Erhöhung der Energiekosten, macht bitte weiter bei der Erhöhung eurer Arbeitskosten, und macht bitte weiter bei der Erhöhung eurer Sozialkosten! – Ich habe mich gefragt: Was will er mir damit sagen? – Dann kam die Begründung, er hat gesagt: Dadurch schmälert ihr Deutschen eure Wettbewerbsfähigkeit, und wir Franzosen brauchen uns nicht mehr so anzustrengen, um mit euch mithalten zu können.

(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber kein kluger Mann! – Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: So kann er sein, der Franzose!)

– Das war kein kluger Mann, sagen Sie. Also, das war ein Sozialist.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Eben!)

Aber er hat gesagt, er sei von der Rocard-Sorte, also – wer das noch weiß – ein anständiger Sozialdemokrat, würden wir auf Deutsch sagen.

(Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: „Sozialdemokrat“ ist in Frankreich ein Schimpfwort!)

Das gibt einem natürlich zu denken. Wir werden in der nächsten Woche die Mindestlohngesetzgebung abschließen. Wir haben das Rentenpaket abgeschlossen. Ich muss sagen: Aus wirtschaftlicher Sicht gehen wir hier an die alleräußerste Grenze dessen, was die Wirtschaft verkraften kann, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir können es uns nicht leisten – so viel sei schon jetzt gesagt –, mit der Mindestlohngesetzgebung einen Lohnkostenschub auszulösen.

(Zurufe von der SPD: Oh!)

Das wird die deutsche Wirtschaft nicht ohne Weiteres und nicht ohne Folgen verkraften. Es ist völlig klar, dass durch eine solche Mindestlohngesetzgebung ein Druck von unten auf das gesamte Lohngefüge ausgeübt wird; das ist vollkommen klar.

(Zuruf von der SPD: Das ist auch gut so!)

Wir dürfen auch keinen Einheitsbrei bei der Lohnfindung erzeugen. Wichtig ist für uns das Primat der Tarifpartnerschaft. Die Tarifautonomie darf nicht angetastet werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein anderer Punkt, den auch Kollege Wolfgang Tiefensee schon angesprochen hat – wir müssen uns viel intensiver damit auseinandersetzen, und mir bereitet das Sorge –, ist die Frage der Investitionen sowohl im öffentlichen Bereich als auch im Bereich der Privatwirtschaft. Wir alle wissen: Investitionen sind der Treibstoff für Wachstum, für Wertschöpfung, für Arbeitsplätze und für Wohlstand. Wir haben, was die deutsche Investitionsquote im weltweiten Vergleich anbelangt – Kollege Wolfgang Tiefensee hat es gesagt –, in der Tat ganz erheblichen Nachholbedarf. Wenn man sich die Zahlen ansieht, stellt man fest: 1998 lag die Investitionsquote im damaligen Bundeshaushalt noch bei 12,8 Prozent. Im Haushalt dieses Jahres liegt sie, wenn man den ESM herausrechnet, was man natürlich fairerweise tun muss, bei 8,6 Prozent, und bis 2018 fällt sie auf 8,3 Prozent.

(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Das müssen wir ändern, Herr Ramsauer!)

Wenn man sich das ansieht, kommt man natürlich zu dem Ergebnis: Relativ investieren wir viel zu viel in den unproduktiven Teil unserer Volkswirtschaft und immer noch viel zu wenig in den produktiven Teil unserer Volkswirtschaft.

(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh! Na, das ist ja eine völlig neue Erkenntnis!)

Wir können auf Dauer nicht von der Substanz leben.

Aber es geht nicht nur um den öffentlichen Bereich. Was mindestens genauso viel zu denken gibt, ist die Tatsache, dass im privatwirtschaftlichen Bereich leider immer weniger investiert worden ist. Wenn man sich beispielsweise die energieintensiven Branchen ansieht – über sie haben wir in den letzten Wochen und Tagen im Zusammenhang mit der Novellierung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes sehr viel gesprochen –, stellt man fest: Die energieintensiven Branchen können ihren Kapitalstock nicht mehr halten, weil ihre Investitionen geringer sind als ihre Abschreibungen. Wenn man es einmal kaufmännisch betrachtet: Die energieintensiven Branchen investieren nur noch 85 Prozent ihrer Abschreibungen neu. Eigentlich müssten es deutlich über 100 Prozent sein, weil die Reinvestition wegen der Investitionskosten nach Wiederbeschaffungskosten immer über der finanzbuchhalterischen Abschreibung liegen muss; so ist das nun einmal. Es gibt also ein ganz großes Loch zwischen dem, was abgeschrieben wird, und dem, was reinvestiert wird. Es muss für uns ein lautes Alarmsignal sein, dass dies so ist. Dahinter verbirgt sich ein schleichender Prozess der Abwanderung aus Deutschland in andere Länder.

Ein Wort, liebe Kolleginnen und Kollegen, zur Außenhandelspolitik; sie kam in dieser Debatte bisher etwas zu kurz. Wir wissen, dass es aus manchen Ländern, auch in der EU, in der Euro-Zone, vonseiten mancher Institutionen, aber auch vonseiten der Linken in diesem Hause die Forderung gibt, Deutschland müsse seinen Außenhandelsüberschuss abbauen.

(Michael Schlecht [DIE LINKE]: Genau!)

Eine solche Forderung ist kompletter ökonomischer Unfug.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Selbst wenn wir dies täten, würde dies nie die strukturellen Probleme in den jeweils betroffenen schwachen Ländern in der Euro-Zone lösen. Es kann und darf nicht unser Ansinnen sein, dass Deutschland seine Wettbewerbsfähigkeit um den Preis ausgeglichener Leistungsbilanzen innerhalb des Euro-Raumes aufgibt. Das dürfen wir niemals tun.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Deshalb lautet mein Credo: Nicht der Bessere – nicht wir – hat sich an den Schlechteren und Schwächeren zu orientieren, sondern bitte gefälligst umgekehrt!

(Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Herr Kollege Ramsauer, lassen Sie eine Zwischenfrage von Herrn Ernst zu?

Gerne.

(Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Ach, jetzt wird es anstrengend!)

Herzlichen Dank. – Meine Frage ist sehr einfach. Sie haben gerade gesagt, der Abbau des Außenhandelsüberschusses wäre falsch und geradezu katastrophal. Jetzt haben wir nach wie vor ein gültiges Gesetz, das sich Stabilitätsgesetz nennt. In diesem Stabilitätsgesetz ist als Ziel staatlicher Wirtschaftspolitik von ausgeglichenen Handelsbilanzen, also ausgeglichenen Verhältnissen zum Ausland die Rede. Wollen Sie mit Ihrer Aussage den Deutschen Bundestag und die eigene Regierung auffordern, sich künftig nicht mehr an dieses Gesetz zu halten, das ja ausgeglichene Handelsbilanzen vorschreibt?

Lieber Kollege Ernst, wir mögen uns persönlich ja sehr gerne.

(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)

Man kann aus dieser Frage ableiten, dass Sie im Rahmen Ihrer gewerkschaftlichen Ausbildung auch Wirtschaftskunde belegt hatten und dort etwas über das magische Viereck gelernt haben, welches bekanntermaßen im Stabilitätsgesetz verankert ist.

Wir haben hier aber auch gelernt, dass die vier Ziele des magischen Vierecks – es gibt neben dem außenwirtschaftlichen Gleichgewicht ja noch drei weitere Ziele – höchstens wirtschaftstheoretisch gleichzeitig erreicht werden können und dass es dazwischen immer gewisse Schwankungen gibt. Ohne diesen Außenhandelsüberschuss – ich halte meine Antwort kurz, obwohl ich jetzt gerne eine kleine Vorlesung über Volkswirtschaft und Stabilitätstheorie halten würde – würden wir die anderen drei Ecken dieses magischen Vierecks in höchstem Maße gefährden. Deswegen bedaure ich diesen Zustand nicht, sondern ich freue mich darüber, dass es so ist.

Überall, wo man in der Welt hinkommt – wir waren kürzlich miteinander irgendwo – –

(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: China! – Zurufe von der Regierungsbank)

– Vielen Dank, lieber Herr Gabriel. China ist auch irgendwo.

(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Der Ernst war aber in Nordkorea! Er war falsch!)

Spaß beiseite. Wir waren zusammen in China. Das, was wir dort gehört haben, bestätigt sich an allen Ecken und Enden. Neulich in Korea, Bernd Westphal, haben wir es wieder gehört: Das, was von uns aus Deutschland dorthin exportiert wird, erfreut sich dort allergrößer Beliebtheit, nach dem Motto: Was aus Deutschland kommt, ist nicht nur „Made in Germany“ – das ist ein Markenbegriff in der ganzen Welt –, sondern überzeugt auch durch Qualität und Zuverlässigkeit. Wenn wir dadurch einen Außenhandels- und einen Leistungsbilanzüberschuss haben, dann soll uns das recht sein.

(Beifall bei der CDU/CSU – Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So, jetzt ist gut!)

Zu den Verhandlungen über das Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten – auch das ist schon kurz angesprochen worden –: Ja, wir wissen, es gibt hierüber starke Debatten in allen Lagern der Gesellschaft. In diesen Debatten kommt mir aber viel zu kurz, dass auch einmal die Chancen herausgestellt werden, die dieses Transatlantische Freihandelsabkommen in sich birgt. Wir wollen von unseren Standards im Umweltbereich, im Sozialbereich, im Gesundheitsbereich usw. ja nicht weg. Aber glaubt denn jemand von uns, dass aufstrebende Volkswirtschaften wie Indien, Brasilien und China mit ihren riesigen Wirtschaftsräumen darauf warten, bis wir Europäer uns einmal bequemen, unsere Standards global zu setzen? Nein, das tun sie nicht. Deswegen müssen wir zusammen mit den Vereinigten Staaten – einen besseren Partner als die Vereinigten Staaten kann ich mir hier nicht vorstellen – die Kraft und die Fähigkeit aufbringen, in diesem Freihandelsabkommen global die Standards zu setzen, die wir haben wollen. Genau darin liegen die großartigen Chancen, und die dürfen wir nicht vertun.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ein Allerletztes zum Export: Der Interministerielle Ausschuss für Exportkreditgarantien hat beschlossen, dass zukünftig keine Garantien des Bundes für den Export von Anlagen zur nuklearen Stromerzeugung übernommen werden sollen, und zwar mit der Begründung, dass diese fehlende Deckung Folge des Atomausstiegs ist. Was ich nicht will, ist, dass wir uns, wenn wir 2022 alle Atomanlagen abgeschaltet haben werden und diese Anlagen dann auseinanderbauen, die einzelnen Teile verwerten und lagern müssen, das Know-how für kerntechnische Fragen aus Frankreich, Japan oder China zurückholen müssen. Deswegen halte ich diesen Teil der Exportpolitik im Hinblick auf Garantien für einen Fehler. Wir müssen alles daransetzen, dass wir dieses Wissen im Lande behalten. Dazu gehört auch, dass wir uns vornehmen, alles für unsere Wettbewerbsfähigkeit zu tun und – noch einmal – alles zu unterlassen, was ihr entgegensteht.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Wolfgang Tiefensee [SPD])

Das Wort hat Andreas Lämmel.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3566822
Wahlperiode 18
Sitzung 43
Tagesordnungspunkt Wirtschaft und Energie
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