Sigmar GabrielSPD - Erneuerbare-Energien-Gesetz, Ausgleichsregelung
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich dachte, es sei so, dass erst die Fraktionen ihre Meinung zum Gesetzentwurf äußern wollen; aber ich kann auch, keine Frage, gerne anfangen.
Meine Damen und Herren, ich glaube, dass wir mit der Verabschiedung des vorliegenden EEG den ersten Baustein setzen, um die Energiewende in Deutschland wieder auf ein festes Fundament zu stellen. Zur Ehrlichkeit der Debatte gehört, zuzugeben, dass die Energiewende in den letzten Jahren viele offene Baustellen hatte: Es gab beim EEG in wenigen Jahren Kostensteigerungen von mehr als 10 Milliarden Euro. Seit 2010 sind die Kosten um über 200 Prozent gestiegen. Es waren trotz teuren Ausbaus der erneuerbaren Energien hohe CO 2 -Emissionen aus Kohlekraftwerken zu verzeichnen. Wir haben einen Strommarkt, von dem keine Anreize mehr zum Neubau moderner Kraftwerke ausgehen. Weiter sind ein fehlender Netzausbau und die fehlende Einbindung in den europäischen Strommarkt zu nennen.
Das beschreibt nur einige der seit Jahren gestellten, aber auch seit Jahren unbeantworteten Fragen der deutschen Energiewende. Viel zu lange haben wir – Politik, Interessenverbände und nicht selten auch Medien – den Eindruck vermittelt, es reiche aus, möglichst schnell erneuerbare Energien auszubauen, dann werde die Energiewende schon klappen. Die Wahrheit ist: Es geht beim Ausbau der erneuerbaren Energien nicht um das Motto „Je schneller, je besser“, sondern das Motto muss lauten: „Je planbarer und je berechenbarer, desto besser“.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Das EEG war ein exzellentes Gesetz zur Förderung neuer Technologien. Es war ein sehr gutes Technologiefördergesetz; aber die Zeit der Technologieförderung geht jetzt zu Ende. In der nächsten Phase darf es die heimliche Überschrift des alten EEG, die da lautete „produce and forget“, nicht mehr geben.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Es geht jetzt, wo die erneuerbaren Energien nach und nach das gesamte System übernehmen, darum, dass sie auch Systemverantwortung übernehmen müssen. In dem komplexen Getriebe der Energiewende müssen die Zahnräder endlich ineinandergreifen. Dafür soll diese EEG-Novelle den ersten Schritt gehen. Sie schafft einen verlässlichen Ausbaupfad für den Ausbau der erneuerbaren Energien. Übrigens ist dieser Ausbaupfad entgegen allen öffentlichen Behauptungen außerordentlich ambitioniert.
Wir haben heute etwa 25 Prozent erneuerbare Energien am Strommarkt. In weniger als zehn Jahren wollen wir 40 bis 45 Prozent erreichen. Wir haben es in den letzten zehn Jahren nur in einem einzigen Jahr geschafft, mehr als 2,5 Gigawatt Windenergie an Land zu bauen. Das Ziel dieses Gesetzes ist es, jedes Jahr in den nächsten Jahren 2,5 Gigawatt zu bauen. Wer da öffentlich behauptet, wir würden die erneuerbaren Energien ausbremsen, der will das Gesetz verleumden. Mit der Realität hat das nichts zu tun, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch Quatsch!)
Ja, wir senken auch die Kosten.
(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? Wo senken Sie denn die Kosten?)
Das ist dringend nötig; denn wir haben drastische Fälle von Überförderung. Deshalb ist es richtig, die Fördersätze und damit die Kosten zu senken, von einer Durchschnittsvergütung von aktuell rund 17 Cent pro Kilowattstunde im Anlagenbestand auf 12 Cent pro Kilowattstunde für Neuanlagen. Vorher aber gehen wir die ersten Schritte zur Marktintegration der erneuerbaren Energien; auch das ist dringend nötig. Denn die erneuerbaren Energien sollen ja am Strommarkt bestimmend sein. Sie können deshalb nicht dauerhaft in einem vom Markt abgeschotteten Sondersystem untergebracht werden.
Wir sind mit der Energiewende angetreten, um zu zeigen – und zwar nicht nur national, sondern auch international –, dass eine hochentwickelte Volkswirtschaft wie die deutsche es schafft, sich von nuklearer, langfristig aber auch von fossiler Energieversorgung zu befreien, ohne dabei ihren wirtschaftlichen Erfolg zu gefährden. Nur wenn wir zeigen, dass wir dieses Versprechen auch einlösen, werden uns andere folgen. Nur dann macht die Energiewende mit Blick auf den Klimaschutz Sinn. Denn wir können ja kein deutsches Sondermodell entwickeln, sondern wir wollen beispielhaft zeigen, dass Klimaschutz, Sicherung von Arbeitsplätzen und wirtschaftlicher Erfolg zu schaffen und leistbar sind. Das wollen wir in Deutschland hinbekommen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Deshalb ist es so wichtig gewesen, die energieintensive Industrie vor einer steigenden EEG-Umlage zu schützen. Es ist ein großer Erfolg der Bundesregierung, dass wir die Ermäßigung für die energieintensive Industrie und Wirtschaft gesichert haben.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Es ist ziemlich großer Unsinn, das immer wieder gegen die Interessen der Verbraucher auszuspielen. Denn was hilft es eigentlich einem Dreipersonenhaushalt, wenn seine Stromkosten um 20, 30 oder 40 Euro im Jahr sinken, gleichzeitig aber Hunderttausende von industriellen Arbeitsplätzen verloren gehen? Das ist doch eine Milchmädchenrechnung, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Ich sehe die Kollegin Hajduk gerade nicht. Sie hat gestern nachgefragt, ob es stimmen würde, dass wir auch Rüstungsbetriebe von der EEG-Umlage befreien.
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das tun Sie!)
Ich will ausdrücklich sagen, dass das nicht der Fall ist. Wenn sie hier wäre, würde ich es ihr erläutern. Aber ich kann es ihr auch gerne schreiben.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau!)
Es ist auch kein aus der Luft gegriffenes, plattes Lobbyisten-Gerede der Industrie, sondern bittere Realität, dass schon heute die Investitionen in energieintensiven Branchen deutlich zurückgehen und wir schon heute Arbeitsplätze verlieren. Diesen Trend, meine Damen und Herren, dürfen wir nicht einfach achselzuckend hinnehmen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Im Übrigen zahlt die deutsche Industrie jedes Jahr rund 7,4 Milliarden Euro für den Ausbau der erneuerbaren Energien. Insgesamt trägt die Wirtschaft mehr als 12 Milliarden Euro. Es ist also Quatsch, zu sagen, dass die Wirtschaft befreit werde, sondern es sind rund 2 000 energieintensive Unternehmen, die wir befreien. Deswegen finde ich diese Art der Verleumdung im Hinblick auf die Befreiung der Industrie einer fairen und intellektuell redlichen Debatte eigentlich nicht angemessen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Umso unverständlicher war es für uns, dass die EU- Kommission am Dienstag der vergangenen Woche und nochmals an diesem Montagmorgen erstmalig und ohne jede vorherige Vorwarnung die Belastungen für die deutsche Wirtschaft in zwei Bereichen drastisch erhöhen wollte. Die EU-Kommission fordert von uns erstens, Stromimporte aus erneuerbaren Energien von der EEG- Umlage zu befreien, und zweitens, alle Bestandsanlagen der Wirtschaft bei der Eigenversorgung nach einer Übergangszeit mit 100 Prozent EEG-Umlage zu belegen.
Meine Damen und Herren, jetzt wird die Kritik geäußert, dass wir seit Montag darüber debattieren und hier kurzfristig Änderungsanträge eingebracht werden. Die Kritik am Verfahren finde ich – das will ich offen sagen – berechtigt;
(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh! Gestern war sie noch unberechtigt!)
dagegen kann ich überhaupt nichts sagen. Aber am Ende geht es doch nicht darum, sich durch Klamauk im Hinblick auf das Verfahren vor der Entscheidung zu drücken,
(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist kein Klamauk!)
ob man nun eigentlich der Meinung ist, dass man dieses Ansinnen der EU-Kommission abwehren sollte, oder ob man ihm zustimmen muss. Dafür muss man keine wochenlange Debatte führen. Wir alle wissen doch, dass diese beiden Forderungen der EU-Kommission aus unserer deutschen Sicht – und auch aus grüner Sicht – nicht erfüllt werden dürfen; das wissen wir doch.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Ich glaube, dass die Debatte über das Verfahren in Wahrheit nur einen Sinn hat, Frau Göring-Eckardt:
(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Parlament ist kein Klamauk, Herr Gabriel! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch eine Frechheit!)
Eigentlich dient sie nur dem Zweck, über den Klamauk zu verdecken, dass Sie in der Sache unserer Meinung sind. Das wollen Sie nur nicht zugeben; das ist alles.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist lächerlich! Das Parlament ist kein Klamauk, Herr Gabriel! Dann schicken Sie Ihre Parlamentarier nach Hause! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lächerlich!)
– Geschenkt!
Ich habe Kommissar Almunia noch einmal mitgeteilt, dass sich seine Aussage, er hätte das von Anfang an immer gesagt, lediglich auf das Grünstromprivileg im alten deutschen EEG bezieht, und das haben wir auch sofort aus dem Gesetz genommen. Aber dass wir jetzt Importe sozusagen besserstellen und damit das EEG sprengen, kann man, glaube ich, nicht ernsthaft von uns erwarten.
In gut zwei Dutzend persönlichen Gesprächen unserer Mitarbeiter in Brüssel, in mehr als 30 Telefonkonferenzen und in einer Reihe von Ministergesprächen haben wir diese beiden Forderungen in den letzten Monaten niemals gehört. Dieser Vorschlag der Kommission, den Importstrom von der EEG-Umlage zu befreien, ist aus unserer Sicht nicht akzeptabel. Das ist ein Irrweg, den wir nicht mitgehen können.
Natürlich brauchen wir in Europa eine Marktöffnung. In Wirklichkeit sind wir mit diesem EEG dafür übrigens Pioniere in Europa. Schon der Gesetzentwurf der Bundesregierung vom April sah vor, dass wir mit unseren Nachbarn zusammenarbeiten wollen und die Ausschreibungen für erneuerbare Energien grenzüberschreitend öffnen. Dies geschieht in einem ersten Schritt durch die Pilotausschreibung, und wir schlagen jetzt vor, dass wir sogar noch darüber hinausgehen, aber das muss natürlich unter fairen Wettbewerbsbedingungen passieren – und übrigens auch nur, wenn andere Länder in ihren Systemen das Gleiche zulassen, was wir in unserem System zulassen.
(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Das ist richtig!)
Ansonsten zahlen deutsche Stromverbraucher für andere außerhalb Deutschlands, ohne dass das umgekehrt auch der Fall ist. Das kann nicht ernsthaft unser Interesse sein.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Es kann von uns auch nicht akzeptiert werden, dass bei bestehenden Anlagen der Bestandsschutz in Bezug auf die EEG-Umlage wegfallen soll. Wir haben jetzt im Gesetzentwurf vorgesehen, dass wir nach drei Jahren eine Evaluierung durchführen. Aber seien wir ehrlich: Das ist natürlich keine wirklich gute Lösung, weil es Unsicherheiten schafft. Deswegen sind sich die Bundeskanzlerin und ich absolut darüber einig, dass wir mit der neuen Kommission unmittelbar klären wollen, dass es natürlich bei der Befreiung der Bestandsanlagen von der EEG-Umlage auch nach 2016 bleiben muss.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
In Wahrheit ist das EEG erst der Anfang all dessen, was wir in dieser Legislaturperiode schaffen müssen. Emissionshandel, Kapazitätsmechanismen, KWK-Novelle, Netzausbau, europäische Einbettung, Energieeffizienz: Das sind die einzelnen Bausteine der Energiewende, die wir wieder in ein systematisches Verhältnis zueinander bekommen müssen. Das wird uns die ganze Legislaturperiode über beschäftigen.
Zu lange ist zu viel davon liegen geblieben. Deshalb wird es nach der Sommerpause gleich weitergehen. Aber ich bin sicher, dass sich die Arbeit lohnt. Saubere Energie und Klimaschutz, mehr Unabhängigkeit von fossilen Brennstoffen und auch die Sicherung und Schaffung industrieller Arbeitsplätze: Das müssen wir miteinander verbinden, und das werden wir miteinander verbinden. Wir fangen jetzt an, aber wir werden die ganze Legislaturperiode damit zu tun haben.
Vielen Dank an all diejenigen, die sich an den schwierigen Verhandlungen beteiligt haben.
Ich lade Sie herzlich ein, nicht über das Verfahren, sondern über die Sache zu diskutieren.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Alles Weitere werden wir nach der Sommerpause miteinander besprechen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Caren Lay hat nun für die Fraktion Die Linke das Wort.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3570325 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 44 |
Tagesordnungspunkt | Erneuerbare-Energien-Gesetz, Ausgleichsregelung |