Sonja SteffenSPD - Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! In diesen Tagen ist sehr viel von der neuen Dimension die Rede; das war ein Schlüsselwort in fast allen heutigen Debatten. Wir erleben Kriege und Katastrophen, die wir noch vor kurzer Zeit für undenkbar gehalten haben: Kriege in Europa und im Nahen und Mittleren Osten und eine Ebola-Seuche, die außer Kontrolle geraten ist. Wir haben große Probleme, die richtigen Worte für all diese Bedrohungen zu finden, und wählen deshalb so oft den Ausdruck „neue Dimension“.
Viele, auch hier im Deutschen Bundestag, meinen damit vor allem die neue Dimension in der Außen- und Sicherheitspolitik. Wir sprechen von Gegnern und Bündnissen, von Waffen und Boykotten. Von Entwicklungszusammenarbeit sprechen wir nicht oder allenfalls am Rande, und das ist falsch.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Die neue Dimension, von der wir hier so oft sprechen, gilt zuallererst für die Entwicklungszusammenarbeit.
Im Mittleren Osten, vor allem im Irak und in Syrien, aber auch im Südsudan und in der Zentralafrikanischen Republik sind Millionen Menschen auf der Flucht. Staatsministerin Özoguz hat heute Morgen die erschreckenden aktuellen Zahlen genannt. Man geht derzeit von 51 Millionen Flüchtlingen weltweit aus. Ihre oft einzige Hoffnung ist die Hoffnung auf Erste Hilfe von außen, Erste Hilfe auch von uns. Das ist ihre Hoffnung, vielleicht sogar ihre einzige Chance. Auch die von der Ebola-Seuche bedrohten Menschen in Westafrika setzen auf uns, auf unsere Erste Hilfe.
Wir müssen über diese Erste Hilfe hinausdenken. Nachhaltigkeit ist gefragt, Herr Minister; ich gebe Ihnen völlig recht. Wir müssen überlegen, was wir tun können, um Flüchtlingen langfristig zu helfen. Wir brauchen Programme, um Flüchtlinge wiedereinzugliedern. Auf lange Sicht müssen wir darangehen, Fluchtursachen wirksam zu bekämpfen. Deshalb bin ich sehr froh und dankbar, dass Sie im letzten Haushalt eine Sonderinitiative aufgelegt haben mit dem Titel „Fluchtursachen bekämpfen – Flüchtlinge reintegrieren“, eine, wie ich finde, richtig gute Initiative. Sie hilft den Ländern, die unter der Flüchtlingskrise besonders leiden, wie etwa Jordanien und dem Libanon.
Für 2015 sind Barmittel im Wert von 60 Millionen Euro geplant. Reicht das? Wenn ich Ihren Worten folge, muss ich sagen: Das reicht nicht; das ist nicht die richtige Antwort auf die neue Dimension, mit der wir es zu tun haben.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Johannes Selle [CDU/CSU] und Heike Hänsel [DIE LINKE])
Wer sich das Elend in diesen Ländern vor Augen führt, weiß: Deutschland muss mehr tun, wir müssen mehr tun. Vielleicht müssen wir auch umschichten. Klar muss sein: Flüchtlingshilfe hat Priorität.
„Eine Welt ohne Hunger“ lautet der Titel eines weiteren Programms, das der Minister auf den Weg gebracht hat. Der Name ist gut gewählt. Hunger ist und bleibt eine der größten Herausforderungen der Entwicklungszusammenarbeit. Die entscheidenden Fragen sind jedoch: Welchen Beitrag kann dieses Programm leisten? Wie viele Mittel stehen dafür bereit? Und vor allem: Wie und wohin werden die Mittel verteilt? Wir alle wünschen uns, dass wir bis 2030 das Ziel, das Sie genannt haben, erreichen, dass wir dann tatsächlich eine Welt ohne Hunger haben werden. Ich bin sehr gespannt, ob uns das gelingt. Auch für diese Initiative gilt: Wir müssen in langen Linien denken, wir müssen nachhaltige Lösungen finden, um den chronischen Mangel zu bekämpfen. Die Menschen müssen selbstständig werden, ihr Überleben aus eigener Kraft sichern können. Das ist hier die zweite Aufgabe, nach dem Bekämpfen der akuten Hungersnöte.
Meine Damen und Herren, in der letzten Woche habe ich Plan International in Hamburg besucht. Das Gespräch dort hat mich wirklich tief bewegt. Die Mitarbeiterinnen von Plan haben mir erzählt: Wo Ebola wütet, bricht das Leben zusammen. Ebola beherrscht den Alltag. Die Menschen arbeiten nicht mehr auf den Feldern. Schulen und öffentliche Einrichtungen sind geschlossen. Die Behörden versuchen, Ebola Herr zu werden, indem sie Slums räumen oder sogar einzäunen. Wir kennen die dramatischen Bilder in den Medien. Hilflosigkeit, Hoffnungslosigkeit und Angst sprechen aus den Gesichtern der Menschen.
Auch Helfer und Ärzte aus der Ersten Welt haben sich bereits angesteckt; Frau Hänsel hat darauf hingewiesen. Derzeit gibt es knapp 2 300 Todesopfer und viele weitere Ansteckungen. Erst heute wurde bekannt, dass sich erneut ein WHO-Arzt angesteckt hat. Diese Menschen riskieren ihr Leben, um den Hilfslosen zu helfen, und dafür gebührt ihnen großer Respekt.
(Beifall im ganzen Haus)
Wir müssen leider fürchten, dass sich Ebola weiter ausbreitet. In Worte fassen können wir die Katastrophe nicht; die Dimension ist einfach zu groß. Wir müssen die richtigen Antworten finden, Antworten, die der neuen Dimension, mit der wir es zu tun haben, gerecht werden.
Krankheiten und Hunger gehören traurigerweise immer zusammen. Wo Hunger herrscht, sind Krankheiten nicht weit. Sie lähmen die Zivilgesellschaft, hemmen und verhindern Entwicklung. Wir müssen die Faktoren, die Krankheiten auslösen, zurückdrängen. Entscheidend ist der Zugang zu Medikamenten. Entscheidend ist aber auch, dass wir möglichst viele Menschen erreichen, um Krankheiten durch Impfungen und weitere Präventionsmaßnahmen zu verhindern.
Gesundheitsversorgung und Vorbeugung sind Schlüsselthemen der Entwicklungszusammenarbeit. Hier geht es nicht nur um Ebola, sondern auch um viele andere Krankheiten, die gerade nicht im grellen Scheinwerferlicht der Medien stehen, deren Ausbruch jetzt jedoch durch Ebola wieder verstärkt wird: Tuberkulose, Polio, Aids, Malaria. Das alles sind gefährliche und oft tödliche Krankheiten, die bekämpft werden müssen, vor allem mit Impfprogrammen.
Herr Minister, 2015 ist für die Entwicklungszusammenarbeit in der Tat ein entscheidendes Jahr. Wie Sie wissen, richtet Deutschland 2015 die Konferenz zur Wiederauffüllung der Globalen Impfallianz, GAVI, aus. Impfen bedeutet, lebensbedrohliche Krankheiten zurückzudrängen und Leben zu retten, vor allem das Leben von Kindern. Die Bundesregierung sollte diese Konferenz nutzen und deutlich machen, wie sehr sie dieses Programm unterstützt.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Meine Redezeit ist fast zu Ende. Ich will aber noch ganz kurz erwähnen, dass auch ich persönlich den Bereich „Friedensdienst, private Träger, Kirchen und Stiftungen“ für sehr wichtig halte. Hier geht es nicht nur darum, dass wir die Kräfte der Zivilgesellschaft stärken. Für uns ist es auch wichtig, vor Ort von diesen Organisationen zu hören, wie die Situation tatsächlich ist; denn die Medien – kein Medium! – können die persönliche Anschauung hier nicht ersetzen.
Zuallerletzt kann ich nicht umhin, ein unerfreuliches Kapitel kurz anzusprechen, nämlich die ODA-Mittel und den ODA-Stufenplan. Wir hatten uns einmal verpflichtet, bis 2015 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für Entwicklungsleistungen einzusetzen. Hier können wir in der Tat nur verschämt feststellen: Wir haben das Ziel nicht erreicht; wir sind weit von den 0,7 Prozent entfernt.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt auch keinen Plan mehr!)
Meine Damen und Herren, ich habe anfangs von der neuen Dimension und von den neuen Bedrohungen gesprochen. Diese neue Dimension muss sich auch in unserem Etat abbilden.
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE])
Frau Steffen, ich möchte auch Sie bitten, zum Schluss zu kommen.
Ja. – Es muss sichtbar werden, dass wir unseren gerechten finanziellen Beitrag leisten, um Armut zu bekämpfen und eine nachhaltige Entwicklung in Gang zu setzen. Ich freue mich daher sehr auf die anstehenden Haushaltsberatungen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Als nächste Rednerin hat die Kollegin Anja Hajduk das Wort.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3852530 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 50 |
Tagesordnungspunkt | Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung |