Rüdiger VeitSPD - Bedrohung der regionalen Stabilität durch ISIS
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin gebeten worden, diese Debatte aus innenpolitischer Sicht eventuell ein bisschen zu befördern. Ich will das in Bezug auf zwei Stichworte gerne tun, einmal zur Sicherheitsfrage und zum Zweiten zur Flüchtlingsaufnahme außerhalb des hier in Rede stehenden Gebietes.
Zur Sicherheitsfrage kann ich relativ Aktuelles von einem Besuch des Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz heute im Innenausschuss berichten; da es eine öffentliche Sitzung war, kann ich das hier wiedergeben. Er hat uns unter anderem Folgendes mitgeteilt: Aus Deutschland sind nach Syrien zwecks Beteiligung an dem Krieg an der Seite der Terroristen, Dschihadisten, Salafisten – wie immer wir sie nennen wollen – bisher 320 Personen – die überwiegende Zahl ist im Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft – gereist.
Diese Konstellation unterscheidet sich von der vergleichbaren im Falle Afghanistan/Pakistan in vielerlei Hinsicht. Zunächst einmal waren es damals nur insgesamt 80 Personen. Jetzt sind es, wie gesagt, 320 Personen. Zum Zweiten sind außerordentlich viele junge Leute dabei, zum Teil 15-, 16-jährige Mädchen. Zum Dritten sind es Leute, die dem Bundesamt oder anderen Sicherheitsbehörden bisher kaum als wie auch immer verdächtig aufgefallen sind. Vor allen Dingen müssen wir natürlich auch damit rechnen, dass sie nach einer eventuellen Teilnahme an kriegerischen Auseinandersetzungen dort mit einer, sagen wir einmal, nicht nur extremistischen, sondern vielleicht sogar verrohten Gesinnung nach Europa zurückkehren.
Das macht den Sicherheitsbehörden große Sorge. Die Fachleute sprechen nicht von einer konkreten Gefahr, sondern von einem stärkeren, von einem lauteren Hintergrundrauschen, das eben diese Aktivitäten widerspiegelt. Sie sind gehalten, zu beobachten, welche dieser Personen zurückkommen. Bisher waren es wohl etwa 20 an der Zahl. Von diesen weiß man relativ sicher, dass sie dort auch an kämpferischen Handlungen teilgenommen haben. Auch ist zu beobachten – ich verweise hier auf den Fall desjenigen, der über Frankfurt eingereist war, um dann in Brüssel dieses scheußliche Attentat zu verüben –, dass sie nicht unbedingt wieder beispielsweise nach Frankfurt zurückfliegen, wenn sie von dort aus nach Syrien oder in den Irak – dort kommt dies jetzt auch vor – gereist sind. Vielmehr muss man damit rechnen, dass sie bei ihrer Rückreise auch andere europäische Flughäfen nutzen. Das macht die Sicherheitslage nicht einfacher.
Der Datenaustausch zwischen den Sicherheitsbehörden ist in dem Zusammenhang notwendig und rege. Von jetzt auf der Hand liegenden Querbemerkungen zur Tätigkeit von Diensten auf diesem Gebiet im Allgemeinen oder im Besonderen auch mit Blick über den großen Teich nehme ich jetzt Abstand; sonst habe ich keine Zeit mehr, zum zweiten Punkt zu kommen.
Die Flüchtlingsfrage: Wir wissen, dass sich über 3 Millionen Menschen außerhalb Syriens und annähernd 9 bis 10 Millionen innerhalb Syriens bereits auf der Flucht befinden. Das ist ein furchtbares Elend. Wenn wir bedenken, dass die Bevölkerungszahlen in den Anrainerstaaten durch diese Flüchtlingswelle dramatisch gestiegen sind – im Libanon beispielsweise mit einer Bevölkerung von etwas über 4 Millionen gibt es jetzt fast 1 Million Flüchtlinge –, dann können wir uns angesichts der dortigen Strukturen die Situation und das Elend aller Beteiligten, inklusive der aufnehmenden Staaten und ihrer Infrastruktur, vorstellen. Die stehen kurz vor dem Kollaps.
Deswegen ist es im Wege internationaler Solidarität nicht nur geboten, dort vor Ort zu helfen, was wir in beispielhafter Weise tun – dies ist richtig; ich hoffe, dies ist auch im Sinne aller hier im Parlament vertretenen Parteien –, sondern es ist auch notwendig, sich dieses Flüchtlingselends mit Empathie und Mitgefühl anzunehmen und dafür zu sorgen, dass zumindest Europa mit seiner Wertegemeinschaft hier einen entsprechenden Beitrag leistet.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Hierzu ist aktuell Folgendes zu vermelden – mit den Zahlen will ich Sie nicht allzu sehr im Detail langweilen, aber ich nenne einige, damit die Größenordnungen klar werden –: Auf – in Anführungszeichen – normalem Wege als Asylsuchende sind seit Ausbruch des Krieges mehr als 30 000 Menschen aus der Region in Deutschland angekommen. Wir hatten im Dezember 2013 das erste und dann darauf folgend das zweite Bundesprogramm zur Aufnahme von syrischen Flüchtlingen mit jeweils 5 000 Personen. Darüber hinaus haben 15 Bundesländer – es wäre schön, das 16. käme auch noch dazu; es liegt südlich – Länderaufnahmeprogramme gemacht, die in nennenswerter Zahl auch bereits in Anspruch genommen werden konnten.
Eines der wichtigen Details dabei ist die Frage der Lebensunterhaltssicherung und insbesondere der Übernahme von Krankenbehandlungskosten. Da sind wir seit der letzten Innenministerkonferenz ein kleines Stück weiter. Denn klar ist: Die Länder übernehmen auch die Krankenbehandlungskosten, wenn die hier anwesenden Verwandten die sonstigen Unterhaltskosten übernehmen.
Ferner haben wir seit dieser Innenministerkonferenz am 12. Juni 2014 ein weiteres Kontingent von 10 000. Deutschland ist in dieser Frage führend in Europa und auch darüber hinaus. Wir handeln hier auch nicht nach dem Motto, dass wir erst einmal abwarten, was andere tun, bevor wir etwas tun. Wir machen es umgekehrt; das ist in besonderer Weise hoch anzurechnen und zu loben. Wir haben gesagt, dass wir den Anfang machen und hoffen, dass andere nachkommen. Da unterstützen wir sehr nachhaltig unseren Außenminister, und da unterstützen wir sehr nachhaltig unseren Innenminister, mit Blick auf Europa, aber auch verbunden mit dem klaren Wort, dass die bisherige Haltung der übrigen europäischen Staaten gegenüber diesem Elend eigentlich – entschuldigen Sie das Wort – schändlich ist.
Zum Schluss noch eine Bemerkung, damit deutlich wird, wie schwierig das Ganze ist. Am 27. Juni dieses Jahres –
Kollege, Sie müssen wirklich zum Schluss kommen.
– ja, danke – fand ein High-Level-Meeting in Genf statt. Dort waren 42 Staaten vertreten, um sich über die Frage der Entlastung der Region in Bezug auf das Flüchtlingselend Gedanken zu machen. Wissen Sie, was dabei herausgekommen ist? Wegen der Kürze der Zeit warte ich nicht auf Antworten, sondern nenne Ihnen die Zahl: 565 Personen. Da war der Reise- und Verköstigungsaufwand höher als das, was als Ergebnis für die vom Elend bedrohten Flüchtlinge herausgekommen ist. Ich sage erneut: Das ist schändlich. Wir sind alle gefordert, nicht nur wir, aber auch wir. Und wir können auch ein bisschen mehr tun.
Danke sehr.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE])
Als nächster Redner hat der Kollege Philipp Mißfelder das Wort.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3591076 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 45 |
Tagesordnungspunkt | Bedrohung der regionalen Stabilität durch ISIS |