04.07.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 47 / Tagesordnungspunkt 27

Andreas JungCDU/CSU - Verstromung von Kohle

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem in dieser Debatte schon die eine oder andere Zahl umstritten war, will ich eine Zahl vorwegstellen, die – wie ich hoffe – unumstritten sein wird, weil sie nämlich vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme kommt. Dieses Institut hat in diesen Tagen wieder einmal berechnet, welche Energiequelle am meisten zum deutschen Strommix beiträgt. Das war bis zum Jahr 2007 die Kernenergie. 2007 wurde die Kernenergie von der Braunkohle abgelöst. Bis zum gesamten letzten Jahr blieb es dabei, dass die Braunkohle am meisten zum Strommix beitrug. In den ersten sechs Monaten dieses Jahres haben die erneuerbaren Energien zum ersten Mal die Braunkohle überholt. Sie trugen rund 81 Terawattstunden zum Energiemix bei, während die Braunkohle rund 69 Terawattstunden beitrug. Die erneuerbaren Energien sind nun Tabellenführer im deutschen Strommix. Darüber sollten wir uns erst einmal gemeinsam freuen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deswegen kann die Kohle auch schrittweise rausgehen!)

Das zeigt im Übrigen, dass wir bei allen berechtigten und notwendigen Debatten über den richtigen Weg bei der Förderung der erneuerbaren Energien vorankommen und dass die erneuerbaren Energien Schritt für Schritt die tragende Säule in unserem Energiesystem werden. Die heutige Debatte dient dazu, die Frage zu klären, wie wir auf diesem Weg vorankommen. Warum machen wir das eigentlich? Die Förderung der Erneuerbaren ist kein Selbstzweck, sondern hat letztlich eine dienende Funktion. Sie dient der Sicherstellung der Stromversorgung der Wirtschaft und der Privathaushalte. Dabei werden keine neuen Risiken eingegangen wie beispielsweise beim Fracking, das es erforderlich macht, Chemikalien in den Boden zu pumpen. Wir werden im Herbst diesbezüglich ein konsequentes Gesetz verabschieden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da bin ich mal gespannt! – Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wollen wir hoffen!)

Die Förderung der Erneuerbaren führt dazu, dass wir Schritt für Schritt auf die Kernenergie verzichten und die Risiken des Umgangs mit radioaktivem Material ausschließen können und dass wir unseren CO 2 -Ausstoß, also den Ausstoß an Treibhausgasen, reduzieren können. Die Bestandsaufnahme zeigt, dass wir das erste Ziel erreichen, den zurückgehenden Anteil der Kernenergie in vollem Umfang durch den aufwachsenden Anteil der Erneuerbaren zu ersetzen, dass wir aber das zweite Ziel noch nicht erreichen, den CO 2 -Ausstoß zu reduzieren. Dieser steigt im Moment. Warum ist das so? Das liegt daran, dass Gaskraftwerke durch Kohlekraftwerke vom Markt verdrängt werden. Das ist erst einmal die Analyse.

Nun stellt sich die Frage, woran das liegt. Es liegt nicht an der deutschen Gesetzgebung – es ist mir wichtig, das zu sagen –, sondern maßgeblich am Emissionshandel der Europäischen Union,

(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und da hat Deutschland nicht mitgewirkt?)

der zurzeit schwächelt bzw. daniederliegt. Dabei kann es nicht bleiben. Hier muss repariert und verändert werden. Wir brauchen eine nachhaltige und zeitnahe Reform des europäischen Emissionshandels.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Wenn wir das nicht schaffen, wird die Vorreiterrolle, die die EU und insbesondere Deutschland im Klimaprozess einnehmen, infrage gestellt. Auf den Klimakonferenzen schaut man bislang mit Respekt auf Deutschland und erkennt unsere Rolle an. Auf Dauer wird das aber gefährdet werden, wenn unser CO 2 -Ausstoß steigt.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dirk Becker [SPD])

Um unsere Rolle beibehalten zu können, müssen wir in Europa dieses Problem lösen. Dabei ist der Emissionshandel das Herzstück.

Ich bin froh – der Kollege Becker hat das bereits angesprochen –, dass es eine abgestimmte Position der Bundesregierung gibt, die auf die Entscheidungen, die wir schon getroffen haben, aufsetzt. Wir alle wissen, dass wir lange – ich sage: zu lange – um die Entscheidung zum Backloading gerungen haben. Es war aber diese Bundesregierung, die schon in den ersten Tagen die Entscheidung getroffen hat, eine erste Reparatur beim Emissionshandel vorzunehmen. Was ist das Problem? Im Rahmen des Emissionshandels gibt es so viele Zertifikate, dass die Preise in den Keller gefallen sind.

(Beifall der Abg. Barbara Lanzinger [CDU/CSU])

Zuerst ist man von 30 Euro und dann von 17 Euro ausgegangen. Nun liegt der Preis zwischen 4 und 6 Euro, also in Regionen, die dazu führen, dass Braunkohlekraftwerke rentabel und Gaskraftwerke unrentabel werden. Woran liegt das? Das liegt daran, dass von Anfang an viele Zertifikate auf dem Markt waren. In der Wirtschaftskrise ist dann die Produktion eingebrochen. Damit ging der CO 2 -Ausstoß automatisch zurück. Gleichzeitig ist aber die Anzahl der Zertifikate gleich geblieben. Seitdem gibt es eine Bugwelle, die wir vor uns herschieben. Deshalb kann ein Eingriff in den Emissionshandel nur die Ultima Ratio sein, das letzte Mittel; denn das ist ein marktwirtschaftliches System, das von Verlässlichkeit lebt.

Aber wann, wenn nicht in dieser Situation und bei solchen CO 2 -Preisen, ist es Zeit und notwendig, von einer solchen Ultima Ratio zu sprechen? Deshalb bin ich der Meinung, dass die Entscheidung, mit dem Backloading zunächst einmal Zertifikate vom Markt zu nehmen, richtig war. Ich begrüße es, dass die Bundesregierung sagt: Wir müssen jetzt einen Schritt weiter gehen. Wir begrüßen den Vorschlag, den die EU für die Marktstabilitätsreserve gemacht hat, nämlich die Anzahl der Zertifikate flexibel an die wirtschaftlichen Entwicklungen anzupassen. Ich begrüße es, dass die Bundesregierung sagt, dass das früher als 2020 geschehen muss; es muss in den nächsten Jahren passieren, weil die Zeit drängt und das maßgeblich für den CO 2 -Ausstoß innerhalb der Europäischen Union ist.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Ich lade alle ein, dass wir gemeinsam darum ringen, weil in der Europäischen Union diese Diskussion noch nicht ausgetragen ist. Dort wird die Entscheidung getroffen, da werden die maßgeblichen Beschlüsse gefasst. Wir können natürlich darüber diskutieren, wie wir diese Maßnahme flankieren. Wir werden im Herbst über Kapazitätsmärkte sprechen. Ich will sehr dafür werben, dass wir dabei insbesondere die Versorgungszeit in den Blick nehmen, also fragen, welche Kraftwerkskapazitäten wir brauchen, um eine sichere Versorgung mit Energie sicherzustellen, dass wir aber gleichzeitig fragen, welchen Beitrag diese Kapazitäten zur Energiewende leisten und welche Rolle sie beim CO 2 -Ausstoß spielen. Das ist sicherlich eine der Debatten, die wir ergänzend, neben der Debatte über das Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz, hier auf nationaler Ebene führen können.

Ich möchte noch hinzufügen, dass, wenn wir über den CO 2 -Ausstoß in Deutschland sprechen, der Energieerzeugung eine wichtige Bedeutung zukommt, aber eben nicht die alleinige Bedeutung. Deshalb halte ich es auch für richtig, dass die Bundesregierung in diesem Jahr ein Sofortprogramm Klimaschutz angekündigt hat, mit dem die Lücke, die auf dem Weg zur Erreichung unseres 2020-Ziels noch besteht, geschlossen werden kann, und dass dabei die ganze Breite der Sektoren in den Blick genommen werden soll.

Ich will ausdrücklich dazusagen, dass die Haltung unserer Fraktion ist, dass ein besonderer Schwerpunkt auf Energieeffizienz gelegt werden soll. Am besten ist es, Energie erst gar nicht zu verbrauchen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Es kann nicht darum gehen, dass man, wenn man in der Badewanne sitzt, noch weiter Wasser einlaufen lässt und dabei weniger umweltfreundliche Energie durch umweltfreundlichere Energie ersetzt, sondern am besten ist es, wenn überhaupt keine Energie verloren geht, und das bedeutet, den Stöpsel in die Badewanne zu stecken. Deshalb sind wir für Energieeffizienz.

Wir glauben, dass ein besonderer Schwerpunkt der Gebäudebereich sein muss. Ich will ausdrücklich dafür werben, dass wir die öffentlichen Gebäude in den Blick nehmen, den Sanierungsfahrplan verbessern und den Prozess beschleunigen. Wir sollten aber auch darüber nachdenken, wie wir ohne Zwang im privaten Gebäudebereich mehr Anreize schaffen können, um in diesem Bereich, den wir alle im Übrigen schon seit vielen Jahren als schlafenden Riesen bezeichnen, schneller voranzukommen.

Dazu muss der Nationale Energieeffizienz-Aktionsplan, den wir im Koalitionsvertrag verabredet haben, mit Leben gefüllt werden. Es wird die Frage sein, welchen Beitrag jeder dazu leisten kann. Da geht es auch um Unternehmen, die mit Energiemanagementplänen weitere Beiträge leisten können. Energieeffizienz ist ein besonders wichtiges Thema, und da wollen wir uns kraftvoll einbringen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Zuletzt will ich die Mobilität ansprechen. Wir müssen uns auf den Weg machen, um zu einer nachhaltigen Mobilität zu kommen. Ich halte das Ziel der Bundesregierung, die Elektromobilität voranzubringen, für richtig. Ich halte es für notwendig, dass wir entsprechende Maßnahmen auf den Weg bringen. Das soll ebenfalls in diesem Herbst mit dem Elektromobilitätsgesetz passieren. Wir sind auf dem richtigen Weg, weil für uns der Schwerpunkt Forschung und Entwicklung ist. Jetzt geht es aber auch darum, wie wir den einen oder anderen Anreiz setzen können, um die Hürde, die es noch gibt, um ein Elektroauto zu erwerben, überwinden zu können. Auch diese Diskussion steht jetzt an. Die werden wir führen. Für die Union gilt: Wir werden uns kraftvoll einbringen.

Wir stehen hinter den Klimaschutzzielen, die wir, national wie europäisch, vereinbart haben und die wir auf der Klimakonferenz durchsetzen wollen. Wir werden durch die Weichenstellungen, die wir national vornehmen und auf europäischer Ebene beeinflussen können, alles dafür tun, dass die Klimakonferenz in diesem Jahr in Lima und vor allem im nächsten Jahr in Paris zu einem Erfolg wird. Der Klimawandel schreitet voran. Er hat schon jetzt dramatische Auswirkungen. Die Weltgemeinschaft muss jetzt handeln, um diesen Prozess zu stoppen. Dabei haben wir eine besondere Verantwortung, und der wollen wir gerecht werden. Deshalb machen wir uns auf diesen Weg.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann mal los!)

Der Kollege Hubertus Zdebel spricht jetzt für die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3596895
Wahlperiode 18
Sitzung 47
Tagesordnungspunkt Verstromung von Kohle
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