04.07.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 47 / Tagesordnungspunkt 27

Johannes Singhammer - Verstromung von Kohle

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Verehrte Kolleginnen und Kollegen der Grünen! Ich meine es wirklich ernst: Ich habe mir sehr viel Mühe gemacht, Ihren Antrag und auch den Antrag der Linken zu lesen, weil ich weiß, dass das Thema Klimaschutz für Sie ausgesprochen wichtig ist.

(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Für Sie nicht?)

– Für uns auch. Darum habe ich es ja gemacht.

In dem Antrag habe ich ein paar Punkte entdeckt, bei denen ich gedacht habe: Das werden wir in den nächsten Jahren ernsthaft diskutieren müssen. Das wussten wir aber schon länger. Es tut mir leid, sagen zu müssen: Die Art und Weise, wie Sie dieses Thema versemmeln – Sie versuchen nur, der Regierung irgendetwas um die Ohren zu hauen –, finde ich schade und dem Thema nicht angemessen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Ich finde auch: Es ist ein bisschen grenzwertig, wenn Sie beispielsweise auf Großbritannien und dessen Rolle im Zusammenhang mit der Kohleverstromung verweisen und dabei verschweigen, dass in Großbritannien neue Atomkraftwerke gebaut werden. Ich finde, auch das ist nicht so ganz glaubwürdig.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Ich will nur für all die, die den Antrag nicht gelesen haben, die Frage stellen: Gibt es bei den Grünen das Ziel, die gemeinsam vereinbarten Treibhausgasminderungspotenziale im Hinblick auf 2050 vorzuziehen? Dieses Ziel gibt es nicht. In Ihrem Antrag steht: Es bleibt bei der Vereinbarung, bis 2050 eine Reduktion der Treibhausgase um 80 bis 95 Prozent zu erreichen.

Wenn Sie hätten glaubwürdig bleiben wollen, hätten Sie sagen müssen: Wir wollen schneller aus der Kohleverstromung aussteigen, um das genannte Ziel nicht 2050, sondern schon 2045 oder 2040 zu erreichen. – Das machen Sie aber nicht. Das heißt, Sie bleiben bei genau diesen Vereinbarungen.

(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt diese Vereinbarung gar nicht, Herr Becker!)

Das ist nach meiner Einschätzung etwas problematisch.

Das Gleiche gilt für die Linksfraktion. Die Linksfraktion hat immerhin gesagt: Wir haben das Ziel, bis 2040 aus der Kohleverstromung auszusteigen. – Das heißt also: Die Linke will zehn Jahre, bevor die genannten Treibhausreduktionen erreicht werden sollen, aus der Kohleverstromung aussteigen. Das Problem ist aber auch hier: Sie wollen zwar bis 2040 aus der Kohleverstromung aussteigen, bleiben aber bei der Gesamtstrategie, bis 2050 die Treibhausgasemissionen um 80 bis 95 Prozent zu reduzieren. Das heißt, Sie hätten zwar dann weniger CO 2 -Emissionen aus der Kohleverstromung, aber die Gesamtmenge wollen Sie nicht reduzieren. Da fehlt eine schlüssige Systematik. Das ist nicht glaubwürdig. – Frau Baerbock möchte eine Zwischenfrage stellen.

Ich bitte darum, abzuwägen: Wenn wir Zwischenfragen zulassen, wird die Debatte auf der einen Seite natürlich sehr lebendig, auf der anderen Seite wird aber die Sitzungsdauer verlängert. Die Sitzungsleitung hat angesichts einer sehr ambitionierten Tagesordnung die Möglichkeit, Zwischenfragen nicht zuzulassen. Davon möchte ich jetzt Gebrauch machen, damit wir zügig weiterkommen.

(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Moderation war länger als die Frage!)

Mit Blick auf die Fraktion der Grünen habe ich die Bitte, dass wir uns mit dieser Thematik einmal ernsthaft auseinandersetzen. Ich habe nach der sehr emotionalen Debatte über die Reform des EEG, die ich nachvollziehen kann, die Hoffnung: Es ist jetzt wirklich an der Zeit, dass wir uns mit dem gesamten energiepolitischen Umbau, der jetzt mit der Energiewende zwingend kommen muss, intensiver und fundierter auseinandersetzen; denn auf viele Fragestellungen haben wir alle noch keine schlüssige Antwort.

Nach der Sommerpause, Frau Baerbock, wird die prinzipielle energiepolitische Diskussion kommen: Wie sieht das Marktdesign aus? Was brauchen wir vor dem Hintergrund von Versorgungssicherheit und von Netzstabilität?

(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da kommt nichts!)

Wie gehen wir mit der Struktur der deutschen Energieversorgung grundsätzlich um?

Eines ist klar und unstrittig: Wir wollen und brauchen den Erfolg dieser Energiewende, weil wir unsere Klimaschutzziele einhalten wollen, aber auch, weil die Minimierung unserer Abhängigkeit, insbesondere von Energieimporten, ein Akt und ein Gebot der volkswirtschaftlichen, der ökonomischen Vernunft ist. Darum wollen wir den Erfolg dieser Energiewende bis 2050.

(Beifall bei der SPD)

Es gibt für diese Energiewende weltweit kein Vorbild. Das macht es sehr schwierig, herauszufinden, welcher Weg richtig ist. Was aber nicht geht, ist, dass wir weiterhin eine fragmentierte Energiepolitik machen: gestern die Reform des EEG, jetzt das Kohleausstiegsgesetz, morgen dies und übermorgen jenes. Ich bin dem Wirtschafts- und Energieminister ausgesprochen dankbar, dass er diese Woche einen Fahrplan, eine Zehn-Punkte- Agenda vorgelegt hat, mit der erstmals die Energiewende insgesamt strukturiert und systematisiert wird. Es wird so für alle nachvollziehbar, welche Probleme jetzt zu lösen sind und was bis zum Ende der Legislaturperiode vorliegen muss, damit die Energiewende Erfolg hat.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es gibt aber auch Fehlentwicklungen – wir haben das gehört –: Die Strompreisentwicklung und die Entwicklung der CO 2 -Zertifikatspreise sind anders verlaufen, als es noch vor wenigen Jahren prognostiziert worden war.

Sie haben Frau Hendricks angesprochen, die gefordert habe, 2 Milliarden Zertifikate aus dem Markt zu nehmen. Außerdem habe sie ein Vorziehen der Einführung der Marktstabilitätsreserve auf 2017 ins Spiel gebracht. Sie haben dabei den Eindruck erweckt, das sei gegen die Meinung des Wirtschaftsministeriums erfolgt.

(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Rausgekommen sind nur 900 Millionen!)

Ich würde Sie bitten, sich einmal die Pressemitteilung anzugucken, die von Sigmar Gabriel und von Frau Hendricks war. Ich sage das nur deshalb, damit kein falscher Eindruck hängenbleibt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber sie hat im Ausschuss etwas anderes gesagt!)

Darüber hinaus haben sich auch die Börsenstrompreise in Deutschland teils drastisch reduziert. Sie alle kennen das. Im Prinzip ist man ja immer ein Freund fallender Preise, aber in diesem Fall führt das leider zu fatalen Fehlentwicklungen.

Durch diese fallenden Preise steigen die Kosten für die hocheffizienten, modernen Kraftwerke, für die KWK-Anlagen, während neben den erneuerbaren Energien insbesondere sehr günstige, aber auch ineffiziente Anlagen mit einem hohen CO 2 -Ausstoß die Stromproduktion sicherstellen.

Hier brauchen wir uns nichts vorzumachen: Auch der Minister hat mehrfach gesagt, wenn es bei dieser Entwicklung bleibt, kriegen wir insgesamt ein Akzeptanzproblem mit der Energiewende. Daher müssen wir Maßnahmen ergreifen, um hier gegenzusteuern.

Ich sage noch einmal ausdrücklich mit Blick auf die Grünen und auch mit Blick auf die Linkspartei: Wir stehen zu dem gemeinsamen Ziel der Reduktion der CO 2 - Emissionen bis zum Jahr 2050.

(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die steigen aber, statt zu sinken!)

Und ich sage auch ausdrücklich: Wenn man eine Reduktion der CO 2 -Emissionen um 80 bis 95 Prozent bis 2050 will, erfordert das im Klartext die vollständige Dekarbonisierung der Stromversorgung.

(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann darf kein Kohlekraftwerk mehr laufen! Genau darum geht es! – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist unser Vorschlag!)

Das ist völlig unstrittig.

Ich möchte, wenn ich darf, Herr Präsident, einmal kurz aus einer Drucksache aus der letzten Legislaturperiode zitieren. Es heißt dort:

(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist unser Antrag!)

– Was ist das?

(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist entweder euer oder unser Vorschlag!)

– Ja, Sie haben in der Tat recht. Das ist ein Zitat aus dem Energiekonzept der SPD-Bundestagsfraktion aus dem Jahr 2011.

(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber ihr macht es nicht!)

Da Sie sagen, Sie hätten hier das Rad neu erfunden, sage ich Ihnen:

(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen wir doch gar nicht!)

Bereits 2011 haben wir darüber gesprochen. Wenn Sie jetzt wieder mit dieser Märchenstunde kommen, wir würden nichts machen, dann muss ich Sie darauf hinweisen, dass ich gerade erwähnt habe, dass ab Herbst die Debatte über diese Punkte beginnen wird. Sie haben doch auch vom Bundeswirtschaftsminister die Agenda bekommen, dass ein Grünbuch erstellt werden wird, dass wir uns in einem sehr intensiven, ernsten Prozess mit all diesen Fragen, auf die wir die Antwort heute noch nicht abschließend kennen, auseinandersetzen wollen.

(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Grünbuch! Weißbuch! Ihr müsst etwas machen!)

Hören Sie jetzt bitte einmal auf, hier immer zu sagen, wir machten nichts. Nehmen Sie zur Kenntnis: Die Arbeitsagenda liegt vor, und bringen Sie sich bitte sachlich in die Diskussion ein.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Uns liegt daran, Versorgungssicherheit, Netzstabilität, die klimapolitischen Ziele,

(Zuruf der Abg. Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

aber auch das Thema Preisstabilität zusammenzubekommen. Ich lade Sie wirklich ein: Lassen Sie sich dann mit uns auf eine sachliche Debatte ein!

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich weiß, die letzten Tage und Wochen waren auch aus anderen Gründen für manche emotional sehr schwierig. Das liegt auch an der EEG-Debatte. Ich wünsche uns allen ein bisschen Zeit für Ruhe, um dann vielleicht auch wieder Kraft für eine sachliche Debatte zu tanken.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vielen Dank. – Ich darf insbesondere anmerken, dass Sie sehr vorbildlich mit der Redezeit umgegangen sind. – Jetzt spricht der Kollege Andreas Jung von der CDU/CSU.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3596893
Wahlperiode 18
Sitzung 47
Tagesordnungspunkt Verstromung von Kohle
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