01.09.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 48 / Tagesordnungspunkt 1

Gerda HasselfeldtCDU/CSU - Regierungserklärung Humanitäre Hilfe im Irak

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach wie vor erreichen uns täglich beunruhigende Nachrichten, erschreckende Bilder aus den Krisenregionen der Welt, insbesondere aus dem Irak. Deshalb ist es richtig, dass wir uns in dieser Sitzung ernsthaft mit der Beantwortung der Fragen auseinandersetzen: Was können wir tun? Welchen Beitrag können wir, kann Deutschland, kann Europa leisten, ja, welchen Beitrag müssen wir in dieser Situation leisten, um das Leid dieser Menschen zu lindern, um ihnen zu helfen und um weiteres Leid von ihnen abzuwenden?

Ich möchte den Mitgliedern der Bundesregierung sehr herzlich danken für die Diskussion, die sie schon in den vergangenen Wochen geführt haben. Dankbar bin ich auch für die Diskussion mit den Kolleginnen und Kollegen der zuständigen Ausschüsse. Sie waren immer informiert; die Fraktionen wurden auf dem Laufenden gehalten. Das ist in der Sommerpause nicht selbstverständlich. Es war gut; es war hervorragend. Ich bedanke mich dafür sehr herzlich.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wozu die Terrormiliz ISIS in der Lage ist, das hat sie gezeigt, nicht nur in der gezielten Jagd auf Jesiden und Christen, sondern auch mit der Enthauptung des Journalisten Foley und der massenhaften Hinrichtung von Gefangenen. Hunderttausende von Menschen waren und sind auf der Flucht. Viele von ihnen mussten ihr Leben lassen durch die Hand der Dschihadisten, teilweise aber auch aus Mangel an Lebensmitteln und Wasser und zum Teil einfach aus Erschöpfung. Wir hören aber auch von Massenvergewaltigungen. Wir hören von Zwangskonvertierung und von Menschenhandel auf Sklavenmärkten. Da können wir nicht einfach zuschauen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Aber mehr noch: Es sind nicht nur die Menschen bedroht – ihre Menschenwürde und ihr Leben. Die Terrormiliz ISIS ist eine Bedrohung für die Region insgesamt und eine Bedrohung für Deutschland und Europa. Der ISIS denkt totalitär. Er ist totalitär. Er handelt totalitär. Totalitäre Regime, meine Damen und Herren, machen nicht halt vor moralischen oder geografischen Grenzen. Der ISIS will ein länderübergreifendes Kalifat. Er strebt ohne Rücksicht auf eigene oder fremde Verluste nach globaler Ausdehnung und bezieht sein unheilvolles Potenzial aus der gefährlichen Mischung von menschenverachtender Ideologie, erheblichen finanziellen Mitteln und modernen Waffen. Sie sehen also: Millionen von Menschen sind bedroht. Bedroht ist aber auch die Stabilität einer ganzen Region. Bedroht ist die Sicherheit in Deutschland und in Europa.

Wenn ich eines aus unserer eigenen Geschichte und aus der Geschichte des 20. Jahrhunderts gelernt habe, dann ist es dies: Bei Völkermord, bei solchen Gräueltaten, wie wir sie dort jeden Tag sehen müssen, dürfen wir nicht einfach wegschauen, sondern müssen handeln, müssen Verantwortung zeigen. Wir müssen diesem Wüten des IS Grenzen setzen und entschieden entgegentreten.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen und von den Linken, es ist mir schon ein Bedürfnis, auf den Widerspruch in Ihren Reden hinzuweisen. Es ist einfach nicht glaubwürdig, wenn Sie auf der einen Seite sagen: „Wir dürfen die Kurden nicht alleinlassen“, die ungeheuerlichen Gräueltaten, die Barbarei genauso erkennen wie wir alle in diesem Haus, und auf der anderen Seite sagen: Aber die Verantwortung für eine umfassende Hilfe,

(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist jetzt daneben!)

nicht nur für eine humanitäre Hilfe, sondern für eine Hilfe, die den IS wirklich stoppt in seinem Tun, verweigern wir; dazu sind wir nicht in der Lage.

(Zurufe von der LINKEN – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nicht richtig!)

Das ist für mich schwer verständlich und, mit Verlaub, auch ein Stück inkonsequent.

(Beifall bei der CDU/CSU – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine Unterstellung!)

Die Bundesregierung hat sich entschieden, den Menschen im Irak zu helfen, ihnen beizustehen, in enger Abstimmung mit der Regierung im Irak die Peschmerga und ihren Kampf gegen den IS zu unterstützen. Dieser Kurs ist richtig. Wir dürfen die Menschen in dieser außergewöhnlichen Notlage nicht alleinlassen.

Dabei steht im Vordergrund in der Tat die Hilfe für die Menschen, die humanitäre Hilfe, die zivile Hilfe. Es wurde bereits angesprochen: Deutschland gibt für diesen gesamten Bereich mittlerweile schon 50 Millionen Euro. Damit werden regionale UNHCR-Projekte und -Programme unterstützt. Die Arbeit des Roten Kreuzes, die Arbeit des Technischen Hilfswerks, die Arbeit der kirchlichen Organisationen und vieler anderer Organisationen wird genauso unterstützt wie die Feldküchen des Welternährungsprogramms.

Es ist richtig, dass die Europäische Union auch in dieser Richtung aktiv ist, und zwar mit 17 Millionen Euro. Es ist aber genauso richtig, dass hier noch eine ganze Menge zu tun ist, insbesondere vor dem Hintergrund, dass sich in wenigen Wochen die klimatischen Verhältnisse dort ändern, wir einen Winter vor uns haben und die Menschen Medikamente, Decken, Zelte, medizinische Hilfsgüter und vieles andere benötigen. Das wird zwar heute schon dorthin geliefert; es reicht aber noch nicht. Ich bin deshalb sehr dankbar dafür, dass gestern Abend auch entschieden wurde, diese Hilfen kontinuierlich weiterzuentwickeln, für Nachhaltigkeit zu sorgen und dieses ganz fest im Blick zu behalten. Dafür bin ich sehr dankbar.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, ich möchte bei der Gelegenheit auch den Helferinnen und Helfern der Organisationen vor Ort danken, die dort unter Einsatz ihres Lebens arbeiten und die unter schwierigsten Bedingungen den Menschen – den Kurden, Christen und Jesiden – zur Seite stehen, sie unterstützen und ihnen auch mit den Hilfsgütern behilflich sind. Ihnen gebühren unser großer Dank und unsere Anerkennung für diese Tätigkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Es wurde vorhin von einigen Rednern erwähnt – ich möchte es ausdrücklich unterstreichen –: Es geht darum, die Menschen zu retten. Es geht aber auch darum, deren Lebensraum zu retten. Wir müssen alles daransetzen, dass die Menschen dort gar nicht erst zu Flüchtlingen werden. Das wollen sie auch nicht. Volker Kauder hat das auch aufgrund seiner Erfahrungen in den letzten Tagen sehr eindringlich geschildert. Die Menschen wollen nicht als Flüchtlinge in Deutschland sein, sondern als freie Menschen selbstbestimmt in der angestammten Heimat leben. Das ist das Interesse der Menschen dort im Irak, und das ist nur allzu verständlich. Dafür müssen wir Sorge tragen. Wir dürfen uns nicht zurücklehnen und zu einer vermeintlich einfacheren Lösung kommen, nämlich sie nur bei uns aufzunehmen. Das gehört auch dazu. Aber es nicht das Einzige und hat nicht Priorität. Die Menschen wollen in ihrem Lebensraum bleiben. Wir müssen dafür sorgen, dass sie dies auch können.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Neben der rein zivilen Hilfe wurde auch schon vieles in Richtung Verbesserung der Ausrüstungssituation getan. Ich bin der Verteidigungsministerin sehr dankbar für die Arbeiten im Vorfeld in Bezug auf Schutzwesten, Helme, Funkgeräte, Nachtsichtgeräte und Ähnliches. Das wurde in den letzten Tagen vorbereitet; denn auch das gehört dazu. Aber humanitäre Hilfe und Ausrüstungshilfe können nur dann nachhaltig sein, wenn die entsetzliche Barbarei des ISIS eingegrenzt und beendet werden kann. So wichtig die humanitäre Seite der Hilfe ist, sie würde verpuffen, wenn wir nicht helfen, den IS grundsätzlich zu stoppen. Ich bin dankbar dafür, dass auch die Kirchen bei uns im Land diese Meinung vertreten.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Christine Lambrecht [SPD])

Die Entscheidung, die die beteiligten Minister der Bundesregierung gestern getroffen haben, war richtig. Denn was helfen die Decken, Medikamente und Zelte den Menschen, wenn sie in den Decken und Zelten ihre Menschenwürde oder gar ihr Leben verlieren? Das müssen wir mit bedenken. Deshalb reicht die rein humanitäre Hilfe in dieser ausgesprochenen Notsituation eben nicht aus.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Natürlich kann man sich fragen: Brauchen wir mehr Zeit? Brauchen wir eine internationale Strategie, wie es vorhin angesprochen wurde? – Wenn wir noch ein bisschen mehr Zeit verstreichen lassen, dann brauchen wir uns wahrscheinlich gar nicht mehr darüber zu unterhalten, was noch notwendig ist, weil dann viele von denen, die es zu retten gilt, gar nicht mehr da sind.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: So ist es!)

Deshalb haben wir hier eine große Verantwortung, eine Aufgabe, bei der es sich wirklich lohnt, miteinander kontrovers zu diskutieren, sich auch die Meinung anderer anzuhören, was wir heute tun, aber sich dann eben auch der Verantwortung zu stellen und zu helfen.

Die Vorgaben dessen, was gestern entschieden wurde, sind so eng gefasst, wie es in dieser Notlage nur möglich ist: Erstens. Wir tun nichts alleine; wir tun alles in enger Abstimmung mit den anderen Staaten. Zweitens. Es geschieht auf die ausdrückliche Bitte der irakischen Zentralregierung hin und in enger Abstimmung mit ihr. Drittens. Für die Verteilung wird eine internationale Koordinierungsstelle eingerichtet. Viertens. Wir tun dies nach bestem Wissen und Gewissen; die Unterstützung geht an die irakische Zentralregierung und ist für die Peschmerga-Kurden – und nur für sie – bestimmt.

Wir sind nicht blauäugig und wissen sehr wohl um die Risiken; aber es geht in dieser Situation um das Abwägen zwischen dem, was man zu verantworten hat, und dem, was möglich ist.

Ich danke Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, und den beteiligten Bundesministern sehr herzlich für die besonnene und gründliche Art und Weise der Vorbereitung dieser Entscheidungen. Ich denke, dass die auf den Weg gebrachten Entscheidungen zweierlei bedeuten: Sie sind ein starkes Zeichen der Hilfe für die Menschen und der Solidarität mit den Menschen im Irak. Gleichzeitig sind sie ein klares Signal gegen Völkermord und Terror. Deshalb unterstützen wir diese Entscheidung der Bundesregierung.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Das Wort erhält nun der Kollege Omid Nouripour für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3816803
Wahlperiode 18
Sitzung 48
Tagesordnungspunkt Regierungserklärung Humanitäre Hilfe im Irak
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