Niels AnnenSPD - Bedrohung der regionalen Stabilität durch ISIS
Liebe Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Gehrcke, Ihre Sehnsucht nach einer einfachen Lösung ist Ihnen geradezu anzuhören gewesen; aber die gibt es nicht. Ich glaube, wir sind uns einig: Wir haben keine einfache Antwort auf die Situation, mit Sicherheit keine militärische Antwort.
(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das ist doch schon mal was!)
Ich will einen Punkt aufgreifen. Sie haben gesagt: Wir brauchen jetzt ein Bündnis, das die säkularen Kräfte – Sie haben Herrn Assad explizit erwähnt – mit einbezieht. Ich glaube, wir müssen alle Kräfte, die dort eine Rolle spielen, mit einbeziehen; dazu gehören Herr Assad, der Iran, die Nachbarländer, die Türkei, Saudi- Arabien und Katar. Das ist auch meine Meinung. Nur: Sie erwecken hier den Eindruck, als ob der Vormarsch, mit dem wir alle konfrontiert sind, und seine Wucht, die uns schockiert hat, nichts mit Assad zu tun hätte. Aber die Wahrheit ist auch: Präsident Assad trägt einen großen Teil der Verantwortung für diese Krise.
(Beifall des Abg. Arnold Vaatz [CDU/CSU])
Die ISIS-Führer sind zum Teil von ihm aus dem Gefängnis entlassen worden. Wenn man die Situation beobachtet und Berichte liest, fällt auf, dass es so gut wie keine Kämpfe zwischen Assads Truppen und ISIS gibt. Das heißt, es ist ein zynisches Kalkül der Regierung in Damaskus, sich selber als die einzige säkulare Alternative in der Region darzustellen, auch auf Kosten der Menschen. Insofern gibt es auch hier keine einfache Antwort, Herr Kollege Gehrcke.
ISIS ist in der Tat hochmotiviert, extrem gut organisiert und auch extrem gut finanziert. Trotzdem sollten wir uns von der augenblicklichen Stärke von ISIS nicht in die Irre führen lassen. Denn ein Teil der Wahrheit ist natürlich auch: Die gegenwärtige Stärke kann sich nur entsprechend auswirken, weil die irakische Armee dramatisch versagt hat, und ISIS kann die große Fläche im Moment nur deshalb überhaupt kontrollieren, weil es ein im Grunde genommen geradezu widernatürliches Bündnis unterschiedlicher Akteure gibt: Es sind die islamistischen Kräfte und die alten Kader der Baath-Partei von Saddam Hussein, die ideologisch gesehen eigentlich überhaupt nichts miteinander zu tun haben, unterstützt von örtlichen Stammesführern.
An dieser Stelle muss man ganz klar sagen: Die Verantwortung dafür, dass das augenblickliche Bündnis zustande kommen konnte, trägt Herr al-Maliki mit seiner völlig verfehlten Politik. Deswegen muss sich im Irak etwas ändern; das können wir hier gar nicht stellvertretend für den Irak übernehmen. Der Ausschluss eines großen, relevanten Teils der Bevölkerung von der politischen Macht in Bagdad, aber auch von den Ressourcen des Landes – man muss sich nur die Entwicklung der Arbeitslosigkeit und die Unterentwicklung in den sunnitischen Gebieten vor Augen führen – muss, so gut das auch mit der Historie der langjährigen Unterdrückung der schiitischen Mehrheit im Irak zu erklären ist, ein Ende finden.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Deswegen bin ich der Meinung: An dieser Stelle ist das Signal, das die Bundesregierung ausgesandt hat, eindeutig und richtig und sollte von diesem Hause unterstützt werden: Wir sind natürlich bereit, diesen Prozess zu unterstützen, aber der erste Schritt muss im Irak selbst erfolgen.
Ich möchte einen weiteren Aspekt ansprechen. Natürlich finden in der Region zurzeit mehrere Stellvertreterkonflikte statt. Einer der großen Stellvertreterkonflikte ist der regionale Konflikt zwischen Saudi-Arabien und dem Iran. Beide instrumentalisieren die Religion für ihre politischen Interessen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, wir müssen sehr vorsichtig sein, wenn wir über diesen Konflikt und seine Nuancen sprechen. Denn es ist natürlich nicht so, dass dort nur Sunniten gegen Schiiten kämpfen. Was wir dort erleben, ist im Grunde genommen eine Weiterentwicklung einer terroristischen Strategie quasi unter Laborbedingungen. Die Kämpfe zwischen der Al-Nusra-Front in Syrien und inzwischen auch im Irak auf der einen Seite und ISIS auf der anderen Seite haben dazu geführt, dass die Strategien im Grunde genommen noch erfolgreicher und effektiver geworden sind. Sie haben ihre Strategie quasi auf dem Schlachtfeld weiterentwickelt. Das ist aber ein innersunnitischer Konflikt gewesen. Ebenso hat Herr al-Maliki seinen schiitischen Rivalen, nämlich Herrn al-Sadr, vor nicht allzu langer Zeit zum Teil auch mit militärischen Mitteln bekämpft. Den Konflikt auf eine rein schiitisch-sunnitische Konfrontation zu reduzieren, geht nicht nur an den Tatsachen vorbei, sondern würde auch die Kräfte ausschließen, die wir für einen Versöhnungs- und Kooperationsprozess brauchen. Insofern wäre das eine falsche Sicht auf die Dinge.
Unterm Strich muss man sagen: Die internationale Gemeinschaft hat es, nachdem sich der syrische Bürgerkrieg zugespitzt hat und die Genf-II-Verhandlungen gescheitert sind – das war ein dramatisches Scheitern; mit einem Eingeständnis des UN-Vermittlers Brahimi, dem wir für seine Arbeit noch einmal danken müssen –, versäumt, alle Akteure an einen Tisch zu bekommen. Deswegen kann es im Moment auch gar keine militärische Lösung geben. In dem Augenblick, in dem die Amerikaner eingreifen würden, würden sie von den Saudis und dem sunnitischen Teil der Bevölkerung, die sich ohnehin ausgegrenzt fühlen, sozusagen als die Luftwaffe von al- Maliki wahrgenommen.
Es gibt keinen anderen Weg: Wir müssen die regionalen Akteure an einen Tisch bekommen. Wir sollten die Vereinten Nationen bei ihrer wichtigen Arbeit unterstützen, den politischen Prozess wieder voranzutreiben, aber auch dafür sorgen, dass wir die Nachbarländer, die unter der Last der Flüchtlingsströme und der Instabilität zusammenzubrechen drohen, dabei unterstützen, diesen politischen Prozess zu überstehen, damit wir nicht eine neue Ordnung bekommen, die darin besteht, dass ein Kalifat ausgerufen wird und wir am Ende einen al-Qaida-Staat in unserer unmittelbaren Nachbarschaft haben.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Als nächster Redner hat der Kollege Omid Nouripour das Wort.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3591064 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 45 |
Tagesordnungspunkt | Bedrohung der regionalen Stabilität durch ISIS |