Jörg HellmuthCDU/CSU - Kommission zur Zukunft der Stasi-Unterlagenbehörde
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erlauben Sie mir, dass ich an dieser Stelle als gelernter DDR-Bürger von einigen ganz persönlichen Erfahrungen mit dem System der Staatssicherheit bzw. dem Umgang mit dem Stasi-Unterlagen-Gesetz erzähle.
Es war im Sommer 1987, als ich von meinem Onkel aus Dortmund eine Einladung zum Besuch einer Tante bekam; es war, glaube ich, der 86. Geburtstag. Ich bin dann, wie es üblich war, zum Volkspolizei-Kreisamt gegangen und habe die Formalitäten erledigt. Ich hatte mit niemandem im Ort darüber gesprochen. Zwei Tage später sprach mich ein Arbeitskollege darauf an, dass ich zum 86. Geburtstag fahren wollte. – Das, meine Damen und Herren, war die erste Begegnung mit dem Staatssicherheitssystem. Die Staatssicherheit war eben nicht nur in der Normannenstraße oder in Leipzig; sie war überall, fast in jedem Dorf. – Interessant an dieser Episode ist noch: Ich durfte fahren, aber meine Geschwister, die einige Landkreise weiter südlich wohnten, durften nicht fahren. Es war also Willkür.
Einige Jahre später – es war nach der Wende; ich war mittlerweile in kommunalpolitischer Verantwortung – habe ich ein Paket mit Stasiunterlagen entgegennehmen müssen. Bei Auswertung dieser Unterlagen stellte sich heraus: Wir mussten über 20 Mitarbeiter entlassen. Meine Damen und Herren, zum damaligen Zeitpunkt habe ich noch etwas mit dem Stasi-Unterlagen-Gesetz gehadert. Natürlich sind wir damals angetreten, dieses Land aufzubauen; natürlich haben wir unseren Wählern auch versprochen, aufzuarbeiten. Aber wir hatten keinerlei Erfahrung: Wie sollte das denn geschehen? Wie sollte man die Zumutbarkeit feststellen?
Auch unsere Berater aus den alten Bundesländern konnten uns da nicht allzu hilfreich zur Seite stehen. Unzählige Gespräche folgten, dramatische Szenen haben sich abgespielt, meine sehr verehrten Damen und Herren. Ich kann Ihnen sagen: Der Aufbau insbesondere in den 90er-Jahren war schwierig; aber die Aufarbeitung dieses Teils der Geschichte war ungleich schwieriger.
Wieder einige Jahre später – wir dachten, die Aufarbeitung wäre im Wesentlichen abgeschlossen – bekam ich noch einmal einen Bescheid zugesandt; es war ein Einzelbescheid. Der betreffende Mitarbeiter war als Hausmeister angestellt, wie schon vor der Wende. Wir dachten zuerst: Der Fall ist eindeutig. Es gab zahlreiche Berichte über kleinere Geldprämien. Aber dann wurde uns irgendwie klar: Irgendetwas stimmt hier nicht.
Als wir den Mitarbeiter zum Gespräch geholt haben, hat er uns unter Tränen geschildert, was sich seinerzeit abgespielt hat. Er hatte – das nur am Rande – eine schwierige Kindheit und Jugend. Er war Hausmeister einer Kegelbahn, teilweise hat er dort übernachtet. Dort haben die hauptamtlichen Mitarbeiter der Dienststelle vor Ort regelmäßig ihre Kegelabende durchgeführt. Dieser Hausmeister bekam dann als Entschädigung ein paar Mark zugesteckt. Um das zu dokumentieren bzw. zu verrechnen, haben die hauptamtlichen Mitarbeiter die Berichte selbst geschrieben und ihn nur unterschreiben lassen. Meine Damen und Herren, so pervers war dieses System.
Erst zu diesem Zeitpunkt wurde mir vollends bewusst, wie wichtig das Instrument Stasi-Unterlagen-Gesetz für die tatsächliche Aufarbeitung in unserem demokratischen Rechtsstaat ist. Nach mehreren Gesprächen und nochmaliger Recherche in dem Fall des Hausmeisters haben wir dann eine Entscheidung getroffen. Ich kann Ihnen sagen: Er arbeitet heute noch als Hausmeister in dieser Behörde.
Die Einsetzung einer Expertenkommission ist genau der richtige Weg. Wir können zum jetzigen Zeitpunkt noch keinen Schlussstrich ziehen. Möge die Expertenkommission uns entsprechende Hinweise geben, die uns hinterher in die Lage versetzen, die Weichen zu stellen für die hoffentlich letzte Etappe der Aufarbeitung dieses düsteren Kapitels unserer Geschichte. Das sind wir den Opfern schuldig. Ich bitte um Zustimmung zu diesem Antrag.
Danke schön.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE])
Ich schließe die Aussprache.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3597653 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 47 |
Tagesordnungspunkt | Kommission zur Zukunft der Stasi-Unterlagenbehörde |