Rainer ArnoldSPD - Regierungserklärung Humanitäre Hilfe im Irak
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt zwei gewichtige Gründe, warum auch die Bundesrepublik Deutschland den Menschen im Irak beistehen sollte und, wie ich meine, auch beistehen muss.
Der eine ist in der Tat die auch von Deutschland forcierte Idee, dass die Staatengemeinschaft und die Vereinten Nationen die Verpflichtung zum Schutz eines jeden Staates haben. Es ist doch sichtbar: Der irakische Staat schützt seine Bürger nicht, und die Staatengemeinschaft will und kann aus unterschiedlichen Gründen zurzeit auch nicht an die Stelle des irakischen Staates treten. Also machen wir das, was wir im Übrigen auch in Afghanistan, Mali und Somalia durch Ausbildung machen: Wir helfen örtlichen Sicherheitskräften, dass sie mit den Problemen in ihrem Land umgehen können. Darum geht es, und das ist unsere Verpflichtung und unser Beitrag zum Schutz.
Auch der zweite Grund ist ganz eindeutig – das ist nicht kompliziert –: Wir haben ein elementares sicherheitspolitisches Interesse daran, dass diese Region, die jetzt schon viel zu stark brennt, am Ende nicht noch lichterloh brennt, weil das unmittelbare Auswirkungen auf die Stabilität und die Sicherheit auch bei uns in Deutschland hätte.
Wir werden angesichts dieser von uns eingenommenen Haltung nun häufig gefragt, warum jetzt dort geholfen werden soll und warum wir bei dem Leid in vielen anderen Staaten nicht ähnlich Verantwortung übernehmen. Das ist jetzt aber ein ganz besonderer Fall. Es ist deshalb ein besonderer Fall, weil die Milizen dort mit einer derartigen Brutalität vorgehen,
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Stimmt!)
die – darin liegt auch eine Chance – gleichsam ein Weckruf für die Staatengemeinschaft und auch für uns darstellte. Ich glaube, wir brauchen eine Debatte darüber, ob die Staatengemeinschaft und wir nicht an der einen oder anderen Stelle zu lange zuwarten, bis der Weckruf endlich deutlich genug ist. Darüber müssen wir als eine Lehre aus den vergangenen Jahren sicherlich auch einmal reden.
Aber wenn man jetzt daraus die Konsequenz zieht und fragt, welche Ideologie dahintersteckt, die mit so brutaler Macht vorgeht, dann wird deutlich, dass es kein regional begrenzter Konflikt ist. Vielmehr hat der IS den Anspruch, global zu agieren, die heiligen Stätten von Saudi-Arabien bis möglicherweise Jerusalem unter seine Kontrolle zu bekommen und gegen alle zu kämpfen, die sich seiner Ideologie nicht erwehren. Deshalb haben wir ein hohes sicherheitspolitisches Interesse.
Herr Kollege Arnold, es gab den Wunsch, eine Zwischenfrage zu stellen. Ob Sie dem freundlicherweise zustimmen? – Das scheint so zu sein.
Das machen wir gerne bei der Frau Kollegin.
Bitte schön.
Vielen Dank, Herr Kollege Arnold. – Sie haben gerade gesagt, es sei gar nichts Neues, wenn wir Waffen an die Kurden lieferten, und haben unter anderem Mali als Vergleich hinzugezogen und gesagt, dass wir dort ja auch Ausbildungshilfe leisten. Das verstehe ich aber nicht ganz. Es ist ja schließlich so, dass wir dort auf Anfrage der malischen Regierung staatliche Streitkräfte ausbilden, und dann auch noch auf Grundlage eines UN-Mandats.
Wenn ich es richtig verstehe – das steht so ja sogar auch in Ihrem Entschließungsantrag –, dann ist Waffenlieferung an nichtstaatliche Akteure ausgeschlossen. Aber wer sind denn die Peschmerga, denen wir die Waffen liefern? Das ist doch nicht die irakische Armee. Das sind doch auch nichtstaatliche Kräfte.
Ein UN-Mandat haben wir auch nicht, und mir ist auch bislang noch keine Anfrage der irakischen Zentralregierung bekannt, obwohl eine solche mehrfach angedeutet wurde. Das kann ich auch aus deren Sicht verstehen. Denn sie haben sogar Waffen von den Amerikanern bekommen, die für die Kurden bestimmt sind, geben sie aber nicht frei. Wer will denn den Kurden erzählen, dass sie diese Waffen dann wieder abgeben sollen, wenn es um die Auseinandersetzung mit dem irakischen Zentralstaat geht?
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist ja auch eine schwierige Frage!)
Den Widerspruch müssen Sie mir erklären.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Die Regierung des irakischen Staats, die wir in der Vergangenheit zu Recht nicht besonders gut fanden – wir setzen und drängen darauf, dass dieses Land zukünftig besser regiert wird –, hat die Staatengemeinschaft und damit auch uns aufgefordert, hier unterstützend tätig zu sein. Das ist das Erste.
Das Zweite ist – Sie wissen das genauso gut wie wir –: Der Ukraine-Konflikt vereinfacht die Handlungsoptionen im UNO-Sicherheitsrat nicht unbedingt, vorsichtig gesagt. Dieser Wirklichkeit müssen wir uns stellen.
Das Dritte ist: Es ist ein großer Irrtum, zu glauben, die Teilautonomie der Kurden im Nordirak sei illegal. Sie ist Teil des irakischen Staats und somit legalisiert. Die Peschmerga ist ein Teil der Sicherheitsarchitektur in diesem irakischen Staat.
Das alles ist nicht so, wie wir uns das idealtypisch wünschen. Aber wir sind nicht in einer Situation, in der wir uns die Lage idealtypisch malen können. Vielmehr müssen wir mit der jetzigen Situation so umgehen, wie sie ist. Wir dürfen die Menschen nicht im Stich lassen mit den Argumenten „Ihr werdet schlecht regiert“ oder „Die Amerikaner stehen besonders in Verantwortung“. Das ist keine Antwort gegenüber den Kindern, die vertrieben und deren Eltern ermordet werden. Deshalb engagieren wir uns so, wie wir es tun.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Zurufe von Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir alle wissen doch, dass kein Land alleine mit der großen Herausforderung des fundamentalen islamistischen Terrorismus umgehen kann. Deshalb sind wir sehr froh, dass der Außenminister und die Bundesregierung versuchen, die europäischen Partner, die Vereinigten Staaten und andere insgesamt in Gleichklang zu bringen, sodass gut abgestimmt dort vorgegangen werden kann. Das ist auch aus folgendem Grund wichtig: Nur wenn Deutschland ein verlässlicher Partner ist, werden wir Deutschen an der einen oder anderen Stelle auch einmal sagen können, dass wir es anders sehen. Auf die Debatten, die gerade in der NATO geführt werden, kann Deutschland nur mäßigend einwirken, wenn alle zugleich wissen: Die Deutschen sind im Zweifelsfall auch verlässlich. – Dies gehört zusammen. Deshalb sollten wir nicht wie die Linke glauben, dass Deutschland mehr Gewicht und Einfluss hätte und besser regulierend wirken könnte, wenn es sich von internationalen Prozessen abkoppelte. Dann hätten wir nichts mehr zu sagen, und niemand würde mehr auf uns hören.
(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Dass ihr Einfluss habt, daran glauben wir sowieso nicht! Den habt ihr doch an der Garderobe abgegeben!)
In den letzten Tagen konnte man aufgrund der Debatte den Eindruck gewinnen, dass es ausschließlich um die Lieferung von Waffen geht. Nein, es geht um einen Dreiklang.
Die erste Säule dabei ist die humanitäre Hilfe. Was die beteiligten Ressorts in kurzer Zeit auf den Weg gebracht haben, verdient unseren Respekt. Und was die Soldaten auch operativ vor Ort und bei den Lieferungen leisten, verdient unseren Dank.
Der zweite Ton im Dreiklang sind die politischen Prozesse. Natürlich muss der Irak anders regiert werden. Die arabische Welt muss erkennen, dass sich dieser Terrorismus am Ende auch gegen sie richtet. Wir brauchen eine breite Allianz gegen den Terror. Aber, Kollege Nouripour, ich habe manchmal den Eindruck, dass Sie nicht wahrgenommen haben, wen der deutsche Außenminister in den letzten Wochen alles empfangen hat.
(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, in den letzten zwei Wochen! – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seien Sie sicher! Das hat Herr Nouripour sehr wohl wahrgenommen!)
Er hat mit seinen Besuchern vermutlich nicht nur Tee getrunken. Sie haben offensichtlich auch nicht wahrgenommen, wohin er überall geflogen ist.
(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vor zwei Wochen!)
Er ist nicht als Tourist geflogen, sondern hat versucht, die Dinge in Bewegung zu halten. Deshalb ist die zweite, politische Säule so wichtig.
Die dritte Säule ist die militärische Ausstattungshilfe zum Schutz und zum Durchsetzen. Natürlich können Peschmerga-Kämpfer mit Handfeuerwaffen an einer Panzerstellung der Terroristen nicht vorbeikommen. Deshalb brauchen sie entsprechendes Gerät. Jeder, der hier in diesem Haus akzeptiert, dass man sich diesem fundamentalen, brutalen Terror auch mit Waffengewalt entgegenstellen muss, sollte darüber nachdenken, ob es die ethisch verantwortbarere Haltung ist, zu sagen: Man muss zwar gegen diese Terroristen kämpfen, aber das sollen andere für uns tun, und andere sollen auch die Ausstattung übernehmen. Damit ist man nicht auf der moralisch sauberen Seite.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Zurufe von Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Man ist auf der sauberen Seite, wenn man das tut, was verantwortbar und möglich ist.
Lieber Herr Kollege Arnold!
Ich komme zum Ende.
In der Politik gibt es immer Alternativen, ganz eindeutig. Niemand will – auch wir nicht – der UN und der Staatengemeinschaft empfehlen, Soldaten dorthin zu schicken. Die Alternative, andere liefern zu lassen, ist nicht besonders moralisch. Wegschauen – das wäre die letzte Alternative – will wahrscheinlich in diesem Haus niemand; das unterstelle ich auch den Linken nicht.
(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Da bin ich jetzt aber einmal froh!)
Aber wir müssen so langsam auch erkennen:
(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer muss denn erkennen? Sie, oder?)
Selbst wer ein kaltes Herz hat, kann nicht mehr wegschauen. Diese Krise und dieser Konflikt haben Europa und Deutschland in unterschiedlichen Facetten längst erreicht.
(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Inzwischen sind Sie bei Frau Hasselfeldt angekommen!)
Wenn wir die Krise jetzt nicht stoppen, werden die Debatten, die wir in diesem Hause in den nächsten Jahren führen müssen, nicht einfacher, sondern schwieriger, und die Entscheidungen werden ernster, als sie im Augenblick ohnehin schon sind.
Recht herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Sibylle Pfeiffer für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3816884 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 48 |
Tagesordnungspunkt | Regierungserklärung Humanitäre Hilfe im Irak |