Marco WanderwitzCDU/CSU - Kommission zur Zukunft der Stasi-Unterlagenbehörde
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unmittelbar vor der parlamentarischen Sommerpause haben wir uns als letzte Debatte ein durchaus gewichtiges Thema vorgenommen, die Einsetzung einer Expertenkommission zur Zukunft der Stasi-Unterlagen-Behörde. Die bewegenden Bilder von der Erstürmung der Stasizentrale in der Normannenstraße hier in Berlin am 15. Januar 1990 gingen um die Welt. Ich habe heute Vormittag die Gelegenheit genutzt, mir einige dieser Bilder anzuschauen. Für viele in Deutschland, aber auch darüber hinaus wurden sie zu einem der Symbole der Befreiung vom Willkür- und Unterdrückungsapparat der SED. Die Stasi, das Ministerium für Staatssicherheit, nach eigener Wahrnehmung „Schild und Schwert der SED“, war der Inbegriff der Diktatur der DDR. Es war die Oppositionsbewegung, die die geplante völlige Vernichtung der Stasiunterlagen verhinderte, indem sie fast alle Bezirks- und Kreisdienststellen der ehemaligen Staatssicherheit besetzte. Leider ist es in einigen Bezirken gleichwohl gelungen, sehr viel Aktenmaterial zu vernichten. Was übrig geblieben ist, sind 150 laufende Kilometer Akten, darunter rund 1,3 Millionen Fotos.
Unmittelbar mit der Sicherstellung folgten die Offenlegung der Akten und damit die Weichenstellung für die tiefgreifende Aufarbeitung der SED-Diktatur. Mit der Stasi-Unterlagen-Behörde haben wir als Deutscher Bundestag – ich war damals noch nicht dabei; aber manche der heutigen Kolleginnen und Kollegen waren schon im Hohen Haus – die rechtliche Grundlage für die Aufarbeitung der Stasiunterlagen und die Zugänglichmachung für Opfer, Forschung und Bildungsarbeit geschaffen.
Heute beschließen wir die Einsetzung einer Expertenkommission, die uns als Deutschem Bundestag Ratschläge geben soll, wie wir nach 2019 mit diesem Themenkomplex weiter verfahren sollen. Bis 2019 haben wir noch eine gesetzliche Grundlage, auf der die Stasi-Unterlagen-Behörde, die BStU, arbeitet.
Wir als Union haben großen Wert darauf gelegt, dass der Kommissionsauftrag offen formuliert wird und dass wir, was die Strukturen betrifft, der Expertenkommission keine Vorgaben machen; denn sie soll ihre Vorschläge frei unterbreiten, allerdings auf der Grundlage der Aufgabenstellungen, die das Stasi-Unterlagen-Gesetz beinhaltet.
Das Stasi-Unterlagen-Gesetz hat sich bewährt. Wir haben es seit seinem Inkrafttreten 1991 insgesamt achtmal novelliert. Ich denke, es ist ein Beispiel für ein gutes Gesetz.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Der Zugang zu den Stasiakten und ihre weitere Erschließung bleiben wichtige Voraussetzungen für die nötige weitere Aufarbeitung der SED-Diktatur. Das ist weitestgehend, über die Fraktionsgrenzen hinweg – bis auf die bekannte Ausnahme –, Konsens.
(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Wie kommen Sie darauf?)
Bereits 1994 forderte die PDS die Schließung der Behörde, weil sie die Menschen in den neuen Ländern angeblich diskriminiere und unter Generalverdacht stelle. Ich zitiere aus Bundestagsdrucksache 13/4359 aus der 13. Wahlperiode des Bundestages, einem Gesetzentwurf der PDS für ein viertes Gesetz zur Änderung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes von 1996:
Das ist völliger Unsinn, aber es ist eine klar erkennbare Geisteshaltung, die Sie bis heute einnehmen.
(Stefan Liebich [DIE LINKE]: So ein Quatsch!)
Mit uns in der Regierungsverantwortung – ich glaube, das trifft auch auf die beiden anderen einbringenden Fraktionen zu – wird es keinen Schlussstrich unter die SED-Unrechtsaufarbeitung geben, heute nicht und auch in Zukunft nicht.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich möchte deshalb den Kolleginnen und Kollegen der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, speziell meinen beiden Berichterstatterkollegen Siegmund Ehrmann und Harald Terpe, für die gemeinsame Erarbeitung des Antrages in sehr kollegialer Atmosphäre herzlich danken. Ich glaube, das ist auch ein gutes Zeichen für die Zeit nach 2016, wenn uns die Kommission ihre Ergebnisse vorlegt. Ich hoffe und glaube, dass wir dann in ähnlicher Einhelligkeit und konstruktiver Atmosphäre gemeinsam miteinander die nötigen Novellen auf den Weg bringen können.
Die wissenschaftliche Erforschung der SED-Diktatur darf sich aber nicht auf das Wirken der Staatssicherheit beschränken. Ich glaube, sie muss künftig noch stärker die Rolle der SED, der Spinne im Netz in der ehemaligen DDR, in den Fokus nehmen.
(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Und der Blockparteien, nicht zu vergessen!)
In der ersten Debatte im Deutschen Bundestag zum Stasi-Unterlagen-Gesetz 1991 führte unser damaliger CDU/CSU-Fraktionskollege Johannes Gerster aus:
Das ist auch heute eine gültige Forderung. Ich möchte ein paar Zahlen liefern, die unterlegen, dass das eine richtige Aussage war:
Seit Bestehen der Stasi-Unterlagen-Behörde gab es rund 3 Millionen Anträge auf Akteneinsicht, rund 3,3 Millionen Ersuchen für eine Überprüfung auf eine Stasitätigkeit, fast 30 000 Forschungsaufträge und rund eine halbe Million Anträge auf Rehabilitierung oder Strafverfolgung. Schon das allein zeigt, dass diese Arbeit auch in Zukunft unverzichtbar ist.
Lieber Roland Jahn – Sie sitzen oben auf der Besuchertribüne –, Ihre Behörde hat sowohl im Inland wie im Ausland hohes Ansehen und große Akzeptanz. Vielen Staaten, nicht nur in Osteuropa, dient Ihre Arbeit als Vorbild. Ihnen, Ihrer Amtsvorgängerin, Ihrem Amtsvorgänger und Ihren Mitarbeitern möchte ich heute im Namen des Hauses Dank für Ihre Arbeit sagen. Ihr Selbstverständnis als Opferbehörde ist auch das unsere.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Die DDR war eine Diktatur, in der Menschenrechte massiv verletzt wurden, man der Willkür der Stasi ausgeliefert war, man Angst haben musste, seine Meinung zu sagen; Millionen Biografien wurden fremdbestimmt. Mehr als 250 000 Menschen wurden in der DDR aus politischen Gründen verhaftet. Über 1 000 Menschen verloren ihr Leben an der innerdeutschen Grenze. Ja, an der DDR klebt auch Blut.
Deswegen schaue ich zum Abschluss meiner Rede nach links und stelle ganz einfach wieder einmal die Frage, ob Sie, die Linken, es heute über die Lippen bringen, diese Diktatur ohne Wenn und Aber als Unrechtsstaat zu bezeichnen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, als nächster Redner hat der Kollege Stefan Liebich das Wort.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3597607 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 47 |
Tagesordnungspunkt | Kommission zur Zukunft der Stasi-Unterlagenbehörde |