Sibylle PfeifferCDU/CSU - Regierungserklärung Humanitäre Hilfe im Irak
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was kann eigentlich eine Entwicklungspolitikerin zu dieser Debatte beitragen?
(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Viel!)
– Stimmt.
(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Kommt darauf an, was Sie sagen!)
– Genau so ist es.
Wir haben ganz viel über Waffenlieferungen gesprochen. Alle Redner haben sich auf die Waffenlieferungen eingeschossen. Ich glaube, dass es zum jetzigen Zeitpunkt richtig ist, so zu entscheiden, wie entschieden worden ist.
Wir haben auch sehr eindrucksvolle Reden – lieber Volker Kauder, vor allen Dingen deine – über das Elend, das dort herrscht, die humanitäre Katastrophe vor Ort gehört. Bei der Gelegenheit müssen wir, glaube ich, in zwei Richtungen Dank aussprechen: zunächst gegenüber dem Entwicklungshilfeminister, der ganz schnell Soforthilfe zur Verfügung gestellt hat, aber wir müssen dann vor allen Dingen denen danken, die diese Soforthilfe vor Ort umsetzen, die mit den Nichtregierungsorganisationen in unserem Auftrag hervorragende Arbeit leisten. Die gilt es zu unterstützen, und denen gilt vor allen Dingen auch unser Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE])
Entwicklungspolitiker müssen vor allen Dingen eines tun: Sie müssen die Debatte über die Zukunft anstoßen. Wie geht es im Irak eigentlich weiter? Was passiert, wenn es uns hoffentlich gelingt, die militärische Macht von ISIS zu brechen und deren Schreckensherrschaft zu beenden?
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein kleines Déjà-vu habe ich hier schon: 1994 Ruanda. Selbst wenn der Vergleich ein kleines bisschen hinken mag, ist mir dieser schreckliche Genozid sehr wohl noch präsent. Ich spreche von den zwei Gruppierungen der Hutu und der Tutsi, die sich unversöhnlich gegenüberstanden. Aber ich glaube, wir haben aus Ruanda gelernt, oder wir sollten zumindest daraus lernen, nämlich zwei Dinge:
Erstens, dass man einem Genozid nicht tatenlos zusehen darf und dass wir notfalls auch bereit sein müssen, unsere Zurückhaltung in Bezug auf militärische Lieferungen zu überdenken und es damit eventuell anders zu halten. Das tun wir heute, und das ist gut und richtig so.
Zweitens, glaube ich, ist es richtig, nach Ruanda zu schauen; denn es gibt uns Hoffnung, nach Ruanda zu schauen. Nach dem Völkermord hat sich nämlich dieses Land trotz aller Zweifel stabil, sicher und wirtschaftlich erfolgreich entwickelt. Dort leben Hutu und Tutsi sehr wohl friedlich und in fröhlicher Eintracht zusammen.
Genau das ist es, was ich mir für den Irak wünsche. Trotz aller Konfliktlinien hat das Land nämlich allerbeste Voraussetzungen genau dafür. Es ist reich an Bodenschätzen, es ist kulturell reich, und es kann auf bestehende Strukturen zurückgreifen. Das Potenzial ist gewaltig. Selbst wenn der Irak kein klassisches Entwicklungsland ist, mit dem wir zusammenarbeiten, auch kein Partnerland, so können wir zumindest humanitäre Hilfe und Ähnliches zur Verfügung stellen. Die Frage ist nur, wie eine solche Hilfestellung aussieht, wie der Masterplan für eine stabile und friedliche Zukunft für den Irak aussehen kann. Es ist nicht einfach, darauf eine Antwort zu geben.
Der Irak hat ja in den letzten Jahren innere und äußere Konflikte austragen müssen. Schiiten und Sunniten haben um die Macht gerungen. Alle ausländischen Mächte, die Einfluss nehmen wollten, sind grandios gescheitert. Zugleich konnten die extremistischen Gruppen einen zu großen Einfluss gewinnen. Alle Akteure wissen jetzt, dass etwas getan werden muss. Das ist natürlich noch kein politisches Kapital im engeren Sinne, aber es ist eine Aussage. Daraus entsteht unter Umständen in Kürze eine Chance, und diese Chance müssen wir nutzen, obwohl es wahrscheinlich nicht einfach wird.
Die Voraussetzung dafür ist allerdings die Bereitschaft aller Akteure. Wenn ich sage „aller Akteure“, dann schließe ich ausdrücklich den Iran, Saudi-Arabien und Katar mit ein. Den notwendigen Rahmen kann eigentlich nur eine einzige Organisation bieten: Das sind die Vereinten Nationen. Die Vereinten Nationen verfügen über die nötige Akzeptanz und haben die Möglichkeiten, schwierige Prozesse in Gang zu setzen.
Das führt mich zwangsläufig zu der Frage, wie das Ergebnis eines solchen Prozesses aussehen könnte. Wir brauchen eine Gesamtstrategie für den Irak. Aber auch dabei sind noch viele Fragen offen. Aus entwicklungspolitischer Sicht stellt sich natürlich als Erstes die Frage nach Governance.
In diesem Zusammenhang fallen mir zwei Herausforderungen ein: zum einen die Begrenzung des Einflusses der Religionen auf Staat und Politik und zum anderen die Herstellung der politischen Machtbalance. In der Vergangenheit galt oft das Recht des Stärkeren, und damit verbunden war die Ausgrenzung einiger ethnischer oder religiöser Gruppierungen. Der Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten ist immanent. Macht zu teilen, das ist die Herausforderung der Zukunft.
Als Entwicklungspolitikerin weiß ich, dass es schwierig ist, von außen gefestigte Strukturen im positiven Sinne zu verändern oder auch nur darauf einzuwirken. Das gilt erst recht, wenn jemand, der aus dem Westen kommt, in einem muslimischen Land Entwicklungspolitik zu machen versucht. Ich denke in diesem Zusammenhang zum Beispiel an Themen wie „Rolle der Frau“ oder „Trennung von Staat und Religion“. Schnell unterliegt man nämlich dem Verdacht, man wolle sich offensiv in innere Angelegenheiten einmischen – jawohl, das will man sicherlich auch –; aber hier geht es darum, dass wir auch die Kultur und die Traditionen in unsere zukunftsorientierte Arbeit, in unsere Friedens- und Sicherheitspolitik mit einbeziehen. Wir haben dafür natürlich unsere Instrumente – ich verweise gerne auf unsere politischen Stiftungen –, wenn es um Arbeit, Bildung und Ausbildung geht. All diese Instrumente können wir sehr wohl benutzen, ohne dass uns das Instrument der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung steht.
Die letzten Wochen und Monate haben gezeigt, was passiert, wenn man ein Land wie den Irak nach einem militärischen Eingreifen sich selber überlässt. Das darf nicht sein; das kann nicht sein. Ich hoffe, wir machen aufgrund dieser Erfahrungen gemeinsam einen Lernprozess im Hinblick auf die Zukunft Afghanistans durch.
Wir dürfen das, was im Irak geschieht, nie wieder zulassen. Darüber hinaus hoffe ich, dass wir die kleine Chance mit den Instrumenten, die wir haben, nutzen. Mehr dürfen wir derzeit nicht hoffen, weil die Schwierigkeiten viel zu groß sind, wie ich Ihnen eben beschrieben habe. Ich glaube, dass wir auf dem Gebiet der Stabilisierung und der Befriedung des Irak erfolgreich sein können. Das ist die Aufgabe der Entwicklungspolitik. Wir wollen sie gerne erfüllen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3816890 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 48 |
Tagesordnungspunkt | Regierungserklärung Humanitäre Hilfe im Irak |