Georg NüßleinCDU/CSU - Pflegeversicherung
Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Frau Scharfenberg und Frau Zimmermann, Ihre Kritik war mir zu pauschal.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Damit müssen Sie leben! – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wird uns auch zu wenig sein, was jetzt kommt!)
Wenn man diesem Thema gerecht werden will, dann muss man schon beim Thema bleiben
(Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe das Thema auf den Punkt gebracht!)
und die Substanz zumindest ein bisschen würdigen, dann muss man sich mit dem beschäftigen, was wir tatsächlich verbessern.
(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann legen Sie einmal los, Herr Nüßlein! Aber inhaltlich!)
Wenn Sie im Detail Kritik üben wollen, können Sie das gerne tun. Wenn Sie hier aber in Minioppositionsmanier in Bausch und Bogen alles pauschal verdammen, was wir hier machen, dann werden Sie nicht einmal Ihrer Rolle als Opposition ordentlich gerecht.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Der Deutsche Bundestag hat vor 20 Jahren die Pflegeversicherung beschlossen.
(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt mal zur Sache!)
Sie war damals gar nicht unumstritten, was man heute gar nicht mehr glauben mag; denn wir alle wissen, dass diese Pflegeversicherung ein Erfolgsmodell ist, um das uns Europa mittlerweile beneidet.
(Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das bloß nie bei den Menschen ankam!)
Wir haben in den letzten beiden Legislaturperioden bereits deutliche Verbesserungen vorgenommen: Wir haben Leistungen dynamisiert, Maßnahmen zur Entlastung pflegender Angehöriger und Zusatzleistungen für an Demenz erkrankte Pflegebedürftige beschlossen; das ist nichts Neues. Zusammengenommen gab es dadurch Leistungsverbesserungen mit einem Volumen von über 3 Milliarden Euro. Von einem Stillstand in der Pflegepolitik zu sprechen, war also schon vor der Reform, über die wir heute in erster Lesung debattieren, falsch.
(Beifall bei der CDU/CSU – Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Das stimmt! Sie war rückwärtsgewandt!)
Es geht weiter voran. Mit dem ersten Pflegestärkungsgesetz bringen wir in einer ersten Stufe – ich sage das ganz bewusst; hier hat die Nummerierung tatsächlich einmal einen Sinn, weil es in dieser Legislaturperiode zwei Reformstufen geben wird – die im Koalitionsvertrag vereinbarten Verbesserungen im Bereich Pflege auf den Weg. Dabei geht es um eine Vielzahl von Verbesserungen und um ein Volumen von 2,4 Milliarden Euro.
Wir haben vor, die Leistungsbeträge um 4 Prozent anzuheben. Dabei geht es um den Inflationsausgleich.
(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja wohl auch eine Selbstverständlichkeit!)
– Da können Sie ruhig schreien. – Aber allein das ist ganz wichtig für die Betroffenen, für die Pflegebedürftigen. Mit dem von Ihnen viel gescholtenen Vorsorgefonds setzen wir ein Zeichen,
(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber ein teures Zeichen, und nutzlos!)
dass wir das System zukunftsfähig machen wollen. Auch das sollten Sie aus meiner Sicht würdigen.
Die Leistungen im Bereich der häuslichen Pflege werden deutlich verbessert und flexibilisiert; denn wir wollen jedem älteren Menschen ein selbstbestimmtes Leben in der eigenen Wohnung ermöglichen, solange das irgendwie geht. Das ist ein gerechtfertigter und der wichtigste Anspruch älter werdender pflegebedürftiger Menschen.
(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Aber was tun Sie dafür?)
Dafür wollen wir das Zusammenwirken von Fachkräften, Angehörigen und Ehrenamtlichen intensivieren. Die Bereiche ambulante Pflege, innovative Wohn- und Pflegeformen sowie stationäre Einrichtungen sollen Hand in Hand arbeiten. Den pflegenden Angehörigen helfen wir insbesondere durch die vorgesehenen Verbesserungen im Bereich der Kurzzeit- und Verhinderungspflege sowie der Tages- und Nachtpflege. Damit greifen wir die Wünsche der vielen pflegenden Angehörigen auf, entlastende und unterstützende Pflegeleistungen flexibler in Anspruch nehmen zu können.
Ich möchte in diesem Zusammenhang ausdrücklich für eine weitere Flexibilisierung werben, insbesondere im Hinblick auf die sechsmonatige Wartezeit im Bereich der Verhinderungspflege. Hier geht es darum, mehr Menschen zu motivieren bzw. ihnen die Möglichkeit zu geben, in einem plötzlich und überraschend auftretenden Fall der Pflegebedürftigkeit häusliche Pflege zu praktizieren. Über diesen Punkt sollten wir im Laufe des Verfahrens noch einmal diskutieren.
Herr Kollege Nüßlein, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Zimmermann?
Ja, gern.
Frau Kollegin Zimmermann.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Vielen Dank, Herr Nüßlein, dass Sie meine Frage zulassen.
Sie haben gerade gesagt, dass Sie gerne möchten, dass Menschen möglichst lange in ihren eigenen vier Wänden gepflegt werden können. Sie haben die Verhinderungspflege und weitere Möglichkeiten angesprochen. Das alles ist ja nur für einen bestimmten Zeitraum gedacht. Eine Person, die pflegebedürftig ist, muss aber meistens mehrere Jahre gepflegt werden. Dieser Zustand setzt ein, ändert sich meistens aber nicht mehr. Das sind die Fälle, von denen ich ausgehe.
Wie können wir mit Blick auf die zu pflegenden Personen, aber auch mit Blick auf die Pflegenden eine Regelung treffen, die verhindert, was meistens der Fall ist: dass die Frauen ihren Beruf aufgeben oder in Teilzeit gehen müssen und dann, wenn sie nach der Arbeit, meinetwegen nach einem vierstündigen Arbeitstag, nach Hause kommen, bei besonders schweren Pflegefällen noch 20 Stunden am Tag im Stand-by-Modus sind, weil sie bestimmte Pflegeleistungen erbringen müssen? Wie wollen Sie es regeln, dass die Pflege nicht auf den sogenannten größten Pflegedienst, den wir haben, nämlich auf die Familie und das soziale Umfeld, zurückfällt? Wie können wir das so regeln, dass die Pflege professionell durchgeführt wird und es auch zu einer Entlastung der Angehörigen und der pflegenden Personen kommt?
(Beifall bei der LINKEN)
Zunächst einmal will ich in meiner Antwort auf Ihre Frage ganz ausdrücklich betonen, dass man die Pflege in der Familie nicht durch professionelle Pflege ersetzen sollte. Die Pflege in der Familie müssen wir wertschätzen; wir können sie gar nicht hoch genug bewerten. In der Tat müssen wir auch mit Blick auf das Arbeitsrecht die notwendigen Voraussetzungen schaffen, damit hier Spielräume entstehen. Aber man kann natürlich nicht sagen: Auf der einen Seite wollen wir, dass in der Familie gepflegt wird. Auf der anderen Seite stehen wir dem aber kritisch gegenüber, weil die Pflege in der Familie nicht so professionell, wie wir es uns wünschen, durchgeführt werden kann; das kam ja in Ihrer Frage zum Ausdruck.
(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Nein! Das hat sie ja gar nicht gesagt!)
Im Gegenteil, das, was die ambulanten Dienste an dieser Stelle leisten, und das, was in der Familie leistbar ist, sollte miteinander verknüpft werden. Ich sehe eine Chance darin, dies fortzuführen. Ich will das überhaupt nicht, wie Sie es gerade zwischen den Zeilen angedeutet haben, infrage stellen. Ganz im Gegenteil, ich glaube, dass es uns durch das, was wir vorhaben, gelingen wird, den ambulanten Bereich zu stärken und dafür Sorge zu tragen, dass Pflege möglichst lange im familiären Umfeld praktiziert werden kann. Aber das geht eben nur unter bestimmten Bedingungen.
Für Personen, die so pflegebedürftig sind, dass die Pflege nicht mehr zu Hause zu leisten ist, gibt es stationäre Einrichtungen, die wir an dieser Stelle ebenfalls stärken, und zwar dadurch, dass wir mehr Personal zur Verfügung stellen; der Personalschlüssel ändert sich ja. Deshalb kann ich nicht erkennen, warum man das infrage stellen sollte. Ganz im Gegenteil, wir tun das Richtige, meine Damen und Herren.
(Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Ich habe das nicht infrage gestellt!)
– Sie haben das infrage gestellt,
(Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Nein! – Mechthild Rawert [SPD]: Das hat sie gar nicht gemacht!)
jedenfalls zwischen den Zeilen;
(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Sie sollen nicht zwischen den Zeilen lesen, sondern die Frage beantworten!)
so habe jedenfalls ich Sie verstanden. Sonst müssen Sie sich klarer ausdrücken. Ich hatte den Eindruck, dass Sie das infrage gestellt haben.
(Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Ich habe eine andere Frage gestellt!)
Ich werbe ernsthaft dafür, dass wir an dieser Stelle weiterarbeiten und uns Gedanken darüber machen, was wir noch tun können. Diejenigen, die ihre Wohnung altersgerecht umbauen, werden wir mit Zuschüssen von bis zu 4 000 Euro unterstützen; das ist fast eine Verdopplung der bisherigen Obergrenze. Auch das ist ein Ansatz, um häusliche Pflege zu erleichtern. Außerdem sorgen wir für eine weitere Angleichung der Leistungen bei körperlich und bei demenziell bedingter Pflegebedürftigkeit. Pflegebedürftige, die körperlich in stärkerem Maße eingeschränkt sind, zum Beispiel nach einem Schlaganfall – Sie haben zu Recht gesagt, das sei nicht immer eine Frage des Alters –, können jetzt zusätzliche Betreuungs- und Entlastungsleistungen in Anspruch nehmen. Damit räumen wir den Pflegebedürftigen mehr Wahlmöglichkeiten ein. Das ist ja etwas, was Sie einfordern. Insofern sind wir da auf dem richtigen Weg. Ich hätte gewünscht, dass Sie das mehr würdigen.
Wer seinen Anspruch auf ambulante Pflegesachleistungen nicht voll ausschöpft, der kann den nicht genutzten Betrag künftig für niedrigschwellige Angebote, etwa in der Betreuung, verwenden. Auch das ist ein Beispiel für mehr Wahlmöglichkeiten.
Ich will noch einmal deutlich machen – ich habe das schon in meiner Antwort auf Ihre Frage gesagt –, dass die Kritik mancher Pflegeverbände an dieser Neuregelung nicht gerechtfertigt ist. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir bei der Betreuung und Entlastung von Pflegebedürftigen mehr ehrenamtlich tätige Menschen brauchen und zum bürgerschaftlichen Engagement bereite Personen fördern müssen. Wenn wir den Anspruch haben: „ambulant vor stationär“, dann können wir dies nur mit Ehrenamtlern umsetzen. Wir wollen die Anforderungen an die Qualität nicht reduzieren oder infrage stellen. Ganz im Gegenteil: Wir werden die Anforderungen an die Qualität aufrechterhalten, aber zusätzlich die Bedeutung des Ehrenamts in diesem Zusammenhang ganz deutlich herausstellen.
Menschen mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz in der sogenannten Pflegestufe 0 erhalten künftig Zugang zu Leistungen der Tages- und Nachtpflege sowie der Kurzzeitpflege. Dies ist bereits ein wichtiger Schritt zur Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs und betrifft auch die Frage, wie man die häusliche Pflege befördert.
In der stationären Pflege – auch das habe ich angedeutet – wird das Betreuungs- und Aktivierungsangebot schon vor Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs erweitert und auf alle Pflegebedürftigen ausgedehnt. Das Betreuungsverhältnis wird auf eine Betreuungskraft zusätzlich für 20 Pflegebedürftige verbessert, was den Einsatz von weiteren 20 000 Betreuungskräften möglich macht. Allerdings muss der Arbeitsmarkt diese Kräfte auch hergeben. Wir werden uns also auch Gedanken darüber machen müssen, wie man im Rahmen von Arbeitsmarktmaßnahmen und durch Ausbildung die Voraussetzungen dafür schafft, dass das gelingt.
Wer die von uns vorgesehenen Maßnahmen schlecht- oder kleinredet, Frau Scharfenberg, verunsichert die Menschen und schadet der Akzeptanz der Pflegeversicherung.
(Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe die Punkte genannt!)
Insofern tut mir persönlich die Pauschalkritik weh. Wenn Sie ein Detail kritisieren, dann ist das kein Thema; aber eine solche Pauschalität tut mir weh, weil Sie die Menschen hinsichtlich dessen verunsichern, was wir im Rahmen der Pflegeversicherung tatsächlich für die Pflegebedürftigen leisten.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Aber es bleibt eine Teilkaskoversicherung!)
– Sie haben recht: Es bleibt eine Teilkaskoversicherung. Das ist eine Frage, die man unter der Überschrift der Finanzierbarkeit, der Machbarkeit diskutieren muss. Es muss eine Teilkaskoversicherung bleiben, weil es nämlich darum geht, das Pflegerisiko abzusichern.
(Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Aber damit machen Sie die Pflege vom Geldbeutel abhängig!)
Wir dürfen die Versicherung doch nicht so gestalten – das müsste Ihnen als Argument gefallen –, dass wir die Erbschaft für die nächste Generation absichern. Darum kann es doch nicht gehen. Wenn man eine Vollkaskoversicherung einführt, also eine Versicherung, ohne dass Eigenanteile zu leisten sind, dann sichert man im Grunde bei weiten Teilen der Bevölkerung die Erbschaft der nächsten Generation, sonst nichts.
Ich will deutlich unterstreichen: Wir machen jetzt einen ersten wichtigen Schritt und werden einen weiteren Schritt folgen lassen, der wohlüberlegt ist und mit dem wir den Pflegebegriff anpassen. Wir werden dafür Sorge tragen, dass aus beiden Schritten eine runde Sache wird. Ich bin gespannt, aber nicht gerade erwartungsvoll, ob Sie das am Schluss entsprechend würdigen und uns dafür loben werden. Ich glaube es nicht wirklich; aber wünschen und hoffen darf man ja kurz vor Beginn der Sommerpause.
In diesem Sinne: Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Vielen Dank. – Für die Fraktion Die Linke hat jetzt Kathrin Vogler das Wort.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3596772 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 47 |
Tagesordnungspunkt | Pflegeversicherung |