01.09.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 48 / Tagesordnungspunkt 1

Frank SchwabeSPD - Regierungserklärung Humanitäre Hilfe im Irak

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Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Es ist heute bereits mehrfach deutlich gemacht worden, dass es durchaus ein Dilemma ist, in dem wir alle uns befinden. Es ist aber auch deutlich geworden, dass keine Haltung zur Frage der Waffenlieferungen am Ende auch eine Antwort ist. Ich glaube, dass gerade mit Blick auf die Menschenrechte Gewalt dann legitim und notwendig ist – Waffenlieferungen sind ja so etwas wie Beihilfe zur Gewalt –, wenn schlimmste humanitäre Katastrophen so, wenn schon nicht verhindert, dann zumindest eingehegt werden können. Wann das der Fall ist, ist wirklich schwer zu sagen; das ist ein schmaler Grat. All die entsprechenden Risiken sind heute diskutiert worden.

In der Abwägung komme ich trotzdem zu dem Ergebnis, dass im Fall des Nordirak Waffenlieferungen richtig und nachvollziehbar sind. Ich kann zugleich die Argumente, die hier seitens der Grünen und teilweise auch der Linkspartei gebracht worden sind, durchaus nachvollziehen, wenn nämlich gesagt wird, dass es eine Gesamtstrategie geben müsse, dass die Türkei einbezogen werden müsse, oder wenn gefragt wird, warum IS eigentlich Öl verkaufen kann und wie es um die Unterstützung der Golfstaaten und anderer bestellt ist. Ich habe trotzdem keine Antwort auf die Frage bekommen, ob man nicht in einer ganz konkreten Notsituation, nämlich dann, wenn Menschen unter schlimmsten Bedingungen dahingemetzelt werden, zumindest den Angreifern in den Arm fallen und den Opfern die Gelegenheit dazu geben sollte, sich zu verteidigen. Vor diesem Hintergrund ist es richtig, dass wir heute beschließen, solche Waffenlieferungen zu tätigen. Ich finde es auch richtig, dass der Deutsche Bundestag das hier so diskutiert.

Es ist jetzt viel über den Nordirak gesprochen worden. Ich will versuchen, den Blick ein bisschen zu erweitern. Wir sind wirklich in einer Welt, die in Unordnung ist.

(Zurufe von der Besuchertribüne)

Wir sind in einer Welt, die in Unordnung ist, und es ist auch nicht einfach, die nötige Ordnung entsprechend – –

(Unruhe auf der Besuchertribüne)

Herr Kollege Schwabe, bitte unterbrechen Sie einen Augenblick Ihre Rede, damit die Situation auf der Besuchertribüne geklärt werden kann.

Für alle, die an den Debatten des Bundestages als Zuschauer teilnehmen wollen, gilt die Regel, dass es von den Tribünen weder Zurufe geben darf noch Spruchbänder entrollt noch Flugblätter verteilt werden dürfen.

Die Situation ist offenkundig geklärt. Sie können weitersprechen. Bitte schön, Herr Schwabe.

Die Welt ist in der Tat in Unordnung. Die besten Militärs und die umfangreichsten Waffenlieferungen werden die nötige Ordnung nicht wiederherstellen können. Wir sind alle ziemlich fassungslos angesichts dessen, was international passiert. Es ist eben nicht nur der Konflikt im Nordirak, es sind auch die Konflikte in Syrien, im Südsudan, in der Zentralafrikanischen Republik, in Mali, in der Ukraine, vergessene Konflikte wie in Kolumbien und anderswo, die uns beschäftigen. Ich will nur zwei Zahlen nennen, die deutlich machen, was international zurzeit los ist.

Die erste Zahl: Weltweit gibt es laut den Vereinten Nationen über 50 Millionen Flüchtlinge. Das ist die höchste Zahl seit dem Zweiten Weltkrieg.

Die zweite Zahl: Die Vereinten Nationen schätzen, dass wir aufwachsend einen Bedarf bei der humanitären Hilfe in Höhe von 17 Milliarden US-Dollar haben, und zwar allein nur im Jahr 2014. Das ist eine Verdreifachung gegenüber der Zahl aus dem Jahr 2006.

Das macht, wie ich finde, deutlich, was die Prioritäten in der Debatte über die aktuelle Frage hinaus in den nächsten Monaten und Jahren eigentlich sein müssen.

Das ist zum einen die Frage, wie wir im Bereich der humanitären Hilfe einen Aufwuchs hinbekommen. Deutschland tut eine ganze Menge, auch im aktuellen Fall. Das wird aber nicht reichen. Es bedarf, wenn wir eine Verdreifachung der Mittel im internationalen Kontext brauchen, eben auch einer Erhöhung in Deutschland. Ich bin froh darüber, dass hier in der Debatte klar geworden ist, dass auch, wenn wir Waffen liefern, der finanzielle Umfang der humanitären Hilfe am Ende deutlich über dem dieser Waffenlieferungen liegen muss, und ich bin dankbar, dass der Fraktionsvorsitzende der SPD das so auch noch einmal klargestellt hat.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Zum anderen werden wir auch – ich bin dankbar dafür, dass die Kanzlerin das deutlich gemacht hat – über die Aufnahme von Flüchtlingen reden müssen. Dabei ist vollkommen klar: Wir wollen, dass Jesiden, Christen und andere eine Zukunft im Nordirak und in der ganzen Region haben. Es kann aber nicht sein, dass am Ende die Flüchtlingsprobleme in Jordanien, in der Türkei und anderswo gelöst werden müssen.

Ich war vor einigen Tagen in der Türkei. Die Situation dort ist wirklich dramatisch. Man kann die Türkei an vielen Stellen kritisieren, und man kann, wie ich finde, die Türkei zunehmend auch hinsichtlich der Flüchtlingsaufnahme kritisieren, weil Erdogan den Eindruck vermittelt hat, dass er das schon alleine hinbekomme. Das bekommt er aber nicht alleine hin. Dort sind mittlerweile mehr als 1 Million Flüchtlinge, und selbst im Straßenbild von Istanbul ist das sichtbar. Frauen liegen dort mit ihren Babys auf der Straße. Ich glaube, dafür muss es eine Lösung geben, und das kann nur eine europäische Lösung sein.

(Beifall der Abg. Stefan Rebmann [SPD] und Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich weiß, es ist schwierig, das in unseren Wahlkreisen zu diskutieren. Die Belastungen in vielen Kommunen sind hoch. Trotzdem muss man den Menschen die Wahrheit sagen: Wenn wir über die Krise im Nordirak reden, dann reden wir auch darüber, dass wir zumindest vorübergehend mehr Flüchtlinge bei uns in Deutschland aufnehmen müssen.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Zwei kurze Bemerkungen zum Schluss.

Erstens. Ich glaube, es ist wichtig, dass in der Debatte heute noch einmal klargestellt worden ist, dass es sich um einen singulären Fall und um keinen Paradigmenwechsel oder anderes handelt. Ich denke, eine solche Unterstellung beschwert die Debatte hier im Haus und in der Öffentlichkeit nur unnötig.

Zweitens. Diese singulären Waffenlieferungen relativieren nicht die Entscheidung von Bundesminister und Vizekanzler Sigmar Gabriel zum Thema Rüstungsexporte; vielmehr ist das Gegenteil der Fall; das sind zwei Seiten einer Medaille: Wir wollen ethisch begründet in einem ganz bestimmten Fall Waffen liefern. In anderen Fällen wollen wir aus wirtschaftlichen Gründen keine Waffen in Spannungsgebiete liefern. Ich glaube, das ist die richtige Entscheidung.

Wenn man in Deutschland entscheidet, Rüstungsexporte zu begrenzen, die humanitäre Hilfe zu stärken und in einem ganz bestimmten begründeten Fall Waffen zu liefern, dann ist das der richtige Weg, den dieses Haus hier auch gehen sollte.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Henning Otte hat nun das Wort für die CDU/CSU- Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3816845
Wahlperiode 18
Sitzung 48
Tagesordnungspunkt Regierungserklärung Humanitäre Hilfe im Irak
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