01.09.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 48 / Tagesordnungspunkt 1

Henning OtteCDU/CSU - Regierungserklärung Humanitäre Hilfe im Irak

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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Welt ist in Unruhe. Wir alle sind aufgefordert, alles daranzusetzen, Krisen dort schnell und wirksam einzudämmen, wo sie entstehen.

Die Lage im Nordirak ist mehr als besorgniserregend. Eine terroristische IS-Miliz will einen Staat errichten, eine Miliz, die eine Expansion durch Töten in barbarischer Weise betreibt. Der kurdischen Bevölkerung soll das Heimatrecht entzogen werden. Jesiden und Christen werden hingerichtet. Hier darf Deutschland nicht wegsehen. Das ist ein Gebot der Menschlichkeit, das ist Ausdruck von Verantwortung, hier geht es um den Schutz der Religionsfreiheit, und das ist auch eine Schutzmaßnahme der westlichen Welt und Deutschlands vor der Etablierung islamistischer Terrorstrukturen.

Wir dürfen uns als Deutschland nicht abwenden. Die Linke will den Menschen im Nordirak eine Ausrüstungshilfe verweigern. Das ist skrupellos – nur, um die eigene Ideologie aufrechtzuerhalten.

(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das glauben Sie selber nicht!)

Immer wenn es um reale Politik geht, ist die Linke am Ende. Herr Gysi – er ist wegen eines Termins leider schon gegangen – sagt erst, wir brauchen Waffen für die Kurden, dann wird er von seiner eigenen Partei zurückgepfiffen wegen der Ideologie. Das erinnert mich an seine Zeit als Wirtschaftssenator, als er auch einen Realitätsschock erlitten hat.

(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Nun ist aber gut!)

Ich kann nur sagen: So kann man keinen Staat machen, und deswegen dürfen Sie keine Regierungsverantwortung übernehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Rainer Arnold [SPD] – Widerspruch bei Abgeordneten der LINKEN)

Meine Damen und Herren, ich habe Berichte von jesidischen Teilen der Bevölkerung direkt aus meiner Heimatstadt Bergen und aus Celle erhalten. Das, was berichtet wurde, ist mehr als besorgniserregend; das ist erschreckend. Das Recht darf dem Unrecht nicht weichen. Daher darf Deutschland mit seinem Verständnis von Menschenwürde und Rechtsstaatlichkeit und auch vor dem historischen Hintergrund – unsere Bundeskanzlerin hat das dargestellt – solch ein Unrecht nicht dulden.

Deutschland hilft: auf Bitten der irakischen Regierung mittels einer Anfrage an die Vereinten Nationen – nach Abfrage der kurdischen Ausrüstungsdefizite – durch Erstellung einer Liste verfügbaren Materials durch das Verteidigungsministerium, in Abstimmung mit unseren europäischen Partnern. Wir helfen also, Ausrüstungsdefizite der kurdischen Peschmerga teilweise auszugleichen. Ziel ist die Verbesserung des Schutzes kurdischer Kämpfer: durch Verbesserung der Bewegungsfreiheit, der Kommunikationsfreiheit und der Durchsetzungsfähigkeit. Von daher ist Deutschland bereit, Helme, Nachtsichtgeräte, Fahrzeuge, Schutzwesten, aber auch Waffen und Munition zu liefern.

Ich sage auch: Gut, dass Deutschland ein so breites Fähigkeitspotenzial hat. Dadurch können wir politisch die Maßnahmen auswählen, die wir für richtig halten und die wir zur Verfügung stellen wollen.

Die Lieferung der Ausrüstungshilfe vollzieht sich dabei klar nach den üblichen Regeln des Außenwirtschaftsgesetzes. Ich danke unserem Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel für die unkomplizierte Sicherstellung dieser Waffenlieferungen. Ein Verzögern nach der jetzigen Entscheidung der zuständigen Ressorts würde in der Völkergemeinschaft kein Verständnis finden. Hilfe in einer solchen Situation duldet keinen Aufschub.

Vor allem halte ich es für wichtig, eine Endverbleibszusicherung durch die kurdische Peschmerga zu erhalten. Ich danke deshalb unserer Bundesverteidigungsministerinauch dafür, dass sie die Lieferung der Ausrüstungshilfe in Tranchen zur Verfügung stellt, um eine Beobachtung der Handhabung sicherzustellen und um zu verhindern, dass Material geliefert wird, das nicht benötigt wird – also ein Handeln immer in Anbetracht der Lage und der aktuellen Situation vor Ort. Das ist die pragmatische, verantwortungsvolle Politik der Großen Koalition. Daher unterstützen wir diese Ressortentscheidung.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Heute geht es um ein Gesamtpaket zur Eindämmung der katastrophalen Situation im Nordirak. In einem Dreiklang aus humanitärer Hilfe in Form von Nahrung und Medikamenten, aus finanzieller Unterstützung der Flüchtlinge und auch durch Ausrüstungshilfen; denn letztendlich geht es darum, den kurdischen Flüchtlingen nicht nur Nahrung zu übermitteln, sondern sie auch vor der Ermordung zu schützen.

Es ist richtig und notwendig, diesen weitgehenden Schritt der Lieferung von Waffen zu gehen, um die Ursache zu bekämpfen und die Kurden selbst in die Lage zu versetzen, sich zu verteidigen und sich zu erwehren. Dafür bedarf es einer Waffengleichheit gegenüber der bestens ausgestatteten IS-Miliz. Dies ist kein Grundsatzwechsel. Es ist vielmehr die Bereitstellung von Mitteln zur Hilfe zur Notwehr unter Beibehaltung der Subsidiarität. Es wird also dort Hilfe zur Verfügung gestellt, wo sie gebraucht wird.

Im Norden Iraks werden wir einen Verband ausstatten, der sich dann selbst verteidigen kann. Wer dies ablehnt, der duldet den Völkermord vor Ort.

(Widerspruch bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben Sie aber vor ein paar Tagen geschrieben!)

Jede Lage hat ein eigenes Gesicht. Daher ist dies heute keine Grundsatzentscheidung oder gar ein Wechsel der deutschen Politik. Vielmehr bedarf es immer wieder einer Einzelfallbetrachtung.

(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oho!)

Vor allem bedarf es weiterhin eines vernetzten Ansatzes durch die Bereitstellung von Hilfsgütern – 150 Tonnen –, durch die Bereitstellung von finanziellen Mitteln – 50 Millionen Euro – und durch diplomatische Anstrengungen – das gilt insbesondere für das Land Irak –, aber eben auch, wenn es sein muss, durch die Bereitstellung von Ausrüstungsmitteln.

Oft wird gefragt, ob nun auch die Ukraine mit Ausrüstungshilfe ausgestattet werden soll. Dies hat unsere Bundeskanzlerin in einer klaren Argumentationslinie abgelehnt. Auch ich sage hier: Jede Lage hat ihr eigenes Gesicht. Jede Sicherheitsbedrohung muss einzeln bewertet und abgewogen werden. In der Ukraine müssen wir deeskalieren. Wir müssen Sanktionen weiter verschärfen, und wir dürfen den Gesprächsfaden nicht abreißen lassen. Aber ich sage auch: Viel mehr noch müssen wir unsere osteuropäischen NATO-Mitglieder in die Lage versetzen und ausstatten, dass sie selbst einen so hohen Schutzdeich aufbauen können, dass niemand es wagt, ihn zu durchbrechen. Ansonsten greift Artikel 5 des NATO-Vertrages; das muss Russland ganz deutlich wissen.

(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das ist eine Kriegsdrohung!)

Meine Damen und Herren, ohne Sicherheit gibt es keine Freiheit. Sicherheit ist aber nicht zum Nulltarif zu haben. Daher bitte ich alle Kolleginnen und Kollegen des Hohen Hauses, auch zu beachten, dass die Bundeswehr diese Hilfsflüge ermöglicht und bereit ist, diese Mittel aus eigenen Beständen zur Verfügung zu stellen, und dass diese auch wieder aufgefüllt werden müssen. Ich sage auch: Gut, dass wir einen Staat haben, der eine Armee hat.

Ich fasse zusammen: Humanitäre Hilfe, finanzielle Hilfe, Ausrüstungshilfe – alle drei Maßnahmen sind notwendig und richtig – als ein Gebot der Menschlichkeit, als ein Gebot der Verantwortung. Daher unterstützen wir die Entscheidung der Ressorts zur Bereitstellung von Ausrüstungshilfe.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Rainer Arnold ist der nächste Redner für die SPD- Fraktion.

(Beifall bei der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3816848
Wahlperiode 18
Sitzung 48
Tagesordnungspunkt Regierungserklärung Humanitäre Hilfe im Irak
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