10.09.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 50 / Einzelplan 04

Bettina HagedornSPD - Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Nach 46 Jahren gibt es das erste Mal keine neuen Schulden auf Bundesebene. Das ist auch für meine Kinder und Enkel eine richtig gute Nachricht. Die Kehrseite der Medaille, sozusagen der Preis dafür ist aber – darüber wird im Moment öffentlich und auch in diesem Hause debattiert –, dass unser öffentliches Vermögen verrottet; so hat es manch einer überspitzt formuliert. Insofern ist das Ganze auch für meine Kinder und Enkel in der Tat eine zwiespältige Nachricht. Darum will ich mich mit diesem Thema hier näher beschäftigen; es berührt uns alle in der Tat zutiefst.

Es wäre volkswirtschaftlich verantwortungslos, wenn wir uns um das, was wir an öffentlicher Daseinsvorsorge haben, was in Deutschland einmal traditionell mit einem hohen Standard versehen und in einem guten Zustand war, nicht in dem Umfang kümmern würden, wie es erforderlich ist.

Auf dem gestrigen zweiten Welt-Infrastrukturgipfel hier in Berlin wurde moniert, dass wir bei der Qualität der Infrastruktur 2008 weltweit noch auf Platz drei lagen und aktuell auf Platz sieben abgerutscht sind. Das ist ein Trend, der uns nachdenklich machen muss.

Eine ganz besondere Rolle spielt in unserem Haushaltsentwurf der Etat von Herrn Dobrindt. Ich zitiere, was ein Landesverkehrsminister, den die meisten von uns noch als Kollegen kennen, nämlich Winfried Hermann von den Grünen, auf dem von mir gerade angesprochenen Infrastrukturgipfel forderte:

Gut gebrüllt, Löwe! 7,2 Milliarden Euro, das ist das Ergebnis der Beratungen der Bodewig-Kommission, das niemand hier im Hause ernsthaft anzweifeln will. Aber woher nehmen und nicht stehlen? Also, es wäre schon schön, wenn uns Vorschläge gemacht würden, wie diese 7,2 Milliarden Euro pro Jahr aufgebracht werden können.

Ein Blick in unseren Koalitionsvertrag lässt erkennen, wie wir dabei auf jeden Fall nicht vorgehen werden: Wir werden ganz bestimmt nicht neue Schulden machen; da sind wir uns einig. Wir sind uns auch einig – ich denke, darin sind wir uns auch mit Oppositionsabgeordneten in diesem Hause einig –, dass wir diese Summe schon gar nicht durch Umgehung der Schuldenbremse, die wir gemeinsam in die Verfassung geschrieben haben, bereitstellen. Das wäre ja Lug und Trug; das kann es nicht sein.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Herr Minister Dobrindt, unser Koalitionsvertrag enthält eine sehr kritische Formulierung zu PPP-Projekten; sie ist von Herrn Oppermann hier schon angesprochen worden. Dort ist eindeutig festgehalten, dass im Einzelfall nachgewiesen werden muss, dass PPP-Projekte wirtschaftlich günstiger sind als Projekte, bei denen die öffentliche Hand allein die Verantwortung trägt, etwa bei großen Verkehrsvorhaben. Darum gibt es in der Republik Auseinandersetzungen zwischen Ihnen, Herr Dobrindt, und dem Bundesrechnungshof; Sie selbst haben auf dem Infrastrukturgipfel darauf hingewiesen. Es tobt eine fröhliche Debatte.

Eines kann man, glaube ich, sagen: Von uns Koalitionspartnern wird diese Auseinandersetzung nicht als ideologischer Grabenkrieg geführt. Es geht nicht darum, ob man grundsätzlich dafür oder dagegen ist, sondern es geht darum, etwas möglich zu machen; aber es muss dann auch wirklich volkswirtschaftlich günstiger sein.

Der Wirtschaftsweise Bofinger hat es auf dem Infrastrukturgipfel gut formuliert – heute steht das übrigens in der Welt; ich zitiere –:

(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Besser als gar nichts“ ist Quatsch!)

Das, was er hier sagt, ist zutiefst richtig, und genau das sagt auch der Bundesrechnungshof, nämlich dass sich niemand so günstig verschulden kann wie der Staat.

Vor diesem Hintergrund will ich an dieser Stelle sagen, dass ich es gut finde, dass wir in der Koalition gemeinsam verabredet haben – es geht nicht nur darum, was wir alles nicht wollen, sondern wir wollen ja vor allen Dingen gemeinsam nach Lösungsmöglichkeiten suchen –, dass wir uns mit der Frage befassen – Sigmar Gabriel hat initiiert, dass es dazu in seinem Haus Expertenrunden gibt –: Wie kann man eigentlich das Vermögen von Menschen im Land nutzen? Thomas Oppermann hat darauf hingewiesen, dass Deutsche ihr Vermögen teilweise im Ausland investieren, und zwar in Projekte, die sehr zwiespältig sind. Warum suchen wir nicht lieber einen Weg, der es möglich macht, dass sie in die Infrastruktur hier in Deutschland investieren? Auf diesem Weg sind wir. Das finde ich ausdrücklich gut. Das Ganze ist ergebnisoffen.

Was ich aber hinzufügen will, ist: Wir sind uns einig, dass wir auf diese Art und Weise nicht privatisieren wollen, wie Herr Gysi uns heute Morgen unterstellen wollte; wir wollen die Infrastruktur im öffentlichen Eigentum behalten. Wir wollen die Verantwortung dafür nicht etwa abgeben; wir wollen nur ihren Erhalt intelligent möglich machen. Da ist besonders wichtig, dass wir für diese Güter der Daseinsvorsorge die politische und die demokratische Steuerung sowie die parlamentarische Kontrolle behalten, und das setzt Transparenz voraus. Das sind drei Schlüsselworte. Wenn die drei Schlüsselworte „Steuerung“, „Kontrolle durch das Parlament“ und „Transparenz“ eine Seite der Medaille sind, dann kriegen wir es gemeinsam mit Sicherheit hin, dass die „Mobilisierung von privatem Kapital“ die andere Seite der Medaille wird.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das ist ein spannender Prozess. Nur dann, wenn wir das miteinander hinkriegen, können meine Kinder und Enkel sagen: Super! Ihr macht nicht nur keine neuen Schulden mehr, sondern ihr sorgt auch dafür, dass das, was der Staat an Vermögen hat, nicht verrottet, sondern auch für die nächste Generation noch vorhanden ist. – Dann hätten wir den Praxistest ernsthaft bestanden.

Wenn wir darüber reden, dass wir für Verkehrsinvestitionen nicht genug Geld haben, dann müssen wir noch etwas in den Blick nehmen, und das ist die Einnahmesituation in Ihrem Haus, Herr Dobrindt. Da haben wir in der Vergangenheit durchaus Gutes gemacht. Wir haben in Deutschland nämlich die Lkw-Maut eingeführt. Bei dem Stichwort „Lkw-Maut“ haben manche gar nicht im Blick, wie viel Geld dadurch tatsächlich in Ihrem Etat ankommt, Herr Dobrindt, und damit in die Verkehrsinfrastruktur investiert werden kann. Das waren in den letzten fünf Jahren 22 Milliarden Euro – 22 Milliarden Euro!

Wir haben im Koalitionsvertrag verabredet, dass wir die Lkw-Maut auf alle Bundesstraßen ausweiten wollen. Das ist enorm wichtig. Ich glaube, durch diese Summe ist noch einmal deutlich geworden, dass wir hier nicht sozusagen über Peanuts reden. Um 2 Milliarden Euro, so schätzen wir, könnten wir damit Ihren Etat, Herr Dobrindt, à la longue, und zwar nachhaltig und auf Dauer, vergrößern: von round about 10 auf 12 Milliarden Euro. Das wäre natürlich eine richtig gute Sache. Darum will ich hier sagen: Diesen Weg müssen wir dringend weiterverfolgen.

Ich weiß, dass das Thema Maut öffentlich und in den Medien im Moment völlig anders besetzt ist; ich möchte davon auch keineswegs ablenken. Ich will nur sagen: Im Thema Lkw-Maut steckt, finanziell betrachtet, der wesentlich größere Betrag. Ich glaube, dass sich alle Deutschen – egal wie sie zur Pkw-Maut stehen – in einem Punkt einig sind: Es sind doch die großen Lkw, die unsere Straßen ganz erheblich kaputtmachen. Darum sollten wir diesen Weg gemeinsam gehen.

Damit Sie die Dimension erkennen: Aktuell wird auf 13 000 Kilometern Bundesfernstraßen für Lkw mit 12,5 Tonnen – zukünftig schon ab 7,5 Tonnen; die Gesetze werden kommen – Maut erhoben. Unser Ziel ist, dass auf 40 000 Kilometern Bundesfernstraßen Maut erhoben wird, also eine Verdreifachung. Man kann sich vorstellen, dass dadurch viel Geld eingenommen wird. Das ist auch angemessen; denn wir wissen, dass viele Lkw zum Leidwesen der Anwohner die Autobahn verlassen und dadurch verstärkt Straßen belasten, die dafür eigentlich nicht geeignet sind. Für die Leute, die dort wohnen, bedeutet das zusätzlichen Lärm und einen schlechteren Zustand der Straßen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

An dieser Stelle haben wir gemeinsam viel vor. Dass wir die Aufgabe, mehr Geld für die Verkehrsinfrastruktur zu bekommen, gemeinsam lösen, darauf setzen die Menschen in diesem Land große Hoffnung. Ich bin gespannt, inwieweit uns die Verwirklichung dieses hehren Ziels im Laufe der Haushaltsberatungen in den nächsten zwei Monaten gelingen wird.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das Wort hat der Kollege Harald Petzold für die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3851669
Wahlperiode 18
Sitzung 50
Tagesordnungspunkt Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt
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