04.07.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 47 / Tagesordnungspunkt 27

Barbara LanzingerCDU/CSU - Verstromung von Kohle

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Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Kohle ist auf Dauer auch für uns keine Lösung.

(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!)

Ich denke, daraus haben wir nie einen Hehl gemacht.

(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Außer Herr Pfeiffer! – Gegenruf des Abg. Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: So ein Quatsch!)

Wir alle wollen langfristig aus der Kohle aussteigen. Wir sehen das ganz genauso. Alles andere wäre paradox in der Energiewende. Kaum jemand arrangiert sich mit einer neuen Stromtrasse vor der Haustür, wenn durch sie immer mehr statt immer weniger klimabelastender Strom transportiert wird. Aber ich sage jetzt einmal: Erst die Atomkraft, jetzt die Kohle, alles auf einmal geht nicht.

(Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Das sagt auch keiner!)

Bei uns würde man dann auf gut Bayerisch sagen: Gemach, gemach, net oalles oaf oimoa, schee loangsoam.

(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie den Antrag gelesen? – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie Herrn Miersch zugehört?)

Eines ist klar: Wir wollen eine Versorgung mit einem intelligenten Energiesystem ohne Kohlestrom und mit mehr marktwirtschaftlicher Steuerung statt staatlicher Regulierung. Wir als CSU haben bereits im Januar 2014 in Wildbad Kreuth – darauf möchte ich ganz bewusst verweisen – eine konsequente und klimafreundliche Umsetzung der Energiewende beschlossen. Dazu gibt es einen Plan, den wir als Koalition gemeinsam formen – wir sind gerade dabei – und umsetzen werden. Die Energiewende ist weitaus mehr als nur das Drängen, aus der Kohlekraft auszusteigen. Wir müssen schon aufpassen, dass bei den derzeitigen Grundstrukturen unserer Energieversorgung keine Versorgungslücke entsteht. Deshalb ist alles gut durchdacht anzugehen. Wichtig ist, denke ich – ich glaube schon, dass wir uns da auch einig sind –, dass in Bezug auf die Versorgungssicherheit Gründlichkeit vor Schnelligkeit geht.

Nun habe ich mir allerdings schon die Frage gestellt, warum Sie diesen Antrag überhaupt noch stellen. Wir haben den Koalitionsvertrag, und wir haben einen Zeitplan des Wirtschaftsministeriums zur Umsetzung wichtiger Schritte im Rahmen der Energiewende – der Kollege Becker hat schon darauf hingewiesen –, übrigens auch zur Reform des Emissionshandels und der Einführung einer Marktstabilitätsreserve.

An die Fraktion der Grünen gerichtet sage ich: In Ihrer Kleinen Anfrage, die Sie am 4. Juni 2014 an die Bundesregierung gerichtet haben und die am 26. Juni 2014 beantwortet wurde, haben Sie ja detaillierte Fragen zu den geplanten Vorhaben zur Erreichung der gesetzten Klimaschutzziele gestellt. Ich erläutere gerne jetzt noch einmal unsere Vorhaben in dieser Legislaturperiode: Wir brauchen und wollen zügig ein neues marktwirtschaftliches Strommarktdesign. Deshalb wird nach der Sommerpause ein strukturierter und offener politischer Dialog über das Strommarktdesign in Deutschland beginnen. Im Herbst 2014 wird das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie dann ein Grünbuch zum zukünftigen Strommarktdesign veröffentlichen, welches öffentlich konsultiert und im Jahr 2015 zu einem Weißbuch mit konkreten Lösungsvorschlägen weiterentwickelt werden soll. Im Rahmen dieses Dialogs über das neue Marktdesign geht es für uns ausdrücklich nicht um die Subventionierung alter Kohlekraftwerke, sondern um einen sehr viel breiteren Ansatz.

(Beifall bei der SPD – Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Da sind wir ja gespannt!)

Bayern setzt sich dafür ein, Umweltbelange, Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit in eine verträgliche Balance zu bringen. Viele Jahre lang stand der Aufbau von Kapazitäten aus erneuerbaren Energien sehr im Vordergrund. Ich denke, ich kann sagen: Wir in Bayern wissen, wovon wir reden. Wir sind an der Spitze bei der Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien – im Gegensatz zu Nordrhein-Westfalen zum Beispiel. Wir decken bereits 36 Prozent unseres Stromverbrauchs aus erneuerbaren Energien.

(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erzählen Sie mal etwas zur Windenergie in Bayern!)

Wir alle wissen aber auch: Leistung durch erneuerbare Energien ist nicht durchgängig sicher und auch nicht grundlastfähig.

(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn mit der Windenergie in Bayern?)

Die Energiewende bedeutet die Umstellung unseres gesamten Energiesystems. Dafür brauchen wir verlässliche Rahmenbedingungen – das möchte ich heute auch noch einmal erwähnen –, wie es zum Beispiel bei einem Kapazitätsmarkt der Fall sein kann.

Für einen Kapazitätsmarkt brauchen wir eine technologieoffene, wettbewerbliche und europakompatible Lösung. Notwendig sind die Einbeziehung gesicherter Erzeugungskapazitäten, von Speichern – dahinter setze ich mehrere Ausrufezeichen; Fragezeichen könnte man theoretisch auch setzen –, eines Lastmanagements sowie die Verstetigung von erneuerbaren Energien, die sehr verlässlich Strom liefern, wie zum Beispiel Wasserkraft und Biogas. Wir brauchen die richtige Mischung.

Es ist gut, dass Sie ebenso wie wir die Speicher als wichtigen Bestandteil der Umstrukturierung unseres Energiesystems betrachten. Es wäre gut gewesen – das sage ich heute sehr deutlich –, wenn wir es geschafft hätten, das Thema Speicher in das EEG einzupflegen. Das ist leider nicht geschehen.

(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wieso haben Sie es denn nicht gemacht? Sie haben doch die Mehrheit!)

Im Kapazitätsmarkt werden konventionelle Kraftwerke weiter eine Rolle spielen. Sie sind auf absehbare Zeit zur Deckung der Residuallast und damit zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit unverzichtbar. Diese konventionellen Kraftwerke müssen jedoch dringend einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung der CO 2 -Reduktionsziele leisten; es ist von mehreren Kollegen ausgeführt worden. Deshalb werden an einen zukünftigen Kraftwerkspark hohe Anforderungen hinsichtlich Effizienz, Emissionen, Flexibilität und Verfügbarkeit gestellt. Hier kommen – auch das wurde schon diskutiert – Gaskraftwerke oder Gasturbinen infrage, die teilweise mit Biogas sowie regenerativ erzeugtem Wasserstoff und Methan betrieben werden könnten.

Neben dem Einsatz hocheffizienter und flexibler Gaskraftwerke ist jedoch der europäische Emissionshandel – auch darauf wurde schon eingegangen – das wichtigste regulatorische Instrument zur Reduktion der CO 2 -Emissionen. Ich denke schon, dass die zu günstigen Preise – auch das wurde gesagt – ein wesentlicher Grund für den Anstieg der Kohlestromproduktion sind; sie führen dazu, dass sich die klimaschonenden und effizienten Gaskraftwerke nicht rentieren. Auch deshalb müssen wir dringend gemeinsam mit der EU-Kommission an neuen marktwirtschaftlichen Modellen arbeiten und auf nationaler Ebene über unser System der Strombörse diskutieren.

Neben der Umstrukturierung des bisherigen CO 2 - Emissionszertifikatehandels gilt es aber auch, an anderen Stellen weiterzuarbeiten. Die Sicherstellung der Zuverlässigkeit und der Bezahlbarkeit unserer Energieversorgung kann nicht allein dadurch erreicht werden, dass wir weitere Kapazitäten zubauen, ohne über einen Abbau von Kapazitäten im Kohlebereich zu diskutieren. Erforderlich sind Maßnahmen zur Umsetzung verbindlicher Effizienzvorgaben. Wir haben ein riesiges Energieeffizienzpotenzial von mindestens 10 bis 15 Prozent, das wir nutzen können, um den Leistungsbedarf zu reduzieren und dadurch Lasten zu verschieben. Ich denke schon, es ist allerhöchste Zeit, insgesamt verantwortungsbewusster mit Energie umzugehen.

Auch wenn wir alle aus der Kohle aussteigen wollen, müssen wir uns dessen bewusst sein, dass sich der Kohleausstieg über etliche Jahrzehnte hinziehen und auch nicht nach dem Muster des Atomausstiegs erfolgen kann und wird. Ich denke, den gewaltigen Unterschied kennen wir alle: Die Atomkraft birgt weitaus höhere Risiken als die Kohlekraft, was einen möglichst schnellen Ausstieg aus der kommerziellen Atomenergienutzung rechtfertigt. So sieht es im Übrigen auch der Sachverständigenrat für Umweltfragen. Er bescheinigt, dass ein Kohleausstieg und eine vollständige Versorgung mit Strom aus erneuerbaren Quellen technisch erst ab 2040 realisierbar sind, und ich denke, darauf gründet auch der Antrag der Linken.

(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja mal eine Ansage!)

Klar ist auch: Die Bedeutung der Kohle muss in dem Maße schrumpfen, in dem die Bedeutung der erneuerbaren Energien wächst; darüber besteht auch in der Gesellschaft durchaus Konsens.

Lassen Sie mich unsere bayerische Umweltministerin Ilse Aigner zitieren. Sie hat einen sehr treffenden Vergleich gezogen:

(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie ist ja eine Philosophin! Das wusste ich noch gar nicht!)

Man muss auch mal stehen bleiben, wenn es zum Beispiel Unwetter gibt; das weiß jeder, der schon mal im Gebirge war. Entscheidend ist jedoch, dass es aufwärts geht, dass man – ich bleibe bei diesem Vergleich – das Gipfelkreuz vor Augen hat, das die Richtung und das Ziel vorgibt. Dieses Ziel ist eine sichere, bezahlbare, umweltfreundliche Energieversorgung in einem gut durchdachten Energiesystem.

Je schneller wir die Kohle nicht mehr brauchen, desto besser – das sage ich ganz deutlich. Wir können den Ausstieg aus der Kohle allerdings erst dann gezielt planen, wenn wir ein funktionierendes Marktdesign haben; erst dann können wir sicher sein, eine ausreichende Versorgungssicherheit zu gewährleisten.

Zum Schluss wünsche ich allen einen schönen Sommer, auch einen Arbeitssommer; ich gehe davon aus, dass wir nicht nur Ferien haben, sondern auch zu Hause arbeiten. Ich wünsche, dass alle Kraft tanken können, damit wir im Herbst in aller Sachlichkeit und Ruhe mit Verantwortungsbewusstsein und einem Stück Gelassenheit weiterdiskutieren können.

Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Danke auch, Frau Kollegin Lanzinger. – Für die Sozialdemokraten spricht jetzt der Kollege Thomas Jurk.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3596975
Wahlperiode 18
Sitzung 47
Tagesordnungspunkt Verstromung von Kohle
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