10.09.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 50 / Einzelplan 23

Stefan RebmannSPD - Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestern und heute haben wir hier im Plenum mehrfach gehört, wie gelungen dieser Haushaltsentwurf ist, und wir haben gestern vom Kollegen Brinkhaus die neue mathematische Erkenntnis vernommen, dass bei 299 Milliarden Euro Einnahmen und bei 299 Milliarden Euro Ausgaben unter dem Strich null herauskommt. Wir haben auch diesmal beim Entwicklungshaushalt – wie auch beim letzten Entwicklungshaushalt, den wir erst vor kurzem beschlossen haben – die magische schwarze Null an Aufwuchs für den Etat nur ganz knapp verfehlt. Ich sage das hier ganz offen: Das lässt mich nicht frohlocken.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich habe es damals gesagt, und ich sage es auch heute wieder: Kaum ein Etat ist so sensibel wie der Entwicklungsetat. Hinter all den vergleichsweise geringen Summen stehen Schicksale von Menschen, Familien und ganzen Regionen. Ganz besonders deutlich wird das im Gesundheitsbereich.

Auf Dauer können wir es uns nicht leisten, gerade den Entwicklungshaushalt derart stiefmütterlich zu behandeln.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich sage übrigens ganz bewusst, dass wir es uns nicht leisten können. Denn jeder von uns hier weiß, dass Versäumnisse von heute die Rechnungen von morgen sind. Wenn wir nachhaltige Entwicklung wollen, müssen wir in Entwicklungszusammenarbeit investieren und auch mehr für den Bereich Gesundheit und Prävention tun.

Zum Beispiel die Ebola-Epidemie, mit der wir es heute zu tun haben und die ja nur wenige Flugstunden von uns entfernt grassiert, zeigt das ganz besonders.

Ich begrüße es schon sehr, wenn unser Minister die WHO mit mehr als 1 Million Euro im Kampf gegen Ebola unterstützt. Nur, das reicht nicht aus. Das ist nicht seine Schuld, denn er kann ja nur das ausgeben, was ihm im Etat zur Verfügung steht.

Dass der Entwicklungsetat aber so ist, wie er ist, ist auch eine Frage der Prioritätensetzung und der Wertigkeit der Entwicklungspolitik innerhalb des Gesamthaushalts.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Was wir brauchen, ist ein Haushalt, der es uns, der es den NGOs, den Stiftungen, den Entwicklungsorganisationen, den Entwicklungshelferinnen und -helfern vor Ort ermöglicht, in den Partnerländern ihre Arbeit zu tun. Was wir aber tatsächlich haben, ist eine Situation, in der wir zwar viel Gutes leisten können, in der wir aber auch auf viel Gutes verzichten müssen.

Ich finde, die Präsidentin von Ärzte ohne Grenzen hat es bei einer UN-Anhörung zu Ebola in der vergangenen Woche auf den Punkt gebracht. Ich zitiere:

Sie hat recht, denn die Folgen einer solchen Katastrophe sind sehr schnell nicht mehr kontrollierbar.

Im John-F.-Kennedy-Krankenhaus in Monrovia wurden Kranke aus Angst vor Ansteckung eingesperrt und vernachlässigt, bis einige Patienten im Krankenhaus nicht an Ebola gestorben sind, sondern verhungert sind.

(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das ist unglaublich!)

Aus dem gesamten betroffenen Gebiet wird immer wieder berichtet, wie Kranke von Verwandten versteckt werden. Sierra Leone will deshalb eine dreitägige Ausgangssperre verhängen, während der dann medizinische Teams nach Kranken suchen sollen. Viele von diesen Teams werden sehr wahrscheinlich nicht ordentlich ausgestattet sein, weil dort viel zu wenig Hilfsgüter ankommen.

Bei einer Inkubationszeit von 8 bis 21 Tagen wird das die Ausbreitung des Virus nicht verhindern. Im Gegenteil, es wird dazu führen, dass es zu einem Vertrauensverlust gegenüber den Helferinnen und Helfern kommt. Denn danach werden wieder Menschen erkranken, was ja aller Wahrscheinlichkeit nach auch der Fall ist.

Die Preise von Grundnahrungsmitteln sind bis zu 150 Prozent gestiegen, und das in einer Region, wo die Masse der Menschen quasi ihr komplettes Einkommen ausgeben muss, um sich zu ernähren. Die Vereinten Nationen warnen schon jetzt, dass in den kommenden Monaten über 1,3 Millionen Menschen, bedingt durch diese Epidemie, hungern werden. Das löst wieder Wanderungsbewegungen aus.

Es ist die traurige Wahrheit, aber das alles wäre zum Teil auch zu verhindern gewesen.

Wir sehen hier und heute, wie Menschen sterben und Familien zerstört werden. Wir sehen auch dabei zu, wie Erfolge in der Entwicklungspolitik, wie erfolgreiche Entwicklungsprojekte nachhaltig zerstört werden.

Ich sage aber auch: Unser Engagement in den armen und ärmsten Ländern ist sinnvoll, und wir haben auch Erfolge vorzuweisen, gerade im Bereich Gesundheit: Zum Beispiel wurden seit 2000 durch Impfungen 8,5 Million Poliofälle verhindert, und die Zahl der Neuerkrankungen ist um 95 Prozent zurückgegangen. Wenn wir an diesem Punkt so weiterkämpfen, können in den nächsten 20 Jahren allein in den Entwicklungsländern bis zu 50 Milliarden US-Dollar an Behandlungs- und Folgekosten gespart werden.

Ein solcher Erfolg wäre umso wichtiger, wenn man sich vor Augen führt, welch positive gesamtgesellschaftlichen und ökonomischen Folgen das haben kann. In den ärmsten Ländern der Welt gilt nämlich: Wer krankheitsbedingt ausfällt, kann nicht arbeiten, kann seine Familie nicht ernähren, kann seine Kinder nicht zur Schule schicken und vieles mehr nicht leisten. Dadurch werden Entwicklung, Lebenschancen und Perspektiven behindert oder gar verunmöglicht.

Auch deshalb ist unser Engagement im gesamten Gesundheitsbereich gerade bei Impfungen, bei Aufklärungskampagnen, beim Aufbau von Systemen für eine soziale Grundsicherung, bei der Erforschung von vernachlässigten Krankheiten so wichtig. Gesundheit ist die Grundvoraussetzung für eine funktionierende Volkswirtschaft und für menschliche Entwicklung.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir haben also nicht nur eine moralische, sondern auch eine politische Pflicht, erreichbare Ziele Wirklichkeit werden zu lassen. Das bedeutet, dass wir die Mittel für den gesamten Gesundheitsbereich, für die Forschung, für die Impfallianz GAVI, für den Global Fund zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria deutlich erhöhen müssen.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE])

600 000 Menschen sterben jährlich an Malaria. Das sich ausbreitende Dengue-Fieber hat in diesem Monat erstmals seit 70 Jahren wieder die Industrienation Japan erreicht, und zahlreich vernachlässigte Krankheiten behindern echte Entwicklung.

Was wir jetzt an dieser Stelle an Mitteln einsetzen, dürfen wir aber nicht an anderer Stelle einsparen. Mit einem Umbuchen von A nach B ist nichts gewonnen; damit verschieben wir nur Not und Elend und das Sterben zeitversetzt, buchhalterisch von A nach B – um es dann bei der nächsten Katastrophe von B nach C zu verschieben? Ich sage dazu Nein. Ich will eine nachhaltige und vorausschauende Entwicklungspolitik. Die ist mit diesem Haushaltsentwurf leider nur bedingt möglich.

(Beifall des Abg. Dr. Sascha Raabe [SPD])

Ich komme, meine Präsidentin, zum Schluss. Es ist schon mehr als traurig, dass wir nicht einmal 176 000 Euro für eine bereits im Aufbau befindliche Brustkarzinomklinik in Afghanistan zur Verfügung stellen können. Wir lassen die Frauen, die an Brustkrebs erkrankt sind, die zum Teil mit offenen Geschwüren leben müssen, allein. Diese 176 000 Euro haben wir angeblich nicht. Gleichzeitig wird aber der Etat für die Deutsch-Griechische Versammlung um 135 000 Euro erhöht. Ich finde, wir sollten darüber noch einmal nachdenken.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Wir haben ein ganzes Stück Arbeit vor uns.

Lieber Kollege, Sie müssen jetzt zum Schluss kommen.

Ja, ich komme zum Schluss. – Wir haben ein ganzes Stück Arbeit vor uns. Ich hoffe, dass der nicht überzogene politische Wille der Fachpolitiker in der Bereinigungsrunde der Haushaltspolitiker nicht der schwarzen Null oder einer Priorisierung der Entwicklungspolitik unter „ferner liefen“ zum Opfer fällt; denn dann werde ich diesem Haushalt nicht zustimmen können.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Jürgen Klimke [CDU/CSU])

Als nächster Redner hat der Kollege Volkmar Klein das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3852628
Wahlperiode 18
Sitzung 50
Tagesordnungspunkt Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
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