Thomas JurkSPD - Verstromung von Kohle
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Energiewende muss gelingen, und zwar unter ökonomischen, sozialen und ökologischen Aspekten. Das löst man nicht mit einem „den Schalter umlegen“. Die Energiewende ist für mich kein unendliches Experimentierfeld, sondern es gibt Rahmenbedingungen, die wir beachten müssen. Als ehemaliger Elektrotechniker sage ich dazu: Es gibt Gesetzmäßigkeiten, die auch wir als Politiker nicht außer Kraft setzen können.
Sehr geehrter Herr Kollege Krischer, Sie haben als Beispiel die Energiepolitik in Großbritannien genannt. Also, ich möchte keine Verhältnisse wie in Großbritannien.
(Dirk Becker [SPD]: So ist es!)
Soweit ich weiß, plant man in Großbritannien, Kernkraftwerke unter Zuhilfenahme von Einspeisevergütungen zu errichten.
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe von CO 2 -Grenzwerten gesprochen und ausdrücklich nicht von Atomkraft!)
Das gehört auch zur Wahrheit dazu. Wollen Sie das wirklich?
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch albern!)
Es ist völlig richtig, was einige Vorredner betont haben: Ein paralleler Ausstieg aus der Atomkraft und aus der Braunkohle wird nicht funktionieren können.
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha, also doch nicht! Was hat denn Herr Miersch eben gesagt? Was ist denn da jetzt bei den Sozialdemokraten?)
Es ist Ihnen schon einmal vorgetragen worden, aber damit Sie es sich vor Augen führen:
(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Ja, die wollen es nicht kapieren!)
Woraus erzeugen wir unseren Strom in Deutschland? 45 Prozent Kohle, 15 Prozent Kernkraft, 25 Prozent erneuerbare Energien. Ich möchte gerne, dass der letztgenannte Anteil weiter steigt. Aber wir alle wissen doch, dass erneuerbare Energien volatil sind. Deshalb müssen wir uns als Politiker darum kümmern, dass die Rahmenbedingungen, auch was die Speicherung anbetrifft, verbessert werden. Ich glaube, die Bundesregierung ist gerade dabei.
Ein anderer wichtiger Punkt ist für mich für das Gelingen der Energiewende notwendig, und das ist die Regelbarkeit. In diesem Zusammenhang komme ich zu den von einigen so verhassten Braunkohlekraftwerken.
Ich komme aus einer Region, in der vor kurzem ein neuer Block ans Netz gegangen ist, der Block R in Boxberg. Er hat übrigens einen Wirkungsgrad von 44 Prozent. Dieser Block lässt sich im Lastmanagement zu je 3 Prozent pro Minute hoch- und runterfahren. Das heißt konkret: Man kann bei einer Gesamtleistung von 675 Megawatt bis zu 250 Megawatt in einer Viertelstunde hoch- oder runterregeln. Das ist eine gewaltige Leistung. Das ist auch dringend notwendig, um passgenaue Lösungen dann zu finden, wenn es mal mehr, mal weniger Sonnen- und Windstrom gibt. Und deshalb sollte man zur Kenntnis nehmen: Das ist ein wichtiges Element für unsere Energiewende.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist das jetzige Modell! Wollen Sie denn noch weitere Kohlekraftwerke? Sagen Sie doch einmal was dazu!)
Bundesminister Gabriel hat am Montag seine 10-Punkte- Energie-Agenda zu zentralen Vorhaben der Energiewende für die 18. Legislaturperiode vorgestellt; einige Vorredner sind bereits darauf eingegangen. Ich finde, es ist ein sehr gutes Papier und es lohnt, gelesen zu werden, auch vor dem Hintergrund, dass es klare Aussagen zum Strommarktdesign enthält; ich erinnere an die Arbeitsweise: Grünbuch, Weißbuch und entsprechende Gesetzesvorhaben. Das macht deutlich, dass wir nicht nur mit unseren Nachbarländern grenzüberschreitende Lösungen brauchen, sondern in der Europäischen Union insgesamt.
Neue Erzeugerstrukturen, wie sie in den letzten Jahren aufgewachsen sind, verlangen daran angepasste Netze. Sowohl bei Übertragungs- wie auch bei Verteilnetzen gibt es riesigen Investitionsbedarf. Das alles muss finanziert werden.
An dieser Stelle möchte ich den Verteilnetzbetreibern durchaus meinen Dank und meine Anerkennung zollen. In den letzten Monaten und Jahren haben sie Hervorragendes geleistet, um die Versorgungssicherheit in unserem Land aufrechtzuerhalten.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Auch hier macht die 10-Punkte-Energie-Agenda von Sigmar Gabriel klar: Wir brauchen Vorgaben und vor allen Dingen eine zeitliche Rahmensetzung, damit auch dieser riesige Kraftakt des Netzausbaus bewältigt werden kann.
Ich komme zum Thema Bergrecht. Ich habe mir sagen lassen, dass das ein altes Thema ist, das auch Sie, Kollege Krischer, immer wieder vor sich hertragen.
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bundesrat!)
Selbst wenn es in Deutschland keine Kohlekraftwerke gäbe, wäre die rohstoffliche Bedeutung für viele Branchen unserer Volkswirtschaft darin abgebildet. Es ist klar: Da braucht man eine Gesetzgebung.
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stellt niemand in Zweifel!)
Seit 1982 haben wir mit dem einheitlichen Bergrecht, das damals in Deutschland geschaffen wurde, eine solide Grundlage geschaffen, die am 3. Oktober 1990 auf das Gebiet der ehemaligen DDR übertragen wurde.
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, schlimm genug!)
Natürlich gab es noch weitere Vorläufer von Vorschriften, aber ich bitte Sie von den Grünen: Tun Sie doch nicht so, als hätten Sie ein altes und völlig überholtes Gesetz vor sich.
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie schon was vom Garzweiler- Urteil gehört?)
– Das Garzweiler-Urteil legt jeder so aus, wie er es braucht; auch wir haben eine Meinung dazu. Wenn Sie ganz in Ruhe darüber nachdenken, stellen Sie fest: So weit ist man da manchen nicht entgegengekommen; das interpretieren Sie hinein.
Auch die SPD-Bundestagsfraktion hat in der jüngsten Zeit Bedarf nach Weiterentwicklung des Bergrechts gesehen,
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!)
ohne es abschaffen zu wollen.
(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer sagt denn, er wolle es abschaffen?)
Deshalb ist es wichtig, darauf hinzuweisen – Sie haben es wahrscheinlich vergessen, deshalb sage ich es jetzt noch einmal –: Uns geht es um die Beteiligung der Öffentlichkeit, zum Beispiel von Gemeinden, von Umwelt- und Wasserbehörden. Besonders wichtig ist uns eine frühzeitige Bürgerbeteiligung auch, um die Akzeptanz für bergrechtliche Verfahren zu erhöhen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Bergrecht muss an die Anforderungen einer modernen, aufgeklärten und an Teilhabe interessierten Gesellschaft angepasst werden.
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann passen Sie es an!)
Ich sage Ihnen aus meiner Erfahrung heraus: Es gibt keine undemokratischen Verfahren. Schaue ich mir die Erweiterung des Tagebaus in meiner Heimat an, so kann ich feststellen, dass die Mitglieder des Braunkohleausschusses oder der regionale Planungsverband in seiner Verbandsversammlung sehr verantwortungsbewusst das umgesetzt haben, was sie an Informationen bekommen haben. Sie haben übrigens nicht nur Vorlagen von bergbautreibenden Unternehmen, sondern auch Hinweise aus der Bevölkerung aufgegriffen. Nicht jeder war damit einverstanden. Am Ende gehört es zur Demokratie dazu, dass man abstimmt.
Frau Baerbock, ich hatte im Gegensatz zu Ihnen nicht das Glück, vor 1990 einen solchen Rechtsstaat erleben zu können. Mein Heimatort wäre im Jahre 2010 abgebaggert worden, hätte es die DDR noch gegeben. Ich bin sehr froh, dass die Menschen 1989 dafür gesorgt haben, dass das zu Ende war.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat das mit dem Thema zu tun? – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt baggern sie aber weiter!)
– Ich bin jetzt bei der Region angekommen. Kohle ist ein regionaler Wirtschaftsfaktor – Herr Krischer, das werden Sie selbst für NRW nicht bestreiten können – für Brandenburg, für Sachsen und für Sachsen-Anhalt. Ganz nebenbei reden wir über einen einheimischen Energieträger, genau so, wie das auch auf die erneuerbaren Energien zutrifft.
Im Koalitionsvertrag ist dazu völlig richtig ausgeführt:
Bei manchen Antragstellern hatte ich den Eindruck – spontan fällt mir das Bild vom Hebelumlegen ein –: Jetzt beschließen wir einmal den Strukturwandel. Meine sehr verehrten Damen und Herren, in meiner Heimatregion, in ganz Ostdeutschland haben wir seit 24 Jahren einen ständigen Strukturwandel – mit unterschiedlichem Erfolg.
(Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Das wissen wir schon! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben wir in NRW auch!)
– Ich glaube, das kann man nicht vergleichen, Herr Krischer.
(Wolfgang Tiefensee [SPD]: 50 Jahre!)
Das hat noch eine andere Dimension. Viele Probleme, die wir im Osten haben, die wir jetzt gerade lösen, werden Sie auch in Westdeutschland einholen.
(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wollen Sie gerade neuen Tagebau? – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wollten doch nicht abgebaggert werden! – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Sie baggern ab! – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schamlos ist das!)
Ich bin froh, dass diese Planung zu Ende ist und dass wir ganz genau wissen, was wir vor uns haben. Deshalb ist es notwendig, einen richtigen Planungsrahmen zu haben. Sie haben nicht vor 1990 in meiner Heimat gelebt und können sich kein Bild machen.
(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wissen Sie, wo ich gelebt habe?)
Was Sie jetzt machen, ist eine pauschale Verurteilung derjenigen, die dort leben. Das weise ich mit Entschiedenheit zurück.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo hat Frau Lemke gewohnt?)
Da bin ich bei einem wichtigen Punkt. Auch in der Braunkohlewirtschaft hat es enorme Anpassungsprozesse gegeben. Wir hatten 1990 noch rund 140 000 Beschäftigte in diesem volkswirtschaftlichen Sektor – sicherlich völlig aufgebläht. Momentan arbeiten in Ostdeutschland 11 000 Leute direkt im Tagebau, in Kraftwerken. Rechnet man mit einem Multiplikator von zwei, kommt man ungefähr auf die Effekte, die durch Dienstleister und Zulieferer entstehen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Strukturwandel führt auch zu neuen Landschaftsstrukturen. Das sind einerseits Chancen für den Tourismus – wenn ich an die Seengebiete denke –, aber auch Chancen, der Natur Flächen wieder zurückzugeben. Stetiger Wandel braucht Zeit.
(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb baggern Sie ab! Geht’s noch? Was ist das denn?)
– Das, was Sie sagen, ist alles zu vereinfacht, Frau Höhn. Das ist der Sache nicht angemessen. Sie setzen sich nicht mit Argumenten auseinander.
(Beifall bei den Abgeordneten der CDU/CSU – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Sie! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagt der Richtige!)
Strukturwandel braucht seine Zeit. Sie können jetzt gern einmal aufstehen. Ich bin ja noch relativ neu in diesem Parlament. Ich kenne aus dem Sächsischen Landtag Mikrofone; von diesen aus kann man Zwischenfragen stellen. Ich bin bereit, sie zu beantworten.
(Beifall bei der SPD – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wurden ja nicht zugelassen!)
Stetiger Wandel braucht Zeit. Wir haben für die Region übrigens auch gute Konzepte. Da wird nicht alles gelöst werden können. Das ist doch gar keine Frage. Aber es gibt in diesem Zusammenhang nach wie vor eine sehr hohe Akzeptanz für die Braunkohle. Das sollte man auch einmal zur Kenntnis nehmen. Es gab im Jahr 2013 eine repräsentative Umfrage von Forsa in allen Landkreisen und Städten der Region. Zwei Drittel der Befragten haben auf die Frage – ich lese sie Ihnen vor, damit Sie wissen, was gefragt wurde –: „Ist zur Sicherung der langfristigen, zuverlässigen und kostengünstigen Versorgung mit Energie die Erweiterung des Braunkohletagebaus in der Lausitz notwendig?“, mit Ja geantwortet.
Ich verstehe alle, die von Braunkohletagebauen betroffen sind und die ihre Heimat verlassen müssen. Das ist ein unglaublich schmerzhafter und harter Prozess, der begleitet werden muss. Ich sage aber auch sehr deutlich: Die Menschen in der Region wollen keine falschen Versprechungen, und sie wissen, was wichtig für sie ist.
Lassen Sie mich die Debatte zusammenfassen. Eines ist klar geworden: In dem Maße, in dem der Ausbau und die Systemintegration der erneuerbaren Energien voranschreiten, wird der Einsatz der Braunkohle als Energieträger zur Stromerzeugung mehr und mehr reduziert werden können. Das ist ja auch das Ziel des Ausbaus der erneuerbaren Energien. In diesem Zusammenhang wird der Anteil der Braunkohle sinken.
Herr Kollege Jurk, denken Sie an die vereinbarte Redezeit.
Ja, ich sehe gerade die Uhr, Herr Präsident. – Ich sage noch einen schönen Schlusssatz: Wir betrachten die Braunkohle als Brückentechnologie, die wir so lange benötigen, bis wir unser Ziel einer klimaneutralen Energieerzeugung erreicht haben.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Vielen Dank. – Abschließender Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Jens Koeppen, CDU/CSU.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3596979 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 47 |
Tagesordnungspunkt | Verstromung von Kohle |