10.09.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 50 / Einzelplan 09

Claudia Roth - Wirtschaft und Energie

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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist die Aufgabe der Opposition, sich dieses oder jenes herauszupicken, schwarzzumalen und zu prognostizieren, dass alles ganz schlimm wird. Es wäre nicht schlecht, wenn in diesem Hause dennoch zunächst die Zahlen und Fakten sprechen würden. Deutschland ist in einer sehr robusten wirtschaftlichen Situation. Wenn wir uns das Bruttoinlandsprodukt anschauen, dessen Steigerung wir nach wie vor mit 1,8 Prozent prognostizieren, und wenn wir uns den Arbeitsmarkt anschauen, dann kann man sagen: Trotz eines schwierigen europäischen und internationalen Umfelds stehen wir gut da.

In Richtung der Linken – Herr Ernst hat gleich Gelegenheit, zu diesem Thema zu sprechen – sage ich: Ein Blick auf den Osten ist ebenfalls interessant. Die große Lücke, die wir bisher bei der Entwicklung des Bruttoinlandsproduktes zwischen den westlichen und den östlichen Ländern gesehen haben und die der Durchschnitt eben nicht abbildet, hat sich geschlossen. Die starken ostdeutschen Länder haben beim BIP und beim BIP- Wachstum aufgeschlossen; sie haben sogar zum Teil die schwächeren westlichen Länder überholt. Schauen wir uns die Arbeitslosigkeit an. Sie beträgt im Durchschnitt in Deutschland 6,7 Prozent, in Ostdeutschland 9,4 Prozent, im Westen 6 Prozent. Angesichts dieser Zahlen kann nicht mehr regelmäßig die schlimme Nachricht verbreitet werden, dass die Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland doppelt so hoch ist. Das ist ein Erfolg der letzten Jahre, ein Erfolg der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, der Unternehmer und derjenigen, die die Ärmel hochgekrempelt haben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Schaut man sich die Konjunkturberichte des DIHK an, sieht man durchweg eine positive Resonanz bei den Unternehmen. Der ZDH hat eine Konjunkturumfrage durchgeführt. 86 Prozent der Handwerksbetriebe sind mit der Situation ihres Betriebes sehr zufrieden bzw. zufrieden. Das ist eine sehr gute Ausgangslage für die Zukunft. Das Wachstum, das auf das Handwerk entfällt, wird das Wachstum der allgemeinen Wirtschaft, des BIP, sogar um 2 Prozent übersteigen. Schaut man sich den Export an – er ist schon angesprochen worden –, stellt man fest: Wir haben die magische Grenze von 100 Milliarden Euro überschritten. Bei den Ausrüstungsinvestitionen ist ein leichter Anstieg zu verzeichnen. Das Auftragsvolumen der Industrie ist von Juni auf Juli dieses Jahres um 4,6 Prozent gestiegen. Insgesamt haben wir also eine sehr gute wirtschaftliche Lage.

Jetzt geht es darum, zu diagnostizieren: Wo sind die Gefahren? Wo sind die Herausforderungen? Ich will zunächst bei dem international schwierigsten Thema, nämlich bei den Brandherden auf dieser Welt, beginnen, und als Beispiel die Ukraine erwähnen. Die Sanktionen werden auch von der deutschen Wirtschaft, von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern als das richtige Instrument, als die richtige Antwort auf die katastrophalen Zustände und die katastrophale Politik Putins betrachtet.

Greifen wir den Maschinen- und Anlagenbau heraus. Hier beträgt das Umsatzvolumen 200 Milliarden Euro; 9 Milliarden Euro davon entfallen auf das Geschäft mit Russland. Es wird prognostiziert, dass dieser Anteil auf 4,5 Milliarden Euro sinken wird. Das entspricht einem Minus von 2 Prozent. Das ist nicht gravierend. Aber mit Blick auf Sie, Herr Wirtschaftsminister, und die Regierung sage ich: Ich finde, wir müssen jetzt intensiv darüber nachdenken, welche Antwort wir kurz- und mittelfristig geben, wenn Mittelständler oder auch große Unternehmen fragen: Wie können wir eine Entlastung erfahren? Wie können wir neue Märkte erschließen?

Da sind mir zwei Dinge wichtig. Der erste Punkt ist: Wir müssen die USA und insbesondere Afrika als neue Märkte erschließen. Meine Bitte ist, dass wir in der Zukunft darüber nachdenken, wie wir die Hermesbürgschaften so gestalten können, dass der Mittelstand dort insbesondere gegenüber den chinesischen Wettbewerbern Fuß fasst. Die Produkte müssen dort ihren Markt haben und ihre Käufer finden. Dazu braucht es eine intensive, eine intensivere Unterstützung durch die Bundesregierung in Form von Hermesbürgschaften.

Das zweite Thema – es wurde schon mehrfach angesprochen – betrifft das Freihandelsabkommen und die Öffnung der Märkte insbesondere gegenüber den USA. Darüber, dass wir keinen Investorenschutz brauchen, ist hinlänglich diskutiert worden. Dass wir unsere klaren Positionen haben – zur öffentlichen Daseinsvorsorge, zur Kultur, zu vielen anderen Fragen, auch was das Chlorhühnchen usw. angeht –, ist sattsam bekannt. Ich plädiere dafür, das, was den Mittelstand und die großen Unternehmen tatsächlich interessiert, möglichst schnell zu verhandeln und zum Abschluss zu bringen, nämlich die nichttarifären Handelshemmnisse. Wenn wir uns darauf beschränken und in einer ersten Etappe mit den USA hier möglichst schnell Boden gewinnen, können wir dem Mittelstand nachhaltig helfen.

Schauen wir ins Inland, stellen wir fest: Die Investitionsquote liegt auf einem bedenklichen Niveau. Sie beträgt nach wie vor 17 Prozent. Der OECD-Durchschnitt legt die Latte mit 20 Prozent wesentlich höher. Was müssen wir hier tun? Wir müssen uns anschauen: Wo werden die meisten Investitionen getätigt? 51 Prozent, also über die Hälfte, werden im Bereich der öffentlichen Hand getätigt. Darauf reagiert die Bundesregierung. Darauf werden auch wir als Bundestag mit der Verabschiedung dieses Haushalts reagieren. Es ist schon angesprochen worden: Die zusätzlichen 5 Milliarden Euro, die auf 10 Milliarden Euro per annum aufwachsen, werden helfen, die Investitionen anzukurbeln. Das ist die richtige Antwort auf diese Frage.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ein weiterer wichtiger Punkt, der in Zukunft auf der Agenda stehen wird, betrifft das Stichwort „Industrie 4.0“. Hier macht mir etwas Sorgen. Auch in der Rede von Frau Bundeskanzlerin kam, nachdem der Begriff „Industrie 4.0“ gefallen ist, sofort der Hinweis auf den IT-Gipfel. Uns in Deutschland muss es zusätzlich zu diesem Blickwinkel aber um etwas ganz anderes gehen. Wir müssen die Mittelständler, insbesondere im Maschinen- und Anlagenbau und im Automobilbau, in den Blick nehmen. Das ist nämlich kein Thema, das nur den IT-Bereich betrifft, sondern es ist ein Thema, das vorwiegend im Maschinen- und Anlagenbau und in der Automobilindustrie eine Rolle spielt.

Warum? Zum Ersten müssen wir uns darum kümmern, dass sich alle, in Kindergarten über die Hochschule bis zu den Facharbeitern, die sich nachqualifizieren müssen, auf diese neue Entwicklung einstellen. Zum Zweiten müssen wir bedenken, dass wir bei denIT-Instrumenten immer ein Stück hinter den Amerikanern herhinken werden. Wir können Leitmarkt, Leitanbieter für Industrie 4.0 werden, wenn wir uns insbesondere auf den Maschinenbau und die Automobilindustrie konzentrieren.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Heinz Riesenhuber [CDU/CSU])

Des Weiteren werden wir das ZIM-Programm um 30 Millionen Euro auf 443 Millionen Euro aufstocken. Der Plafonds für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ mit 600 Millionen Euro wird in den nächsten Jahren eine Steigerung erfahren. Wir werden Existenzgründungen fördern, beispielsweise durch die Freistellung von der Ertragsteuer. Oder denken Sie an die Mini-Mezzanine-Fonds, an das, was wir kleinen Start-ups, kleinen Unternehmen, kleinen Mittelständlern geben, damit sie sich entwickeln können. Auch hier gibt es einen Aufwuchs von 35 Millionen Euro auf 70 Millionen Euro. Das alles sind wichtige Instrumente, um deutlich zu machen: Sowohl die Wirtschaftskraft von nebenan, das Handwerk, als auch die Industrie werden in Deutschland gestärkt, damit sie europäisch und global wettbewerbsfähig bleiben, Arbeitsplätze schaffen und erhalten und hier im Land investieren. Denn das brauchen wir, damit das Wirtschaftswachstum auch in Zukunft stabil bleibt. Wir wollen diese Politik so fortsetzen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächster Redner in der Debatte ist Klaus Ernst für Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3851996
Wahlperiode 18
Sitzung 50
Tagesordnungspunkt Wirtschaft und Energie
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