Matthias MierschSPD - Verstromung von Kohle
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, die Debatte hat gezeigt, dass wir hier mit einem sehr kontrovers diskutierten Thema beschäftigt sind. Es handelt sich um ein Thema, das letztlich zentrale Menschheitsfragen berührt. Wir machen das hier alles nicht zum Selbstzweck. Ich glaube, wir erkennen alle an, dass das, was wir augenblicklich erleben – den kontinuierlichen Anstieg der CO 2 -Emissionen und darüber hinaus viel gefährlicherer Gase –, dringend gestoppt werden muss. Ich glaube, da sind wir alle uns in diesem Haus einig, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)
Wenn wir ehrlich miteinander umgehen, dann stellen wir fest, dass sowohl auf der internationalen Ebene wie auf der europäischen Ebene wie auf der nationalen Ebene – in diesem Parlament, aber auch, das sage ich ganz deutlich, innerhalb der einzelnen Fraktionen, innerhalb der einzelnen Parteien, in den Bundesländern, im Bundestag – unterschiedliche Konzepte existieren. Nach meiner Auffassung gibt es niemanden, der heute sagen kann: Wir haben ein Patentrezept, um diese große Menschheitsherausforderung tatsächlich in den Griff zu bekommen. Das festzustellen, gehört, finde ich, zur Ehrlichkeit einer solchen Debatte.
(Beifall bei der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bestreitet niemand!)
Umso begrüßenswerter finde ich es, dass wir hier heute diese Debatte führen. Frau Baerbock, ich weiß nicht, ob ich die grünen Anträge in den Strandkorb – wenn ich im Urlaub einen in Anspruch nehme – mitnehme. Da die Bundesregierung diesbezüglich gerade Vorarbeiten leistet, bin ich mir sehr sicher, dass wir im Herbst darum ringen müssen, wie wir auf dieses Problem zumindest mit einer nationalen Antwort reagieren.
Ich will mich über die Ziele nähern und fragen, ob wir dort miteinander gehen können. Ich glaube, niemand kann mit der heutigen Situation, wie wir sie vorfinden, zufrieden sein. Niemand darf damit zufrieden sein, dass hocheffiziente Gaskraftwerke augenblicklich durch Kohlekraftwerke verdrängt werden. Das darf nicht sein, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ich finde, es kann auch niemandem in diesem Hause recht sein, dass der europäische Emissionshandel und damit das, was wir durch ihn erreichen wollten, nämlich die Verteuerung von klimaschädlicher Energiegewinnung, am Boden liegt und der Energie- und Klimafonds praktisch leer ist. Auch das darf uns in diesem Haus nicht zufriedenstellen.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Wir dürfen auch nicht damit zufrieden sein, dass die CO 2 -Emissionen in Deutschland im vergangen Jahr gestiegen und nicht gesunken sind. Damit darf keiner in diesem Haus zufrieden sein, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ich habe Sie aufmerksam beobachtet und gesehen, es haben irgendwie alle geklatscht.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
– Jetzt müssen wir gucken, Herr Krischer, wie wir es von der Metaebene auf die konkrete Ebene kriegen. Ich bin mir sicher, dass wir über die eine oder andere Frage diskutieren müssen. Aber – das will ich vorweg sagen – es muss klar sein, dass wir Ökologie, Ökonomie und soziale Gerechtigkeit nicht gegeneinander ausspielen können und dürfen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es wird immer unkonkreter! – Zuruf des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])
– Jetzt hören Sie doch erst einmal zu, und dann regen Sie sich auf! Aber ich komme gleich noch dazu.
Als Umweltpolitiker liegt mir daran, zu sagen: Der Gleichsatz dieser drei Werte geht nicht;
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt wird es noch philosophisch!)
denn die industrielle Überlebensfähigkeit in Deutschland und der soziale Ausgleich gehen nicht zusammen, wenn die Natur unwiderruflich zerstört wird.
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut!)
Diese Sache müssen wir auch als Umweltpolitiker immer wieder berücksichtigen.
(Beifall der Abg. Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN] – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und jetzt konkret!)
Jetzt, Herr Krischer, kommen wir zu der Frage, welche Antworten wir geben. Ich glaube, dass das Handeln der internationalen Staatengemeinschaft entscheidend ist. Das soll nicht heißen, dass wir auf nationaler Ebene nichts tun sollen.
(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Müssen!)
Aber wir brauchen auch die anderen. Mit dem Emissionshandel wurde ein System entwickelt, um mit marktwirtschaftlichen Instrumenten zu versuchen, diese Herausforderung in den Griff zu bekommen. Nach meiner persönlichen Auffassung müssen wir im Herbst in diesem Haus als Erstes darüber diskutieren, ob dieser europäische Emissionshandel überhaupt reanimierbar ist.
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)
Diese Grundsatzfrage, finde ich, müssen wir diskutieren.
(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wenn wir die Anträge von Linken und Grünen, die wir heute diskutieren, lesen, dann stellen wir fest, dass die Antworten von beiden Seiten unterschiedlich sind,
(Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Genau!)
also auch die Opposition unterschiedliche Wege vorschlägt, und darüber müssen wir diskutieren.
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deswegen haben wir die Debatte hier!)
Ich glaube aber, Frau Baerbock und Herr Krischer, eines hat sich im Vergleich zu den letzten vier Jahren massiv geändert: Wir haben eine Bundesregierung, die nach Brüssel fährt und erstmals dort sagt: Der Emissionshandel geht so, wie er augenblicklich aufgestellt ist, nicht. – Endlich gibt es eine deutsche Bundesregierung, die in Brüssel ambitioniert für die Reform wirbt, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo? – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sehen wir aber nicht!)
Andere Länder sind anders unterwegs. Dazu muss man sehen, dass die Briten das locker machen können. Der Kollege Becker hat zu Recht darauf hingewiesen. Nur, der britische Weg, in die Atomkraft wieder einzusteigen, ist nicht unser Weg und darf nicht unser Weg sein!
(Beifall bei der SPD und der LINKEN – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat ja auch niemand gesagt!)
Deswegen, finde ich – da, lieber Kollege Pfeiffer, müssen wir wahrscheinlich noch alle zusammen miteinander ringen –, ist das, was Professor Edenhofer und andere vorschlagen, nämlich über CO 2 -Mindestpreise zu reden, eine Möglichkeit. Dies greifen die Grünen in ihrem Antrag ja auch auf. Wir müssen überlegen, Marktwirtschaft und – Sie sagen jetzt: Planwirtschaft; ich sage: Ordnung – Mindestpreise in irgendeiner Form zusammenzubringen; denn nur Markt bringt nichts. Das ist jedenfalls meine Überzeugung, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Aber darüber hinaus werden wir uns die Frage stellen müssen, ob das ausreicht. Deswegen plädieren wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in unseren Energiekonzepten auch für eine Mehrwegestrategie. Ja, wir brauchen ein internationales Abkommen, spätestens in Paris im nächsten Jahr. Ja, wir brauchen europäische Antworten. Aber wir brauchen auch nationale Wege.
(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das schlagen wir vor!)
Der Kollege Jung hat die Gebäudesanierung und die Mobilität angesprochen. Ich nenne noch die Landwirtschaft. Aber auch ordnungspolitische Maßnahmen sind zumindest zu diskutieren.
(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das schlagen wir vor!)
Ich war bis vor kurzem ein Verfechter der CO 2 -Steuer. Nach der Rechtsprechung zur Brennelementesteuer muss ich allerdings sagen, dass das juristisch wohl nicht ganz einfach werden wird.
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!)
Deswegen werden wir uns nach meiner Auffassung auch über weitere ordnungsrechtliche Ansätze unterhalten müssen, wenn wir beispielsweise um Effizienzstandards von Kraftwerken ringen.
(Beifall des Abg. Dirk Becker [SPD] – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)
Ich glaube, das wäre eine Maßnahme, die wir flankierend einsetzen könnten, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der SPD – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann können Sie unserem Antrag zustimmen! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann stimmen Sie doch zu!)
Wir werden darüber hinaus noch über ganz andere Maßnahmen reden, an denen Barbara Hendricks gerade im Rahmen der Nationalen Klimaschutzinitiative arbeitet. Wir werden auch darüber im Herbst diskutieren können. Da wird es eine Fülle von kommunalen, nationalen und Ländermaßnahmen geben, und wir werden die Frage stellen müssen, ob unser Ziel „40 Prozent Reduktion bis 2020“ mit diesen Maßnahmen erreicht wird.
Herr Krischer, dann werden wir um die einzelnen Maßnahmen miteinander ringen müssen. Sie haben einige genannt; Barbara Hendricks hat andere genannt. Ich hoffe sehr, dass es uns gelingt, bei diesem großen Thema einen Konsens zu finden.
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da müssen Sie erst mal mit Pfeiffer reden!)
Ähnlich wie bei der Atomkraft ist es hier sehr einfach, als Opposition etwas in die Debatte zu werfen. Damit kann man super bestehen. Das ist ja auch Ihre Aufgabe. Aber letztlich werden wir nur eine Lösung finden, wenn wir alle mitnehmen. Das haben wir beim Atomkonsens geschafft. Etwas Ähnliches ist dringend notwendig beim Thema Kohle.
Lassen Sie uns das gemeinsam machen! Lassen Sie uns die Sommerpause meinetwegen als schöpferische Pause begreifen und dann im Herbst miteinander die Maßnahmen diskutieren! Ich glaube, hier haben wir einen langen Weg vor uns. Aber wir haben bei der Atomenergie gezeigt: Es geht gemeinsam. – Das würde ich mir auch hier wünschen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Jetzt hat das Wort der Kollege Oliver Krischer für Bündnis 90/Die Grünen.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3596935 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 47 |
Tagesordnungspunkt | Verstromung von Kohle |