03.07.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 46 / Tagesordnungspunkt 12

Philipp LengsfeldCDU/CSU - 100 Jahre Erster Weltkrieg

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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei, wir haben heute Morgen gemeinsam bereits an den Ausbruch des Ersten Weltkriegs erinnert.

(Sevim Dagdelen [DIE LINKE]: Beginn! An den Kriegsbeginn!)

Die Gedenkstunde gab uns die Gelegenheit, das Leid und den Schrecken, die der Krieg über die Menschen brachte, noch einmal zu reflektieren. Dies führt uns noch einmal drastisch vor Augen, wie groß die Verantwortung politischer Entscheidungsträger sein kann.

Vor diesem Hintergrund halte ich das Grundanliegen Ihres Antrags – übrigens trotz Ihrer Rede, muss ich jetzt einmal sagen, Frau Kollegin – für diskussionswürdig. Ich sage dies auch, obwohl ich die ersten Sätze Ihres Antrags natürlich für absolut nicht richtig halte. Inhaltlich fordert die Linke eine Gedenktafel für den damaligen SPD-Reichstagsabgeordneten Karl Liebknecht, und zwar als Würdigung seines Abstimmungsverhaltens im Dezember 1914.

Schauen wir uns die Sachlage einmal genauer an. Wir haben schon einiges gehört, aber ich möchte es etwas ausführen. Als der Krieg im Sommer 1914 ausbrach, stimmten die Parlamentarier aller Fraktionen im Reichstag im August zunächst geschlossen den von der Regierung beantragten Kriegskrediten zu. Karl Liebknecht und einige Unterstützer votierten zwar intern in der SPD gegen die Kredite, folgten aber in der Abstimmung im Plenum der Fraktionsdisziplin. Am 2. Dezember 1914 – das ist hier schon gesagt worden – stellte sich Karl Liebknecht als erster und einziger Reichstagsabgeordneter gegen weitere Kredite für den Krieg. In einer dritten Abstimmung votierten zwei Abgeordnete gegen erneute Kriegskredite. Bei weiteren Abstimmungen wuchs die Zahl der Neinstimmen. Sie blieben aber eine kleine Minderheit. Die Haltung von Liebknecht und seinen Unterstützern radikalisierte sich zunehmend und führte schließlich zum Bruch mit der SPD. 1916 wurde Liebknecht verhaftet, verurteilt und eingesperrt. Zum Kriegsende amnestiert, radikalisierte sich Liebknecht weiter und beteiligte sich Anfang 1919 in Berlin aktiv am Januaraufstand zur Bekämpfung der neu entstehenden Republik. Am 15. Januar 1919 wurden Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg durch Freikorpsoffiziere ermordet. So weit die Fakten.

Die Gewissensfreiheit eines Abgeordneten ist ein verfassungsrechtlich verankertes hohes Gut der Demokratie. Karl Liebknechts eindeutige Haltung zum aufziehenden und im Gang befindlichen Krieg verdient unseren Respekt und eine angemessene Würdigung.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Immerhin stand er gegen die Kriegsbegeisterung in der Bevölkerung, bei den anderen Parteien, aber auch bei Teilen seiner eigenen Partei. Eine Information über dieses bedeutende Ereignis für die deutsche Parlamentshistorie sollte sicherlich in einem der vielfältigen Informationsmedien unseres Hauses herausgearbeitet werden. Wir werden im Ausschuss Gelegenheit haben, uns über den Stand der Dinge zu informieren und hier gegebenenfalls Anregungen geben. Aber eine Gedenktafel, liebe Kolleginnen und Kollegen, des Deutschen Bundestages am Reichstagsgebäude wäre ein doch sehr viel weiter gehender Schritt. Hier sollten wir auch die weiteren politischen Handlungen von Karl Liebknecht berücksichtigen.

Zunächst möchte ich daran erinnern, dass es in diesem Land wirklich keinen Mangel an Erinnerungen an Karl Liebknecht gibt, weder an Orten noch Institutionen noch Mahnmalen. Es ist nicht nur die Bundeszentrale der Linkspartei nach Karl Liebknecht benannt. Wir haben Karl-Liebknecht-Straßen und -Plätze in Berlin, in seiner Geburtsstadt Leipzig, in Chemnitz, in Halle – um einige zu nennen –, aber auch in Dortmund unweit des Westfalenstadions inklusive eigener U-Bahn-Station. In Potsdam spielt die erfolgreiche Frauenfußballmannschaft Turbine Potsdam im Karl-Liebknecht-Stadion. Es gibt Grundschulen und Gymnasien, die nach Karl Liebknecht benannt sind. In meinem Wahlkreis Berlin- Mitte im Ortsteil Tiergarten erinnert am Neuen See eine Stele an den Ort, an dem Karl Liebknecht ermordet wurde. Der Friedhof der Sozialisten inklusive Mahnmal ist ein weiterer prominenter Ort, der auch jedes Jahr von der Linkspartei und neuerdings auch von anderen linken Gruppen Ziel eines Gedenkmarsches ist. Der Name Karl Liebknecht hat in der deutschen Öffentlichkeit also eine starke Präsenz.

Ich möchte in diesem Zusammenhang Ihren Blick auf ein besonders interessantes, in der Öffentlichkeit fast völlig unbekanntes Liebknecht-Denkmal richten. Es steht nicht weit von hier, am Potsdamer Platz.

(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Sockel!)

– Genau. – Sein Sockel wurde im Jahr 1951 durch die SED errichtet. Zehn Jahre später fiel es, noch unvollendet, dem wesentlich größeren kommunistischen Projekt, nämlich dem Mauerbau, zum Opfer. Nach dem Fall der Mauer und dem Umbau des Potsdamer Platzes wurde es im Jahr 2003 neu aufgestellt, unfertig als ein leerer Sockel. Die Deutung des Denkmals bleibt offen. Es wird für den Betrachter jedoch klar, dass es eben nicht nur den einen, unkritischen Blick auf Karl Liebknecht geben kann.

Damit komme ich zum dritten und aus meiner Sicht wichtigsten Aspekt. Karl Liebknecht ist einer der Gründer der Kommunistischen Partei Deutschlands. Das Wirken der KPD in der Weimarer Republik kann und wird jeder Demokrat negativ bewerten. Dies fing schon in der Gründungsphase 1918/19 an. Die KPD und Karl Liebknecht setzten von Anfang an auf bewaffneten Umsturz, in den Worten der Kommunisten verbrämt als revolutionärer Kampf. Die Demokratie im Allgemeinen und die SPD im Besonderen wurden von den Kommunisten unerbittlich bekämpft. Die Entstehung der KPD ist auch untrennbar mit dem Abstimmungsverhalten von Karl Liebknecht und seinen Unterstützern beim Thema Kriegskredite verbunden.

(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das kann doch wohl nicht wahr sein!)

Die Linie führte von der Gruppe International, dem Zusammenschluss der Kriegskreditgegner und ihrer Unterstützer, später dann benannt als Spartakusbund, über die USPD zur KPD. Der Name Liebknecht steht damit auch am Anfang einer antidemokratischen und antiparlamentarischen Tradition; denn die KPD hat einen Anteil am Scheitern der Weimarer Demokratie.

Schauen wir noch einmal auf die beiden positiven Traditionslinien des Abstimmungsverhaltens von Karl Liebknecht am 2. Dezember 1914, die Gewissensfreiheit und den Antimilitarismus.

(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bismarck hat auch nicht lange genug gelebt!)

Fühlte sich die KPD diesen beiden Traditionslinien ihres Gründers wirklich verpflichtet? Nein, im Gegenteil: Die KPD war eine straff geführte Kaderpartei, durch und durch undemokratisch. Innerparteiliche Demokratie und Gewissensfreiheit wurden offen denunziert und brutal bekämpft. Und der Kampf gegen Militarismus und Krieg? Sie wollen es vielleicht nicht hören, aber auch da haben Kommunisten eine klare Haltung. Sie sind eben keine Pazifisten, sondern bekämpfen Krieg und Militär immer dann, wenn es sich um Kriege und Militär ihrer politischen Feinde handelt, dies dann aber mit großer Konsequenz und riesigem propagandistischen Aufwand. Ihre eigenen Armeen und ihre eigenen Kriege sind für Kommunisten dagegen völlig legitim.

Kollege Lengsfeld, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder Anmerkung des Kollegen Dr. Dehm?

(Marco Wanderwitz [CDU/CSU]: Bitte nicht!)

Dr. Dehm, ich respektiere Ihre Lieder. Ich höre mir gern Ihre Frage an.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)

Sie haben ja am Anfang Verständnis für das Grundanliegen gezeigt. Ich möchte Sie fragen, ob Sie wirklich der Meinung sind, dass das, wofür Sie Verständnis zeigten, nämlich Karl Liebknecht in einer, wenn auch von uns abweichenden Dimension zu ehren, tatsächlich dadurch eingeschränkt würde, dass Sie die, wie ich finde, jetzt von Ihnen nicht belegte These aufstellen, dass der arme Mensch, der an diesem Januartag 1918 ermordet wurde, schon da um die Bolschewisierung der KPD gewusst hatte und dafür mitverantwortlich ist? In diesem Zusammenhang möchte ich Sie auch gerne fragen: Wenn Europa dieser grausame Krieg erspart geblieben wäre, wäre nicht vielleicht auch die Entwicklung zu Stalin verhindert worden? Tragen nicht alle, die an diesem Krieg mitgewirkt haben nicht nur bezogen auf seinen Ausbruch, sondern auch bezogen auf die ökonomischen Interessen, die dahintergestanden haben, eine Mitverantwortung daran, dass dieses grausame Jahrhundert der Extreme, wie es heute Morgen von Alfred Grosser genannt wurde, so zustande kam?

Lieber Herr Dehm, vielen Dank für diese Frage. – Dafür haben wir ja Ausschusssitzungen. Da können wir dann im Detail darüber reden. Ich habe ausgeführt, dass ich der Meinung bin, dass eine Information über das Abstimmungsverhalten des Reichstagsabgeordneten Liebknecht angemessen sein kann. Darüber werden wir im Ausschuss reden. Sie sind stellvertretendes Mitglied. Ich lade Sie herzlich dazu ein, dass wir dort gemeinsam diese Diskussion fortführen.

(Christine Buchholz [DIE LINKE]: Das ist aber eine schlappe Antwort!)

Ich bin auch schon fast am Ende. Ich sage es hier noch einmal ganz deutlich: Diesen Teil der Geschichte kann und wird der Deutsche Bundestag ganz sicherlich nicht veredeln.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Auch das sage ich ganz deutlich: Antikommunismus ist für mich ein selbstverständlicher Teil der Grundüberzeugung eines Demokraten. Diesen Punkt werden wir bei der parlamentarischen Beratung Ihres Antrages nicht aus dem Auge verlieren.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Bevor gleich die Kollegin Schauws zu Wort kommt, darf ich das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung zum Tagesordnungspunkt „Angleichung der Renten in Ostdeutschland an das Westniveau sofort auf den Weg bringen“ bekannt geben: abgegebene Stimmen 570. Mit Ja haben gestimmt 466, mit Nein haben gestimmt 50, Enthaltungen 54. Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen.

Jetzt hat die Kollegin Ulle Schauws, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3595797
Wahlperiode 18
Sitzung 46
Tagesordnungspunkt 100 Jahre Erster Weltkrieg
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