Julia ObermeierCDU/CSU - 100 Jahre Erster Weltkrieg
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor 100 Jahren herrschte in Europa eine Situation, die zwar zu den besten wissenschaftlich aufgearbeiteten Epochen der Menschheitsgeschichte gehört, aber trotzdem mehr Fragen aufwirft, als Antworten gibt. Wie konnten Staaten und Imperien mit verwandtschaftlich eng verbundenen Königshäusern und aufgeklärten Bevölkerungen innerhalb kürzester Zeit in einen Vernichtungskrieg industriellen Ausmaßes ziehen, einen Krieg, der unsere Landkarte bis in unsere Zeit so verändert hat, dass selbst wir hier in diesem Haus uns in den letzten Wochen noch mit den Auswirkungen beschäftigt haben? So haben wir Mandate für unsere Soldatinnen und Soldaten erteilt, um auf dem Balkan, im Nahen Osten und in Afrika für Stabilität zu sorgen.
In den Jahrzehnten vor dem Kriegsausbruch war viel erreicht worden, politisch, wirtschaftlich, wissenschaftlich. Aber anstatt daraus Sicherheit und Zuversicht zu ziehen, herrschte gerade bei den Regierungen Zukunfts- und Überlebensangst. In einer Situation, in der die Nationalstaaten in unsicheren Bündnissen lebten, entstand ein fataler Nährboden. Die Marokko-Krise, der Panthersprung nach Agadir und das Attentat von Sarajewo waren dann nur noch relativ beliebig austauschbare Katalysatoren.
100 Jahre später sieht Europa anders aus. Ein Jahrhundert voller Höhen und Tiefen hat seine Spuren hinterlassen und wichtige Lektionen erteilt. Wir haben gelernt, dass wir im friedlichen Miteinander weit mehr erreichen können. Wir haben gelernt, dass sich umsichtige und weitsichtige Menschen über tiefe Gräben hinweg Hände reichen können. Wir haben auch gelernt, dass Imperien innerhalb kürzester Zeit verschwinden und Revolutionen nahezu friedlich verlaufen können und dass international aufwachsende, global denkende und vernetzte Generationen Nationalismen weit weniger betonen und optimistisch in die Zukunft schauen können.
Vor bald 25 Jahren dachten vielleicht einige von Ihnen – ich selbst war damals noch sehr jung –, ein wenig vom Glück der Situation berauscht, über ein aufziehendes Jahrhundert des Friedens nach. Bis vor wenigen Wochen gingen wir ja auch im Großen und Ganzen davon aus, dass eine enge Verflechtung der Gesellschaften und Wirtschaften imperiales Denken und Großmachtsehnsüchte verhindern können. Dass dies trügerisch war, haben wir in unserer unmittelbaren östlichen Nachbarschaft erlebt.
Wir sind heute glücklicherweise in intakte und starke Bündnisse integriert, und die gewachsene tiefe Freundschaft zu unseren Nachbarn, die noch vor 100 Jahren unsere Gegner waren, ist belastbar. Unser Weg zu einem vollkommen geeinten und friedlichen Europa wird zwar noch Generationen dauern, ist aber wohl die einzige sinnvolle Möglichkeit für uns alle, Sicherheit und Wohlstand zu gewährleisten. Das wissen auch die europäischen Bürgerinnen und Bürger sehr genau.
Intakte Bündnisse müssen aber auch wehrhaft sein. Vielleicht ist gerade das eine zentrale Lehre aus dem Ersten Weltkrieg und den aktuellen Geschehnissen an den Ostgrenzen der Europäischen Union. Zwar haben Zukunfts- und Überlebensängste den Ersten Weltkrieg begünstigt, doch insbesondere der Irrglaube, dass Krieg als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln zwischen Großmächten irgendwie kalkulierbar sei, hat die Katastrophe möglich gemacht. Deshalb müssen wir als Parlament zukünftig unsere inzwischen recht kleinen Streitkräfte noch stärker in die Lage versetzen, sich so tief in unsere Bündnisse zu integrieren wie nur irgend möglich, sich so gut auszurüsten wie technologisch machbar und für potenzielle Herausforderer unserer Bündnisse so glaubhaft abschreckend wie nur irgendwie möglich zu sein. Intakte, wehrhafte Bündnisse schützen unsere Sicherheit und unseren Wohlstand.
Aber ein Großteil der Menschen auf diesem Planeten lebt ganz anders als wir, weit entfernt von dem Wohlstand, den wir als Existenzminimum definieren. Auf meinen Reisen nach Mali und Afghanistan habe ich das mit eigenen Augen gesehen, und obwohl ich genau wusste, was mich dort erwarten würde, hat es mich sehr berührt. In vielen Teilen der Erde gibt es mehr Smartphones als Toilettenspülungen. 2,6 Millionen Menschen leben von weniger als 2 Dollar pro Tag. Diese Menschen wissen aber über das Internet ganz genau, in welchem Wohlstand wir hier in Europa leben. Allein in den vergangenen Monaten sind Zigtausende Flüchtlinge nach Europa aufgebrochen, und es werden immer mehr.
Wir werden also nicht umhinkommen, mehr Verantwortung in der Welt zu übernehmen. In einer immer vernetzteren Welt werden wir vernetzte Antworten auf komplexe Probleme finden müssen. Diese Antworten liegen in einem vernetzten Politikansatz. Das heißt, es bedarf wirtschaftlicher Zusammenarbeit, Diplomatie, Sicherheits- und Verteidigungspolitik aus einem Guss. Nur so können wir langfristig unseren Wohlstand erhalten, für Sicherheit in Europa sorgen und Frieden in der Welt erreichen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Der Kollege Wolfgang Gehrcke, Die Linke, spricht jetzt als nächster Redner.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3595838 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 46 |
Tagesordnungspunkt | 100 Jahre Erster Weltkrieg |