04.07.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 47 / Tagesordnungspunkt 28

Siegmund EhrmannSPD - Kommission zur Zukunft der Stasi-Unterlagenbehörde

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Es ist gut, dass wir heute, unmittelbar vor der parlamentarischen Sommerpause, vor der sitzungsfreien Zeit, den Auftrag erteilen, eine Expertenkommission zu berufen, die sich mit der Zukunft der Stasi-Unterlagen-Behörde beschäftigt. Dies tun wir im Jahre 2014, 25 Jahre nach der friedlichen Revolution.

Herr Liebich hat an Christian Führer erinnert, den mutigen Pfarrer, Seelsorger, den Mutmacher der Leipziger Demonstrationen, ein wichtiger Mann der Freiheitsbewegung. Ich möchte aber auch an Reinhard Höppner erinnern, der vor wenigen Wochen verstorben ist. Bei beiden handelt es sich um große Persönlichkeiten, deren Andenken wir bewahren sollten. Das gilt insbesondere für Höppner, der in vielen schwierigen Debatten auch der Volkskammer seine Erfahrungen als ehemaliger Synodaler einbringen konnte.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, der Ruf nach Freiheit 1989 mündete sehr schnell und direkt in den unbedingten Willen nach Aufklärung, nach Aufklärung der Stasiverbrechen und des Stasiunrechts. Ich persönlich kann nur sagen: Ich bin tief im Westen geboren, habe aber eine leichte Ahnung davon bekommen, was das bedeutet, als wir uns in den 60er-, frühen 70er-Jahren mit Freunden aus der jungen Gemeinde des Kirchenkreises Selo in Ostberlin getroffen haben. Ich erinnere mich an einen Besuch von Verwandten in Erfurt in den 70er-Jahren. Das war schon wirklich bedrückend.

Überträgt man das auf das, was die Repressionen letztendlich bedeuteten: Wir wissen heute sehr genau, wie Freiheit und Menschenwürde verletzt und eingeschränkt wurden. So macht das den zwingenden Wunsch verständlich, die Dokumente zu sichern, zu recherchieren, was los ist, und dies auch in einen rechtlichen Rahmen zu passen. Insofern ist das Gesetz, das die Arbeit der Stasi-Unterlagen-Behörde heute beschreibt, etwas, was eigentlich zentral dem einzigen und frei gewählten Parlament der ehemaligen DDR geschuldet ist, nämlich der Volkskammer. Dort ist der Ursprung verabschiedet worden. 1991 hat dann der Deutsche Bundestag dieses Gesetzeswerk, das immer aus der Mitte des Parlaments initiiert wurde, weiterentwickelt und als Auftrag in unsere Gesetzgebung übernommen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, erinnern möchte ich auch daran: Es war nicht die Normannenstraße, die den Auftakt gemacht hat, sondern es waren die Stasizentralen in Leipzig und dann später in Rostock und in Erfurt. Dort in der Fläche – das zeigt, wie stark der Unmut war – hat es angefangen, am 4. Dezember 1989, und am 15. Januar 1990 folgten schließlich die Aktionen um die Normannenstraße. Alles das ist zu bedenken.

Zentral und im Mittelpunkt stand, das Instrumentarium des Datenschutzes, der Aufklärung, der Forschung, aber auch der Rehabilitierung in das Gesetz zu schreiben. Aber unmittelbar nach der Wiedervereinigung 1990 hat die Enquete-Kommission, die sich mit dem Unrechtssystem der DDR auseinandergesetzt hat, die Quellen und Akzente der Geschichtspolitik weiterentwickelt.

So erinnere ich an die Stiftung Aufarbeitung, die ein ganz wichtiger Partner ist und das Thema weit über die Aufgabenstellung der Stasi-Unterlagen-Behörde entwickelt hat.

Wir haben uns im Gedenkstättenkonzept des Jahres 2008 den Auftrag gegeben, den wir heute erfüllen, nämlich eine Expertenkommission einzusetzen. Wir haben dort als Parlament ausdrücklich unterstrichen und bekundet, dass es nicht um eine Schlussstrichdebatte gehen kann; wir haben aber auch zum Ausdruck gebracht, dass die Stasi-Unterlagen-Behörde keine Behörde auf Dauer, auf Ewigkeit ist, sondern dass es zu einem bestimmten Zeitpunkt die Chance geben muss, darüber sorgfältig zu reflektieren. Das soll mithilfe dieser Expertenkommission geschehen.

Es gibt verschiedene Prüffelder, die sorgfältig ins Auge zu fassen sind:

Da geht es um das Verhältnis der Bundesstelle, der Zentrale, zu den Außenstellen. Das schließt die Frage ein: Wie ist künftig der Zugang zu den Akten? Wie ist dieser rechtlich zu organisieren?

Es geht um das weite Feld der Forschung. Wie ist das eigentlich justiert, die behördeninterne Forschung im Verhältnis zur universitären Forschung?

„Erinnern für die Zukunft“ ist das Thema der politischen Bildung. Da stellen sich Fragen der Zusammenarbeit und Kooperation im Verhältnis zur Stiftung Aufarbeitung, aber auch zur Bundeszentrale für politische Bildung oder/und zu den Landeszentralen für politische Bildung.

Schließlich geht es um die Weiterentwicklung der authentischen Orte. Es reicht nicht aus, zu träumen, dass auf den Dächern der Normannenstraße möglicherweise irgendwann die Rolling Stones spielen, sondern es geht vor allen Dingen um die Frage: Welche pädagogischen Impulse gehen nicht nur an diesem Ort? Wie können weit über die Normannenstraße hinaus eventuell andere authentische Orte genutzt werden?

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Alles das sind Fragen, die wir zu klären haben. Dazu gehört auch die Frage des Umgangs mit den Bürgerarchiven. Da sind zu nennen das Robert-Havemann-Archiv, aber auch das Archiv der Bürgerbewegung Leipzig oder das Matthias-Domaschk-Archiv. Alle diese Fragen sind sorgfältig ins Auge zu fassen, um für die Zukunft wichtige Impulse zu setzen.

Ich bedanke mich bei allen, die intensiv an dem Antrag mitgewirkt haben. Ich freue mich, dass wir uns jetzt gemeinsam auf den Weg machen.

Herr Liebich, die Tatsache, dass die Experten nach einem bestimmten Vorschlagsrecht benannt werden, heißt nicht zwingend, dass diejenigen, die zum Beispiel meine Fraktion beruft, glühende sozialdemokratische Parteigänger sind. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass viele der Experten, aus welcher Ecke sie auch vorgeschlagen werden, uns fachlich sehr fundiert eine Orientierung geben werden. Es wird eine Kommission des Deutschen Bundestages sein. Wir werden sie begleiten. Es geht um wichtige Weichenstellungen. Ich wünschte mir, dass wir es tatsächlich schaffen, bis zum Frühjahr 2016 Orientierung zu bekommen, um ebendiese Weichen zu stellen.

Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass es danach eine weitergehende geschichtspolitische Debatte geben muss. Man muss das Rad nicht permanent neu erfinden. Es gibt viele öffentliche Einlassungen zu all den Themen, die ich gerade kurz touchiert habe. Ich glaube zum Beispiel, dass die Arbeit der Sabrow-Kommission, die seinerzeit durchaus zu Debatten geführt hat, Inhalte enthält, die uns weiterführen können. Insofern glaube ich, dass wir alle diese Anregungen in einem qualifizierten geschichtspolitischen Dialog aufgreifen und so das Gedenkstättenkonzept fortschreiben sollten.

Ich freue mich darüber, dass wir diese Arbeit gewissermaßen unmittelbar vor der Sommerpause hier gemeinsam in Gang setzen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)

Als nächster Redner hat der Kollege Harald Terpe das Wort.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3597644
Wahlperiode 18
Sitzung 47
Tagesordnungspunkt Kommission zur Zukunft der Stasi-Unterlagenbehörde
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