Mahmut ÖzdemirSPD - Einstufung sicherer Herkunftsstaaten
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Entwurf des Gesetzes der Bundesregierung zur Einstufung weiterer Staaten als sichere Herkunftsstaaten und zur Erleichterung des Arbeitsmarktzugangs für Asylbewerber und geduldete Ausländer wurde anlässlich der ersten Lesung differenziert debattiert. Hierbei stand und steht der humanitäre Gesichtspunkt, aber vielmehr der Mensch für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten immer im Mittelpunkt.
Nüchtern zu lösen ist die dem Thema innewohnende Problematik, wenn man sich emotional gelöst den Komplexen erstens einer Priorität von Asylsuchenden aufgrund von politischer Verfolgung vor anderen Gründen wie Armut nähert und zweitens analytisch unter verwaltungsjuristischem Aspekt die politische Dimension nicht nur aus Berlin, sondern auch unmittelbar aus den betroffenen Kommunen heraus betrachtet. Die Kommunen sind nämlich die erste Instanz, mit der die Asylbewerber und die geduldeten Ausländer in Berührung kommen. Diese Ebene ist befähigt, für das BAMF ein Höchstmaß an Entscheidungsreife aufgrund von Fakten herbeizuführen. Gleichsam wurden die Kommunen in der Vergangenheit in den betroffenen Ressorts leider kontinuierlich ausgedünnt. Gerade deshalb will ich als Mitglied im Unterausschuss Kommunales diesen Blickwinkel noch einmal herstellen.
Der Gesetzentwurf konstatiert die Fakten, auf die ich noch einmal kurz eingehen möchte:
So steht es im Gesetzentwurf. Der Beleg hierfür ist, dass ein Fünftel der Erstanträge Staatsangehörigen dieser Herkunftsstaaten zuzurechnen ist. Das ängstigt uns Sozialdemokraten nicht. Vielmehr sind wir uns unserer deutschen Verantwortung bewusst, und wir haben gerade in diesem Bewusstsein auch den Koalitionsvertrag mit der CDU/CSU ausgehandelt.
Auf dieser Basis werte ich zunächst die Erleichterung hinsichtlich des Arbeitsmarktzuganges als sehr positiv und begrüßenswert. Natürlich können wir gemessen an unserer Wirtschaftskraft mehr tun. Die Bundesregierung in Person von Staatsministerin Özoguz hat dies auch bereits in die richtige Richtung formuliert.
(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das äußert sich nicht in Ihrem Gesetz!)
Fraglich ist hingegen, wo wir als Erstes ansetzen. Ein Blick ins Grundgesetz erleichtert hier die Gesetzgebung. Aus Zeitmangel verweise ich auf Artikel 16 a Absatz 3 Grundgesetz. Die umstrittene Beweislastumkehr, auf die ich hier abstelle, ist bereits Verfassungsrecht und durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts seit 1996 auch etabliert. Entscheidende Prüfsteine, so Karlsruhe, sind die Rechtsstaatlichkeit und die Freiheitlichkeit im Allgemeinen.
Damit gibt uns unser Grundgesetz quasi vor, prioritär nach der zuweilen lebensbedrohlichen politischen Verfolgung der Menschen zu entscheiden. Selbstredend kann man über das Rechtsstaats- und Freiheitsverständnis der betroffenen drei Staaten diskutieren. Diese Diskussion hat allerdings eine völlig andere Qualität als die Diskussion darüber, ob die Gefahr für Leib, Leben und Freiheit durch Verfolgung zum Asyl berechtigt.
Ich möchte diese Gruppen gar nicht gegeneinander ausspielen. Jedoch müssen wir garantieren, dass wir denjenigen, deren Notlage am größten ist, helfen können, indem wir eine fundierte Bearbeitung zügig gewährleisten und indem wir zunächst nicht asylrelevante Tatsachen ausscheiden. Die Zahlen geben uns in dieser Hinsicht recht. Die Anerkennungsquote – das haben wir vom Minister gehört – liegt bei unter 1 Prozent. Zu diesen Herkunftsstaaten sind rund 12 000 Gerichtsurteile ergangen, und eine Schutzgewährung erfolgte nur in 82 Fällen.
(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Weil ihr eingeengt habt auf die Frage von Verfolgung durch den Staat!)
Die Obliegenheit eines Asylbewerbers aus einem sicheren Herkunftsstaat, Gründe beizubringen, die sein Anliegen untermauern, ist verhältnismäßig, wenn man beachtet, dass dadurch die Schutzintensität möglicherweise dringlich schutzbedürftiger Asylbewerber erheblich steigt. Angesichts von 127 000 Asylanträgen allein im Jahre 2013 ist es vielmehr geboten, asylrelevante und asylfremde Tatsachen durch eine Vorprüfung zu trennen. Die Einzelfallprüfungen sämtlicher Rechte werden ja nicht ausgehebelt – ebenso wenig wie das Recht, den Erstantrag durch das Vorbringen eines Folgeantrags zu erneuern und zu vertiefen.
Ich kenne die persönlichen Schicksale von europäischen und nichteuropäischen Flüchtlingen und geduldeten Ausländern aus meinem Wahlkreis in Duisburg. Willy Brandt hat einst gesagt, er habe gesehen, wie Krieg zu Armut führe, und er möchte nicht sehen, wie Armut zu Krieg führe. – Tauscht man das martialische Wort „Krieg“ gegen „sozialer Unfrieden“, so haben wir ein ziemlich passgenaues Zitat für das Jahr 2014.
(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war aber nicht das, was Willy Brandt meinte!)
Die Kommunen haben nämlich neben ihren üblichen Aufgaben der kommunalen Daseinsvorsorge – vom Stopfen der Straßenlöcher bis zum Strom – eine massiv erhöhte Zahl von Asylanträgen vor Ort zu bearbeiten. Aus Erstanträgen werden Folgeanträge. Es grenzt schier an Unmöglichkeit, alle Asylbewerber unterzubringen, weil Übergangswohnheime für Asylantragsteller erst eingerichtet und teilweise neu gebaut werden müssen. Dies setzt zunächst voraus, dass ein unumstrittener Standort in der Nachbarschaft anständig kommuniziert wird. In meiner Heimatstadt sind jüngst 280 Wohnungen für die Unterbringung von Asylbewerbern beschlagnahmt worden – Tendenz steigend.
Mit Beton alleine ist es aber auch nicht getan. Das Betreuungspersonal der Wohnanlagen und der Sammelunterkünfte finanzieren ebenfalls die Kommunen aus dem eigenen Etat. Ich möchte daher in diesem Hohen Hause die Gelegenheit nutzen, den Oberbürgermeistern, den Bürgermeistern, den Beigeordneten und auch den ehrenamtlichen Menschen vor Ort aufrichtig für ihren Einsatz zu danken, unser Asylrecht – jenseits der Auslegung von Gesetzestexten – herunter bis in die Stadtviertel verständlich zu vermitteln.
Auf diese Art können wir den Menschen vor Ort ihre Sorgen nehmen, etwa um den Wert der eigenen Immobilie. Vor allem aber gilt es, die Sorgen aufgrund der sich immer größer auftuenden Diskrepanz zu nehmen, der Diskrepanz zwischen den gesetzlichen Aufgaben aus Berlin auf der einen Seite, die gemäß dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erfüllen sind, und dem kommunalen Sparzwang auf der anderen Seite, der durch die Schließung von kommunalen Einrichtungen augenfällig wird. Diese Diskrepanz müssen wir als Bundespolitiker gemeinsam beseitigen. Hier möchte ich ansetzen.
In diesem Sinne: Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und Glück auf!
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Das Wort erhält nun die Kollegin Luise Amtsberg für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
(Mahmut Özdemir [Duisburg] [SPD]: Die dürfen nicht klatschen!)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3595307 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 46 |
Tagesordnungspunkt | Einstufung sicherer Herkunftsstaaten |