04.07.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 47 / Tagesordnungspunkt 29

Anja KarliczekCDU/CSU - Lebensversicherungsreformgesetz

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Schick, als Erstes möchte ich Ihnen sagen: Wir haben keine Angst vor Diskussionen, aber die Stabilität der Lebensversicherer ist davon abhängig, dass keine übermäßige Liquidität mehr abfließt.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Erlauben Sie mir vorweg eine Bemerkung zum Vorwurf der Medien – ich habe das beim letzten Mal in der Diskussion auch von Ihnen gehört, Frau Karawanskij –, wir würden unliebsame Gesetzentwürfe immer nur gegen Mitternacht oder bei einem Spiel der deutschen Fußballnationalmannschaft verabschieden. Jetzt ist es gerade 14 Uhr, und das Spiel ist erst heute Abend. Wir tun das hier also öffentlich und transparent.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Ich bin beeindruckt!)

Wir verabschieden heute das Lebensversicherungsreformgesetz. Das parlamentarische Verfahren verlief sehr zügig und in einer sehr guten Zusammenarbeit. Sehr geehrter Herr Dr. Meister, an dieser Stelle möchte ich mich ganz herzlich bei Ihnen und Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Finanzministerium dafür bedanken. Sie hatten immer ein offenes Ohr für unsere vielen Fragen, die sich aus diesem umfangreichen Gesetzentwurf ergeben haben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Altersvorsorge und damit die Kapitallebensversicherung als ein wesentlicher Bestandteil ist ein zentrales Anliegen vieler Menschen. Es gibt fast 90 Millionen Verträge. Damit hat jeder durchschnittlich mehr als einen Vertrag. Deswegen geht dieses Thema fast jeden an.

Frau Karawanskij, es waren nicht die Versicherer, sondern es war die Deutsche Bundesbank, die schon in ihrem Finanzstabilitätsbericht 2013 festgestellt hat: „Das Niedrigzinsumfeld birgt ein beachtliches Gefährdungspotenzial“ für circa ein Drittel unserer Lebensversicherer. Ein Drittel: Das sind 30 Versicherer, die sogar 43 Prozent der Beiträge erheben, 30-mal ein Kollektiv, dem die Menschen heute noch vertrauen, 30-mal ein Kollektiv, aus dem jeder im Alter garantierte Zahlungen erwartet, heute, aber eben auch morgen und übermorgen. Deswegen handeln wir, und zwar jetzt.

Die Finanz- und Staatsschuldenkrise hat Europa vor große Herausforderungen gestellt. Wir haben schon viel getan, um Risiken künftig besser zu erkennen und zu mindern. Trotzdem ist Vertrauen verloren gegangen. Vertrauen ist aber eine ganz wichtige Säule für unsere Wirtschaft, insbesondere für unsere Finanzwirtschaft.

Nach wie vor vertrauen die Menschen jedoch der Kapitallebensversicherung mit ihrem garantierten Zins. Damit dieses Vertrauen gerechtfertigt bleibt, müssen wir gemeinsam dafür sorgen, dass die garantierten Leistungen aus dieser Versicherung auch sicher und stabil bleiben. Das tun wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf, und ich meine, wir tun das fair und ausgewogen; denn alle Beteiligten müssen einen Beitrag leisten.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Dazu ist eine Systematik entwickelt worden, die offenlegt, wie hoch die nicht ausfinanzierten Verpflichtungen der einzelnen Lebensversicherer sind. Daraus ergibt sich der sogenannte Sicherungsbedarf. Dieser Sicherungsbedarf wird den stillen Reserven aus festverzinslichen Wertpapieren einerseits und dem Bilanzgewinn andererseits entgegengestellt. Erst wenn sich stille Lasten und stille Reserven wieder die Waage halten, haben die Menschen die Sicherheit, dass sie im Alter auch unter extremen Bedingungen eine Leistung bekommen.

Sind die garantierten Leistungen nicht sicher, ist es den Versicherern verboten, die vielbeschworenen Bewertungsreserven auf festverzinsliche Wertpapiere oder auch eine Dividende an die Aktionäre auszuzahlen. Herr Schick, ich kann nur sagen: An dieser Stelle machen wir genau den Unterschied. Wir geben das Signal, dass Haftung und Risiko zusammengehören. Deswegen macht es einen Unterschied, ob wir die Aktionäre beteiligen, indem sie eine Zeit lang keine Dividende bekommen, oder ob wir in Gewinnabführungsverträge eingreifen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Im Gegenzug werden wir den Höchstrechnungszins für neue Verträge von 1,75 Prozent auf 1,25 Prozent senken. Ich meine, auch dies ist fair; denn wenn wir den Menschen, die heute im Versicherungskollektiv sind, einen Beitrag zur Sicherung des Systems abverlangen, dann dürfen wir im Gegenzug zukünftigen Versicherten keine Versprechungen machen, die diesen Sicherungsbedarf weiter erhöhen. Wichtig ist – das ist festzuhalten –: Wir greifen nicht in die heutige Auszahlungssystematik ein, sondern bauen einen Sicherungsmechanismus ein.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dass wir damit richtig liegen, zeigt schon der Charakter der Kapitallebensversicherung. Sie ist einerseits eine Absicherung der Familie gegen einen frühen Tod – wer einmal ein Haus gebaut hat, der weiß, wie wichtig es ist, die Familie vor dem Ausfall eines Verdieners abzusichern –, andererseits ist sie auch ein Instrument des Risikoausgleichs in der Zeit. Gemeinschaftliches Sparen und Anlegen ermöglicht bessere Konditionen der Anlage und eröffnet die Möglichkeit, größere Renditeschwankungen über einen langen Zeitraum abzufedern. Wer das nicht zur Kenntnis nimmt, der handelt fahrlässig.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Carsten Schneider [Erfurt] [SPD])

An dieser Stelle, Herr Schick, möchte ich die Eigenkapitalausstattung von Versicherungsunternehmen ansprechen. Die Finanzierung von Eigenkapital verursacht Kosten, die am Ende immer der Verbraucher zu zahlen hat. Die Einführung der Lebensversicherung vor knapp 200 Jahren war immer der gemeinschaftliche und damit kostengünstige Risikoausgleich, einer der großen Vorteile einer individuellen Absicherung im Kollektiv. Deshalb ist das Vermögen der Solidargemeinschaft eigenmittelfähig und auch bei einer Schieflage heranzuziehen. Deshalb wird es der Sache nicht gerecht, so zu tun, als wenn diese historische Tatsache aktiv herbeigeführt worden wäre.

Die Finanzkrise und damit neue Rahmenbedingungen haben uns gelehrt, dass wir eine Eigenkapitalstärkung unserer finanzwirtschaftlichen Unternehmen brauchen. Mit Solvency II haben wir dafür aber bereits einen Katalog, der im kommenden Jahr in nationales Recht umgesetzt wird. Damit die Unternehmen diese Herausforderung überhaupt stemmen können, wird es einen Übergangszeitraum von 16 Jahren geben, innerhalb dessen alles umgesetzt ist. Genau deswegen ist es heute richtig und wichtig, die Finanzstabilität der Unternehmen und damit die Solidargemeinschaft der Versicherten zu stärken.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf gehen wir noch einen Schritt weiter. Seit langer Zeit wissen wir, dass es neben der gesetzlichen Rente weiterer Vorsorge für den Lebensabend bedarf. Dafür gibt es unterschiedliche kapitalgedeckte Systeme. Unter ihnen kann jeder frei wählen. Diese Wahlfreiheit kann aber nur der effektiv nutzen, der vergleichen kann. Dazu brauchen wir Transparenz. Da die Lebensversicherung aber ein hoch reguliertes und sehr komplexes Produkt ist, müssen wir mit möglichst einfachen Mitteln Transparenz der Kosten herstellen. Deshalb haben wir uns entschieden, diese Transparenz der Kosten über eine sogenannte Gesamtkostenquote herzustellen. Das bedeutet: Die Versicherer werden künftig in ihren Produktinformationsblättern ausweisen: Wie viel Rendite kosten mich die Kosten der Lebensversicherung? Damit verfolgen wir ein analoges Verfahren zu Riester-Verträgen. Es ist ein wichtiger Schritt, um unterschiedliche Altersvorsorgeprodukte vergleichbar zu machen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Doch nicht nur die Vergleichbarkeit ist ein wichtiges Kriterium. Altersvorsorge ist eine sehr langfristige Aufgabe. Kurzfristige Veränderungen verursachen meistens hohe Kosten und konterkarieren die Möglichkeit, den Zinseszinseffekt bei Kapitalanlagen zu nutzen. Wir wollen das Interesse an einer langfristigen Bindung zwischen Versicherern und Versicherten stärken. Deshalb begrenzen wir mit der Absenkung des Höchstzillmersatzes die Aktivierung der Abschlusskosten. Die weitergehende Forderung, die Abschlusskosten gesetzlich zu begrenzen, wie wir das schon gehört haben, lehnen wir ab. Es ist nicht Aufgabe des Gesetzgebers, in die Preisfindung einzugreifen. Das ist in einer sozialen Marktwirtschaft Aufgabe des Wettbewerbs.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Auch die Forderung nach einer Änderung der Kostengewinnbeteiligung lehnen wir ab. Mit einer hälftigen Aufteilung der Kosten stellen wir nämlich sicher, dass das Interesse des Unternehmens, im Sinne der Kunden möglichst effizient zu arbeiten, überhaupt erhalten bleibt.

Aus meiner Sicht ein letzter, sehr wichtiger Schritt, den wir mit diesem Gesetzentwurf gehen: Wir stärken die Aufsichtsmöglichkeiten der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht. Zukünftig kann sie von den Versicherern verlangen, dass diese sich langfristiger mit den erwarteten Geschäftsergebnissen, der Risikotragfähigkeit und auch der Solvabilität ihres Unternehmens auseinandersetzen. Dies ermöglicht beiden Seiten tiefere Einblicke in das Unternehmen, eine in volatilen und finanzpolitisch schwierigen Zeiten aus meiner Sicht sehr sinnvolle Maßnahme.

Alles in allem bleibt festzuhalten: Die Ausgewogenheit des Gesetzentwurfes wurde in der öffentlichen Anhörung von fast allen Experten anerkannt. Mit dem Lebensversicherungsreformgesetz tragen wir der Sorge um eine stabile Alterssicherung Rechnung. Wer vorsorgt, soll sich auch in Zukunft darauf verlassen können, dass er die garantierten Versprechen seiner Altersvorsorge wirklich erhält. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird ein System etabliert, mit dem dieses Ziel erreicht wird. Deshalb bitte ich im Namen der Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD um Ihre Zustimmung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Als letzter Redner in dieser Debatte hat der Kollege Binding das Wort. – Ich habe an die Kolleginnen und Kollegen die Bitte, den Geräuschpegel etwas zu senken.

(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Das macht der Lothar schon alleine!)

Der Kollege Binding hat zwar eine laute Stimme, aber es wäre trotzdem für uns alle entspannter, wenn der Pegel etwas gesenkt wird.

(Beifall bei der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3597562
Wahlperiode 18
Sitzung 47
Tagesordnungspunkt Lebensversicherungsreformgesetz
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine
Automatisch erkannte Entitäten beta