Bernd RützelSPD - Einführung eines Mindestlohnes
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir beschließen heute das Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie. Prominentester Teil dieses Gesetzes ist zweifelsohne der Mindestlohn, der allgemeine und flächendeckende Mindestlohn. Zur historischen Dimension dieser Einführung haben wir in der letzten Stunde viel Richtiges und Wichtiges gehört. Wer genau hingehört hat, hat vielleicht erkannt, was wirklich wichtig ist und was nur vorgeschoben ist. Der Mindestlohn ist aber nicht das Ziel, sondern er ist ein Stück des Weges, ein breites und gut ausgebautes Wegstück, kein „Flickenteppich“. Das Ziel ist die Stärkung der Tarifautonomie.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Die Geschichte der Tarifautonomie ist im Grunde die Geschichte des Kampfes von benachteiligten Menschen, nicht nur zur Sicherung eines lebenswerten Daseins, sondern oftmals zur Erlangung einer existenzsichernden Versorgung. Die Tarifautonomie, wie wir sie heute kennen, dient dem Wohle der Menschen, aber auch und vor allem dem Wohle der ganzen Volkswirtschaft. Um diese Tarifautonomie – das haben wir in England wieder gehört – beneiden uns viele Länder. Die Sozialpartner haben sich oft gestritten. Es wurde gestreikt, aber die Sozialpartner haben immer wieder verhandelt und schließlich Frieden geschlossen. Es gab immer eine Verlässlichkeit in diesem System.
Aber in den letzten 20 Jahren ist etwas aus dem Ruder gelaufen. Die Löwen haben gebrüllt. Man hat den brüllenden Löwen ein Stück Fleisch hingeworfen, aber sie sind nicht ruhiger geworden. Sie haben immer lauter gebrüllt, und mit jedem Stück Fleisch haben sie noch mehr verlangt. Wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind gefordert. Wir werden dafür sorgen, dass wieder Ordnung herrscht. Untertarifliche Entgelte, die Streichung oder Kürzung von Sonderzuwendungen, längere Arbeitszeiten und vieles mehr wollen wir nicht. Das ist die falsche Weichenstellung. Es muss sich etwas ändern. Heute setzen wir ein ganz wichtiges Zeichen. Das ist ein Signal und eine wichtige Weichenstellung. Vielen Dank an die Bundesarbeitsministerin.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Vielen Dank an alle, die tatkräftig und sehr effektiv in den letzten Wochen und Monaten mitgearbeitet haben.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Herr Kollege Rützel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schlecht?
Ja, bitte.
Lieber Herr Kollege, ich stimme mit Ihnen hinsichtlich der positiven Würdigung der Tarifautonomie überein. Auch ich bin der Meinung, dass diesbezüglich manches, wie Sie es gesagt haben, „aus dem Ruder gelaufen“ ist; ich finde, das ist noch eine relativ harmlose Formulierung. Wenn Sie das so sehen, sind Sie dann auch mit mir der Meinung, dass in diesen Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie, mit dem erstmalig offiziell anerkannt wird, dass politische Rahmenbedingungen etwas mit der Handlungsfähigkeit von Gewerkschaften in der Tarifpolitik zu tun haben – bisher ist das ja immer negiert worden –, eine ganze Menge mehr hineingehörte, zum Beispiel eine Neuregelung hinsichtlich der Befristungen, damit dieses elende Befristungswesen abgeschafft wird, eine Regelung zur Leiharbeit, eine Regelung, nach der Werkverträge nicht mehr möglich sind, usw.? Ich könnte Ihnen eine Reihe weiterer Maßnahmen aufzählen. Das ist doch nur Stückwerk, was hier vorgelegt wird.
Herr Schlecht, ich habe Ihnen doch das mit den Löwen erklärt. Die Weichenstellung war falsch. Ich bin Ihnen dankbar für diese Zwischenfrage. Es ist richtig: Das, was wir jetzt gebaut haben, ist ein erstes, breites, wichtiges Stück auf dem Weg zu mehr Gerechtigkeit in der Arbeitswelt, im Tarifvertragswesen und in der Tarifautonomie. Diesen Weg werden wir weitergehen. Die Punkte, die Sie angesprochen haben, werden wir nach der Sommerpause wieder auf der Agenda haben; denn es geht weiter.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU])
Wir werden als Nächstes in diesem Gesetz die Allgemeinverbindlichkeit stärken. Das ist ein vielleicht noch wichtigerer Punkt. Dies wird dazu führen, dass Gewerkschaften und Arbeitgeber künftig wieder mehr Tarifverträge aushandeln und diese für wesentlich mehr Menschen bzw. für die breite Masse gelten werden. Die starre 50-Prozent-Marke, die aufgrund der abnehmenden Tarifbindung immer schwieriger zu erreichen war – das wird sich in Zukunft wieder ändern –, schaffen wir ab. Es muss ein öffentliches Interesse vorliegen; das ist zukünftig das entscheidende Kriterium für die Allgemeinverbindlichkeitserklärung.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Damit werden auch die Trittbrettfahrer erfasst, die sich die Ordnungsfunktion eines Tarifvertrages zunutze machen, aber nicht Mitglied in einem Verband sind, keine Mitgliedsbeiträge zahlen und Tarifverträge nach Gutsherrenart anwenden. Das wird nach diesem Gesetz nicht mehr möglich sein.
Schließlich, liebe Kolleginnen und Kollegen: Mit der Öffnung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes für alle Branchen schaffen wir eine wichtige Grundlage für einen fairen Wettbewerb und gleichzeitig gleiche und gerechte Arbeitsbedingungen unabhängig von der Herkunft von Arbeitgeber und Beschäftigten. Wahrlich: Heute ist ein historischer Tag.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt Wilfried Oellers, CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Wir könnten doch jetzt abbrechen, oder?)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3594509 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 46 |
Tagesordnungspunkt | Einführung eines Mindestlohnes |