Detlef SeifCDU/CSU - Auswärtiges Amt
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Entwicklung in der Ukraine und das rücksichtslose Vorgehen Putins zeigen, dass Russland rote Linien überschreitet, dass Völkerrecht gebrochen wird – Entsendung von Söldnern, Soldaten und Waffen; wir haben bereits im Einzelnen darüber diskutiert. Die Anrainerstaaten Russlands sind wachgerüttelt. Sie machen sich ernsthaft Sorgen; sie sehen eine ernste Bedrohung.
Auch in Deutschland – gestern gab es dazu eine Onlineumfrage – macht sich ein Großteil der Bevölkerung Sorgen über die weitere Entwicklung, auch um Europa. Aber geht tatsächlich eine aktuelle Bedrohung von Russland aus, die uns, die NATO-Staaten, die EU-Staaten, betrifft? Steht die Besetzung von Estland, Lettland, Litauen unmittelbar bevor? Ist die Situation gar vergleichbar mit der in Ungarn 1956 oder in der Tschechoslowakei 1968?
Ganz eindeutig: nein. Putin steht zwar für Machtmissbrauch und Korruption, für Zentralismus, Verletzung der Menschenrechte, Gleichschaltung der Medien, politisch motivierte Gerichtsurteile und Bruch des Völkerrechts, es gibt aber keine Anzeichen dafür, dass Putin Staaten der Europäischen Union destabilisieren oder/und sie sogar besetzen will.
Die Annexion der Krim und die russischen Aktionen auf ukrainischem Staatsgebiet dienen vielmehr einem handfesten machtpolitischen Ziel: Russland will seinen territorialen Einflussbereich in der Region abstecken. Russland sieht natürlich eine hohe strategische, militärische Bedeutung der Krim – ein Militärstützpunkt für Schwarzes Meer und Mittelmeer. Diesen galt es aus russischer Sicht zu sichern. Russland will die Ukraine als Nachbar schwächen, um in der Region die Vormachtstellung zu bewahren.
Wenn es Putin aber tatsächlich darum ginge, Meter für Meter Gebiet zu erobern und zu halten, dann wäre der Friedensplan, der jetzt in der Ukraine in der Umsetzung ist, nicht nachzuvollziehen. Die russischen Kräfte– das wird beobachtet – ziehen sich zurück. Das wäre nicht nachzuvollziehen, wenn tatsächlich eine unmittelbare Bedrohung für Europa in Gänze bestünde. Niemand weiß aber, wie sich die russische Politik weiterentwickeln wird. Russland rüstet auf. Russland hat seine Nuklearfähigkeiten reaktiviert. Russland ist im Moment dabei, Waffen einzukaufen, zu modernisieren. Und Russland kann in der Zukunft gegebenenfalls, bei einer anderen Ausrichtung, gefährlich werden.
Die Bundeskanzlerin hat mit Blick auf die baltischen Staaten noch einmal deutlich die Beistandspflicht betont. Meine Damen und Herren, das ist nicht lediglich ein Papiertiger, eine Wiederholung der Vertragstexte des NATO- und des EU-Vertrages, nein. Wir sind zwar verpflichtet, Beistand zu leisten, aber alle Juristen sind sich einig: In den Verträgen ist keine konkrete Art der Verpflichtung, in welchem Umfang und wie man sich beteiligen muss, vorgeschrieben. Deshalb war die Botschaft der Bundeskanzlerin an dieser Stelle sehr wichtig.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Die Botschaft für uns lautet: Wir lassen keinen Partner im Stich. Im Notfall sind wir solidarisch und stehen alle gemeinsam beieinander. Aggression, Angriff und Bruch des Völkerrechtes darf es nicht geben. Wir werden uns alle mit allen Möglichkeiten und Fähigkeiten dagegen zur Wehr setzen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Meine Damen und Herren, wir haben die Bundeswehr bekanntlich neu ausgerichtet. Wir haben aber bis heute – der Kollege Schockenhoff hat es angedeutet – keine sicherheitspolitische Generaldebatte bzw. Strategiedebatte geführt. Gemeinsam mit dem Kollegen Roderich Kiesewetter – er ist heute auch anwesend – bin ich der Auffassung, dass wir gerade angesichts der aktuellen Entwicklung dringendst im Bundestag eine Strategiedebatte zu führen haben.
Erstens. Wie definiert Deutschland seine außen- und sicherheitspolitischen Aufgaben? Zweitens. Welche Zielrichtung folgt aus diesen außen- und sicherheitspolitischen Interessen Deutschlands? Drittens. Welche Regionen sind im Fokus? Viertens. Welche zivilen und militärischen Instrumente – die Kombination ist wichtig – wollen wir in unserer Planung einsetzen? Fünftens. Wie lässt sich in der Planung eine verstärkte Zusammenarbeit, Bündelung und Teilung der Aufgaben innerhalb des NATO-Bündnisses und innerhalb der gemeinsamen Ausrichtung der Europäischen Union effektiver und besser darstellen?
Führen wir die Strategiedebatte nicht, brauchen wir uns nicht zu wundern, dass wir in Zukunft eventuell sogenannten strategischen Schocks ausgesetzt werden wie in der Vergangenheit. Man hat innerhalb der Bundeswehr gewisse Entwicklungen für unwahrscheinlich gehalten und deshalb die Strategie der Bundeswehr nicht darauf ausgerichtet.
Konflikt- und Krisenmanagement kann weiterhin nur funktionieren, wenn die militärischen und zivilen Handlungsfelder umfassend miteinander vernetzt werden. Der Bundestag geht mit der Einrichtung des Unterausschusses im Auswärtigen Ausschuss für zivile Krisenprävention eindeutig in die richtige Richtung. Aber die bestmöglichen Ergebnisse können wir als Bundestag nur dann erzielen, wenn alle Bereiche, die damit zusammenhängen, miteinander vernetzt werden. Das sind Außen- und Innenpolitik, Verteidigung, Entwicklungszusammenarbeit, Wirtschaft, Recht und Europa bzw. die Europäische Union. Das sollten wir zügig angehen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Erst wenn wir die Strategiedebatte geführt haben, wird feststehen, welche Aufgaben die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik definiert und ob eine bessere Zusammenarbeit auf europäischer Ebene oder auf der Ebene des Bündnisses in Betracht kommt.
Wir alle haben natürlich die schwarze Null im Blick. Sie ist wichtig. Aber für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion – ich sehe Norbert Barthle, unseren haushaltspolitischen Sprecher – ist die innere und äußere Sicherheit nach wie vor eine Kernkompetenz. Sie ist unverzichtbar. Erst dann, wenn durch die Strategiedebatte feststeht, welche Aufgaben zu erfüllen sind, werden wir wissen, ob wir zusätzlichen finanziellen Bedarf haben. Wir dürfen auf keinen Fall zulasten der Sicherheit sparen.
Europa braucht eine Außenpolitik aus einem Guss. Die Europäische Union wird immer noch als außenpolitischer Zwerg wahrgenommen. Ich halte die Kritik in dieser Härte für überzeichnet. Aber eines ist doch klar: Die neue Kommission muss der neuen Hohen Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik in jedem Fall viel stärker als bisher die Kompetenz der Außenpolitik auf der Ebene der Europäischen Union einräumen und ihr diesen Stellenwert auch zugestehen. Es ist nicht in Ordnung, dass bereits im Vorfeld des Amtsantritts an der neuen Außenbeauftragten Federica Mogherini Kritik geübt wurde. Geben wir ihr doch eine Chance! Wir wünschen ihr wie auch dem Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker und dem gestern vorgestellten Team alles Gute und eine möglichst gute Arbeit für Europa und die Welt.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
Außenpolitik ist eines der wichtigsten Felder. Lassen Sie uns gemeinsam eine Außenpolitik für die Menschen betreiben.
In diesem Sinne vielen Dank. Arbeiten Sie mit an den besten Lösungen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, als letzter Redner in dieser Debatte hat der Kollege Alois Karl das Wort.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3855576 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 51 |
Tagesordnungspunkt | Auswärtiges Amt |