Andrea LindholzCDU/CSU - Einstufung sicherer Herkunftsstaaten
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Weltweit sind über 43 Millionen Menschen auf der Flucht. Die Gründe für Flucht und Vertreibung sind vielschichtig. Gewalttätige Konflikte wie der Bürgerkrieg in Syrien sind die offensichtlichste Ursache. Aber auch ökologische, ökonomische und soziale Probleme führen dazu, dass sich heute Millionen Menschen gezwungen sehen, ihre Heimat zu verlassen. Klimawandel, Wassermangel, Dürreperioden, starkes Bevölkerungswachstum und Verstädterung verursachen ebenfalls enorme Flüchtlingsströme.
Die multiplen Fluchtursachen finden sich auch in dem Bericht, den die Vereinten Nationen am Weltflüchtlingstag am 20. Juni vorgestellt haben. Auch wenn diese Probleme weit weg zu sein scheinen, betreffen sie Europa und Deutschland ganz unmittelbar. Für Deutschland rechnet das Bundesinnenministerium in diesem Jahr mit rund 200 000 Asylanträgen. Das ist eine Steigerung um über 700 Prozent im Vergleich zu 2008. Allein im letzten Jahr hat die Zahl der Asylanträge um rund 60 Prozent zugenommen.
Rund ein Viertel der heutigen Asylbewerber stammt aus Serbien, Bosnien-Herzegowina oder Mazedonien. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge stellt seit Jahren in über 99 Prozent aller individuellen Anhörungen, Frau Kollegin Amtsberg, keine asylrelevanten Schutzgründe fest. Die Menschen vom Westbalkan fliehen nach eigenen Angaben in erster Linie vor Arbeitslosigkeit und wirtschaftlicher Not. Das wurde uns in der letzten Woche in der Anhörung vom Präsidenten des BAMF bestätigt. Er hat nochmals dargelegt, wie individuell und gründlich jeder einzelne Antrag geprüft wird. Unser Asylrecht dient dem Schutz von politisch Verfolgten und nicht der Entwicklungshilfe.
Die EU hat für Serbien, Mazedonien und Bosnien die Visumspflicht aufgehoben. Serbien und Mazedonien haben den offiziellen Status eines EU-Beitrittskandidaten. Bosnien-Herzegowina wird als potenzieller Beitrittskandidat geführt. Ohne wesentliche soziale und politische Fortschritte wäre die Visaliberalisierung nicht erfolgt. Diese Länder erfüllen die Kriterien eines sicheren Herkunftslandes.
Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder eine Zwischenbemerkung von Herrn Nouripour?
Bitte.
Frau Kollegin, herzlichen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie haben gerade gesagt, jeder einzelne Fall werde tatsächlich geprüft. Warum soll denn jeder einzelne Fall geprüft werden, wenn der Betroffene aus einem Staat kommt, der vorher per Gesetz als tatsächlich sicher erklärt wurde? Was ist die Logik der Geschichte?
Erklären Sie doch bitte den Menschen nicht jedes Mal, sie hätten dann bei uns keinen Asylanspruch. Das ist doch nicht richtig.
Moment, Frau Kollegin. Vielleicht lassen Sie ihn bitte ausreden. Dann können Sie auch darauf antworten.
Jetzt haben Sie mich auf eine Idee gebracht, und ich kann meine Frage so schließen – das ist ja wundervoll –: Wie kommen Sie dazu, zu behaupten, die Leute hätten einen Anspruch auf Asyl, wenn ihre Anträge sowieso von vorneherein negativ beschieden werden – egal wie man sie prüft –, weil die Leute aus einem sicheren Drittstaat kommen?
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Herr Kollege, so ist das nicht korrekt. Auch dann, wenn wir die Länder zu sicheren Herkunftsstaaten erklären, besteht nach wie vor beim Vorliegen kumulativer Gründe – Frau Kollegin Amtsberg und Frau Kollegin Jelpke weisen regelmäßig zu Recht darauf hin – ein Anspruch darauf, bei uns Asyl zu beantragen. Genau das wird vom BAMF geprüft.
(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Kein Rechtsschutz!)
– Natürlich gibt es einen Rechtsschutz. Dass Ihnen der Rechtsschutz nicht weit genug geht, weiß ich, aber es besteht ein Rechtsschutz.
(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine Woche Rechtsschutz!)
Es besteht die Möglichkeit, hier Asyl zu beantragen. Aber es gibt keinen Anspruch auf Asyl, wenn keine politische Verfolgung oder keine kumulativen Gründe vorliegen. Ganz einfach.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Daran wird sich auch nichts ändern, auch wenn Sie es nicht zur Kenntnis nehmen wollen.
Was wir auch machen müssen, ist, die Kommunen zu entlasten. Mit all diesen Maßnahmen tun wir dies. Wir können doch nicht den Blick davor versperren, dass es in vielen Städten und Gemeinden schwierig ist, die Asylbewerber unterzubringen. In Bayern kommen inzwischen täglich rund 100 neue Asylbewerber an. Die Erstunterkünfte platzen aus allen Nähten. Selbst in einer wohlhabenden Stadt wie München muss ernsthaft über die Errichtung von Zeltstädten nachgedacht werden, um allen Ankommenden ein Dach über dem Kopf bieten zu können. Angesichts dieser prekären Situation müssen wir handeln, und wir müssen die Anreize, aus rein wirtschaftlichen und sozialen Gründen nach Deutschland zu kommen, verringern. Sonst fehlen uns nämlich für diejenigen die Kapazitäten, die unseren Schutz wirklich brauchen.
Deutschland übernimmt im europäischen Asylsystem mehr Verantwortung als alle anderen Länder. Auch das wurde erst gestern bei der Anhörung mit Zahlen belegt. Das ist auch gut so. Aber auch unsere Aufnahmekapazitäten sind begrenzt. Wir sind verpflichtet, uns auf die wirklich schutzbedürftigen Flüchtlinge zu konzentrieren.
Gleichzeitig sollten wir denjenigen, die zu uns kommen und die ein begründetes Recht auf Asyl haben, echte Zukunftsperspektiven in Deutschland eröffnen. Das tun wir, indem wir den Arbeitsmarktzugang erleichtern; das tun wir, indem wir die Verfahrensdauer verkürzen. Das ist im Sinne einer langfristigen Integration der Menschen und ist hinsichtlich ihres Wunsches, schneller mehr Sicherheit zu haben, schneller arbeiten zu können oder schneller selbstständig bei uns sein zu können, der bessere Weg, als auf staatliche Hilfe angewiesen zu sein.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3595353 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 46 |
Tagesordnungspunkt | Einstufung sicherer Herkunftsstaaten |