Alexander RadwanCDU/CSU - Bedrohung der regionalen Stabilität durch ISIS
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben alle den Arabischen Frühling sehr positiv gesehen, als er begonnen hat. Inzwischen finden in diesem Haus regelmäßig Debatten und Diskussionen statt, weil die Region von Monat zu Monat, von Woche zu Woche instabiler wird.
Ich muss sagen – auch nachdem ich der Debatte zugehört habe –: Ich bin immer dann skeptisch, wenn ich den Eindruck habe – meine Wahrnehmung mag falsch sein –, dass auf ein sehr komplexes Thema relativ einfache Antworten gegeben werden.
Heute beschäftigen wir uns mit der aktuellen Thematik ISIS. Aktuell ist sicherlich die intensivere Berichterstattung in den Medien zu diesem Thema. Dass ISIS eine Entwicklung vom Irak nach Syrien und zurück genommen hat, konnte man aber schon lange verfolgen; ISIS ist eine sunnitische Rebellengruppe und eine Abspaltung von al-Qaida.
Wir hatten in diesem Bereich in den letzten Jahren eine historische Konstante: dass unsere Annahmen gekoppelt sind mit Fehleinschätzungen. Der Kollege Nouripour hat in einer der letzten Debatten einmal einen Satz geprägt, der mir sehr gut gefallen hat, nämlich dass die Fehleinschätzung ist: „Der Feind meines Feindes ist mein Freund.“ Das zieht sich wie ein roter Faden durch, und das betrifft insbesondere die Regionalmächte, die heute erkennen müssen, dass das, was sie sich erhofft hatten, nicht eingetreten ist, und das, was eingetreten ist, zu ihrem Problem wird. Die Ausrufung des Kalifats im Irak führt genau dazu, dass diese Regime jetzt entsprechend bedroht werden. Das führt nicht nur im Irak zu Problemen, sondern wir sehen uns damit konfrontiert, dass ein Flächenbrand bevorsteht.
Diese Woche konnte ich mit dem Botschafter des Libanon reden. Er hat mir beschrieben – nicht nur ausgehend von der Flüchtlingsproblematik, die diese Länder zurzeit zu stemmen haben –, was momentan von ISIS in diese Länder hineingetragen wird. Das Gleiche betrifft Jordanien, das Gleiche betrifft die Türkei. Darum muss eine unserer Aufgaben sein – ich will nicht priorisieren –, dass wir diesen Ländern helfen, Stabilität zu halten, dass wir nicht nur an der Lösung der Probleme arbeiten, sondern auch diese Länder entsprechend stützen.
Ein roter Faden ist hier – das haben ja mehrere Redner gesagt –, dass wir darauf hinwirken müssen, dass es im Irak zu einem Dialog kommt. Es gibt dort einen Konflikt zwischen Sunniten, Schiiten und Kurden – wobei wir oft in einer Art und Weise argumentieren, die relativ holzschnittartig ist: Sunniten, Schiiten, Kurden – als wenn die Sunniten ein homogener Block wären.
(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)
Wir müssen darauf achten und darauf hinwirken, dass den Gemäßigten, den vielen Menschen, die mit dem Konflikt nichts zu tun haben, denjenigen, die durch diese Katastrophe, die diese Entwicklung für sie persönlich darstellt, möglicherweise radikalisiert werden, geholfen wird, ihnen eine Perspektive gegeben wird. Darum bin ich auch hier bei unserem Fraktionsvorsitzenden Kauder, der die humanitäre Hilfe und das Elend der Menschen wohl am stärksten angesprochen hat. Wenn wir als Deutschland und als Europa hier nicht hineingehen und entsprechend unterstützen, wird diese Region keine Stabilität finden.
Der Dialog beginnt natürlich bei al-Maliki. Wenn er es nicht schafft, dann muss das jemand anderes tun; ich bin hier völlig bei Philipp Mißfelder, dass wir als Westen keine Personalvorschläge zu machen haben. Wir sollten aber schon klarmachen, was wir von dieser Region und von den Machthabern in diesen Ländern, aber eben auch im Iran, in Saudi-Arabien und in anderen Einflussmächten erwarten, um hier zum Frieden zu kommen. Sie müssen endlich verstehen, dass sie durch entsprechendes Handeln ihre eigene Legitimität und Existenz gefährden.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Ich komme zu einem Punkt, der nicht die oberste Priorität hat. Wir alle sind uns einig, dass militärische Lösungen und Interventionen jetzt keine Option sind. Wir als Europa und als Deutschland – gerade im arabischen Raum genießen wir sehr viel Vertrauen und Anerkennung – müssen uns mit den Machthabern und den Verantwortlichen vor Ort auch Gedanken darüber machen, wie es mit der Region weitergeht, wie es für die Menschen eine Perspektive geben kann, wenn die Konflikte hoffentlich bald ein Stück weit abgebaut sein werden. Ein Waffenstillstand bedeutet nämlich noch lange nicht, dass sich der Dialog normalisiert, dass die Angehörigen unterschiedlicher Religionen friedlich nebeneinander leben und dass die Menschen vor allen Dingen – darum geht es – eine wirtschaftliche und soziale Existenz und Perspektive bekommen.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3591113 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 45 |
Tagesordnungspunkt | Bedrohung der regionalen Stabilität durch ISIS |