Ulla JelpkeDIE LINKE - Einstufung sicherer Herkunftsstaaten
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Koalition will heute einen Gesetzentwurf durch das Parlament peitschen, der zu einem weiteren Einschnitt beim Flüchtlingsschutz in Deutschland führen wird. Serbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien sollen pauschal als sichere Herkunftsstaaten eingestuft werden. Flüchtlinge aus diesen Ländern werden in Zukunft im Asylschnellverfahren abgelehnt. Der Rechtsschutz wird extrem eingeengt. Die Linke lehnt diese Änderungen strikt ab.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir fordern in unserem Antrag, auf dieses Vorhaben zu verzichten. Statt Menschen im Schnellverfahren abzufertigen, sollten die Fluchtgründe wirklich genau geprüft werden. Niemand, Herr Innenminister, der in seinem Herkunftsland unter massiven Diskriminierungen und Menschenrechtsverletzungen zu leiden hat, darf abgeschoben werden. Vor allen Dingen darf man nicht Flüchtlinge aus dem einen Land gegen Flüchtlinge aus dem anderen Land ausspielen. Das halte ich wirklich für unglaublich skandalös.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Der Innenausschuss hat in der letzten Woche eine Sachverständigenanhörung durchgeführt. Am Dienstag fand mal eben eine Sondersitzung statt, in der dieser Gesetzentwurf durchgewinkt wurde. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Ergebnis der Anhörung hat es überhaupt nicht gegeben. Der Koalition war es wichtiger, diesen Gesetzentwurf vor der Sommerpause durchzuprügeln, als sich mit den Bedenken der Sachverständigen auseinanderzusetzen. Die Berichte des Europarats oder auch die Menschenrechtslage, die von vielen NGOs beschrieben wurde, spielten überhaupt keine Rolle. Dabei gilt: Wenn der Gesetzgeber – das sind wir – in diesem Haus eine Liste sicherer Herkunftsstaaten erstellt, muss er sich selbst ein umfassendes Bild von der Lage dieser Herkunftsstaaten machen. Das war die Maßgabe des Bundesverfassungsgerichts von 1996. Aber die Koalition hat sich davor gedrückt. Sie folgen nicht menschenrechtlichen Erwägungen, sondern koalitionspolitischer Räson. Sie opfern Flüchtlingsrechte auf dem Altar des Koalitionsfriedens. Ich kann dazu nur sagen: Das finde ich schäbig.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, in der erwähnten Anhörung wurde der Gesetzentwurf der Bundesregierung deutlich kritisiert. Die Sachverständige Dr. Waringo zum Beispiel hat der Bundesregierung vorgeworfen, Rechtsverstöße zu bagatellisieren und zu verharmlosen. Insbesondere Roma würden in den drei Staaten, von denen heute die Rede ist, gesellschaftlich diskriminiert und an den Rand gedrängt. Sie hat an vielen Beispielen geschildert, wie Roma die Aufnahme in Krankenhäuser verwehrt wird, wie ihre Kinder in Sonderschulen verschoben werden, nur weil sie Roma sind. Die Armut der Roma sei Ergebnis einer strukturellen Diskriminierung über Jahrzehnte hinweg, sagte die Sachverständige. Die Polizei schreite bei Angriffen auf Minderheiten einfach nicht ein. Es sei klar, dass alle diese Diskriminierungen zusammengenommen zu einer Situation führen, in der Menschen in ihrer Existenz und Menschenwürde gefährdet sind. Diesen Menschen müssen wir weiter Schutz bieten; das kann überhaupt keine Frage sein.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, die Anhörung im Ausschuss hat weitere gravierende rechtliche Mängel Ihres Gesetzentwurfes aufgezeigt. Sie orientieren sich bei der Einstufung als sicherer Herkunftsstaat weiterhin an der Frage, ob der Staat selbst für politische Verfolgung verantwortlich ist. Das ist ein viel zu enger Maßstab. Der Sachverständige Dr. Marx – übrigens ein sehr versierter Asylanwalt – hat dargelegt, dass nach europäischem Recht die Frage lauten müsste, ob der Staat effektiv und dauerhaft vor Verfolgung und Menschenrechtsverletzungen schützt, egal von wem sie ausgehen. Das ist der erste Mangel.
Der zweite Mangel besteht darin, dass europarechtlich auch kumulative Diskriminierungen als Verfolgung gewertet werden müssen. Das bedeutet, Menschenrechtsverletzungen müssen nicht so weit gehen, dass Leib und Leben bedroht sind. Auch viele kleine Menschenrechtsverletzungen können die Lage für die Betroffenen so unerträglich machen, dass ein Anrecht auf Schutz besteht. Auch Verletzungen der sozialen Menschenrechte müssen berücksichtigt werden. Darauf, Herr Innenminister, hat im Übrigen der UN-Flüchtlingskommissar in seiner Stellungnahme deutlich hingewiesen. Dem schließen wir uns an. Wenn Menschen dauerhaft an den Rand gedrängt werden, darf ihnen die Flucht aus dieser lebensbedrohlichen Armut nicht zum Vorwurf gemacht werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich komme zum Schluss. Ihr Gesetzentwurf ist rechtlich mangelhaft, er verletzt die verfassungsrechtlich gebotene Sorgfaltspflicht, er ignoriert europäisches Recht, und er verharmlos rassistische Ausgrenzung und Diskriminierung in den Herkunftsländern. Ich kann nur an Sie appellieren – insbesondere an die Vertreter der Grünen im Bundesrat –: Knickt nicht ein! Stimmen Sie diesem Gesetzentwurf nicht zu!
Danke schön.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Özdemir das Wort.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3595306 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 46 |
Tagesordnungspunkt | Einstufung sicherer Herkunftsstaaten |