24.09.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 53 / Zusatzpunkt 1

Niema MovassatDIE LINKE - Vereinbarte Debatte zur Ebola-Epidemie

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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor kurzem sagte Außenminister Steinmeier, Deutschland sei Motor im Kampf gegen Ebola. Das muss aber ein Motor sein, bei dem einige Schrauben locker sitzen. Bis letzte Woche ist er gar nicht angesprungen. Viel Starthilfe war nötig. Und heute bewegt er sich immer noch im Schritttempo.

Viele Hilfsorganisationen weisen schon länger darauf hin, wie ernst die Lage in Westafrika ist, dass ganze Staaten wie Sierra Leone und Liberia vor dem Zusammenbruch stehen. Ärzte ohne Grenzen hat schon am 23. Juni das erste Mal davor gewarnt, dass die Lage außer Kontrolle zu geraten droht. Dennoch unternahm die Bundesregierung lange so gut wie nichts. Kollege Brand von der CDU/CSU, Vorsitzender des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe, hat recht, wenn er im Spiegel sagt:

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Deshalb ist nicht Eigenlob angebracht, sondern Selbstkritik.

(Beifall bei der LINKEN)

Als die Präsidentin Liberias letzte Woche ihren dramatischen Appell an Frau Merkel schrieb, hatte Deutschland bis dahin gerade einmal 2,7 Millionen Euro zugesagt. Die USA hatten da bereits über 140 Millionen Dollar bereitgestellt. Laut Weltgesundheitsorganisation hat den wertvollsten Beitrag zur Ebolabekämpfung das arme Kuba zugesagt, die Entsendung von 165 Ärzten und Pflegern. Deutschland aber, die viertgrößte Wirtschaftsnation der Welt, steht immer noch auf der Bremse.

Vor wenigen Tagen hat die Bundesregierung ihre konkreten Maßnahmen gegen die Ebolaepidemie vorgestellt. Ich lese einmal vor: Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe kann bei Bedarf kurzfristig umfangreiche medizinische Ausrüstung zur Verfügung stellen. Das THW wird sich nach Bedarf an der logistischen Unterstützung der Hilfsmaßnahmen beteiligen.

Liebe Bundesregierung, „bei Bedarf“ und „kann“ – in Westafrika tobt die größte Ebolaepidemie aller Zeiten. Über 2 800 Menschen sind schon gestorben. Die Helfer müssen Infizierte an den Türen der Krankenhäuser abweisen, weil es keine freien Betten mehr gibt. Pessimistische Schätzungen sprechen mittlerweile sogar von bis zu 1,4 Millionen Infizierten bis Januar 2015. Zudem droht eine Hungersnot.

Die Weltgesundheitsorganisation vergleicht die Lage mit dem Tsunami 2004 und dem Erdbeben in Haiti. Bei beiden Katastrophen gab es Hunderttausende Tote. Welche Bedarfsprüfung brauchen Sie noch? Worauf warten Sie? Handeln Sie endlich!

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir müssen aber auch über die grundlegenden Ursachen dieser humanitären Katastrophe sprechen. Dass die Lage in Sierra Leone, Guinea und Liberia dermaßen außer Kontrolle geraten konnte, hat auch mit politischen Fehlern Deutschlands zu tun;

(Lachen des Abg. Charles M. Huber [CDU/CSU])

denn auch deutsche Pharmaunternehmen forschen vor allem an profitträchtigen Medikamenten für reiche Industrieländer. Käme Ebola nicht nur in armen afrikanischen Staaten vor, es gäbe seit Jahren einen Impf- oder Wirkstoff gegen das Virus.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Nur 10 Prozent der globalen Forschungsausgaben beziehen sich auf Krankheiten, die 90 Prozent zur globalen Krankheitslast beitragen. Die Pharmabranche investiert doppelt so viel Geld in Marketing wie in Forschung. Gesundheit ist aber keine Ware. Wir dürfen die Erforschung von lebenswichtigen Medikamenten nicht allein der Privatwirtschaft überlassen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Zudem fördert Deutschland bis heute Privatisierungen im Gesundheitsbereich auch in Entwicklungsländern. Das erschwert aber den Aufbau funktionierender staatlicher Gesundheitssysteme. In Nigeria gab es Ebolafälle bereits in der Millionenstadt Lagos, wo eine Ausbreitung des Virus in den Slums eigentlich auf optimale Bedingungen trifft. Dennoch hat es sich dort bisher nicht weit verbreitet. Weshalb? Weil es in Nigeria ein wesentlich besseres staatliches Gesundheitssystem gibt als in Liberia und Sierra Leone. Deshalb: Schluss mit Privatisierungen im Gesundheitsbereich!

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es fehlt auch an Geld. Seit Jahren gibt es die Forderung von Nichtregierungsorganisationen, mehr Geld für globale Gesundheit auszugeben. 0,1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes sollen reiche Staaten dafür aufwenden. Die Ausgaben für globale Gesundheit betrugen seitens Deutschlands zuletzt aber nur 0,03 Prozent. Das ist selbst im europäischen Vergleich nur absolutes Mittelmaß.

Außerdem hat Deutschland seinen Finanzierungsbeitrag für die Weltgesundheitsorganisation WHO immer weiter zurückgefahren: von 33 Millionen Euro 2006 auf heute noch 24 Millionen Euro. Insgesamt hat die WHO in den letzten Jahren ein Fünftel ihrer Finanzmittel verloren. Die WHO hat deshalb für ganz Afrika nur noch drei Spezialisten für Epidemien im Einsatz. Die Zahl der Mitarbeiter für Notfälle in der Zentrale ist von 100 auf 34 geschrumpft. Wäre die WHO handlungsfähiger gewesen, hätte die Ebolaepidemie vielleicht rechtzeitig gestoppt werden können. Deutschland muss seinen WHO- Beitrag deutlich erhöhen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die jetzige Krise sagt aber auch einiges über die Prioritätensetzung der Bundesregierung aus. Seit Monaten hören wir vom Bundespräsidenten und von Regierungsmitgliedern viel über die gewachsene internationale deutsche Verantwortung. Dass Sie diese Verantwortung vor allem als militärische verstehen, zeigt sich nun wieder; denn jetzt, im historischen Fall einer im 21. Jahrhundert nur wenige Tausend Kilometer von Europa eskalierenden Seuche, hätten Sie die Gelegenheit gehabt, wahrhaft internationale Verantwortung zu übernehmen: massenhaft Menschenleben zu retten, ohne die Gefahr einzugehen, dabei Unschuldige zu töten.

Sie aber liefern lieber für 70 Millionen Euro Waffen in den Irak. Dort werden diese Jahrzehnte im Umlauf sein und Schaden anrichten. Für die Bekämpfung von Ebola haben Sie in den drei Monaten seit der ersten Katastrophenmeldung nicht einmal die Hälfte dieser Mittel bereitgestellt, und das auch erst nach langem Zögern. Bei den Waffenlieferungen ging alles ganz schnell.

(Beifall bei der LINKEN)

Solch eine Außenpolitik, die dem Militärischen den Vorrang vor dem Humanitären gibt, kann man nur noch als zynisch bezeichnen.

(Beifall bei der LINKEN – Thomas Stritzl [CDU/CSU]: Sind Sie sicher, dass Sie diese Rede so halten wollten?)

Nun ging ja der Aufruf an Bundeswehrangehörige, sich freiwillig für einen Hilfseinsatz zu melden. Aber wieso ging der Aufruf nur an Bundeswehrangehörige? Die Bundesregierung muss einen Aufruf an das gesamte in staatlichen Einrichtungen beschäftigte medizinische Personal richten; denn die Profis, die helfen können, sitzen in den Tropeninstituten. Es braucht schnell einsetzbares Personal; denn vor Ort gibt es zu wenig Ärzte und Pfleger.

Als die Seuche ausbrach, gab es für die 10 Millionen Einwohner Liberias und Sierra Leones gerade einmal 170 Ärzte. Wer sich freiwillig meldet, braucht klare und sichere Rahmenbedingungen. Eine zeitlich begrenzte Freistellung und finanzielle Anreize sind wichtig, um die nötigen Kräfte zu mobilisieren, aber auch die Gewährleistung, ausgeflogen zu werden, falls man sich ansteckt; denn unzählige Helfer haben sich beim Versuch, Leben zu retten, mit Ebola angesteckt und sind selbst gestorben.

Ich muss hier eine Selbstverständlichkeit deutlich sagen: Humanitäre Katastrophenhilfe ist nicht Aufgabe der Bundeswehr. Die Hilfsorganisation medico international hat vor kurzem erklärt, dass ziviles Personal leichter das Vertrauen der Bevölkerung gewinnt. Vertrauen ist ein ganz entscheidender Faktor bei einer Erkrankung wie Ebola, die die Menschen bisher nicht kennen und die so massiv Todesopfer fordert.

Es kann nicht sein, dass bei humanitären Katastrophen immer der Ruf nach dem Militär kommt. Soldaten sind keine humanitären Helfer.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir brauchen deshalb endlich zivile Krisenreaktionskräfte, die über ausreichende Ressourcen verfügen, um jederzeit überall auf der Welt helfen zu können: mit eigenen mobilen Krankenhäusern, medizinischem Personal, Flugzeugen, Schiffen, Helikoptern, Räumgeräten und allem, was sonst noch dazugehört.

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung von Frau Pfeiffer?

Ja, bitte schön.

Herr Kollege Movassat, ich habe nur eine kurze Frage: Meinen Sie nicht, dass es Ihnen, wenn Sie mit Ebola infiziert sind und dringend auf Hilfe warten, völlig egal ist, wer Ihnen hilft, ob das ein Bundeswehrsoldat ist oder ob er vielleicht aus einem Krankenhaus wie der Charité kommt? Mir persönlich wäre das, um ehrlich zu sein, ziemlich egal.

(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Ein Arzt wäre schon nicht schlecht, an und für sich! – Zuruf von der LINKEN: Ärzte wären schon besser!)

Frau Kollegin Pfeiffer, ich habe nichts dagegen gesagt, dass man den Aufruf in der Bundeswehr gestartet hat. Das habe ich nicht gesagt. Ich habe gesagt, es wäre richtig, den Aufruf an das gesamte medizinische Personal in allen staatlichen Einrichtungen zu richten. An sie müsste der Appell gerichtet werden. Dann habe ich gesagt, dass in der Abwägung ziviles Personal, wenn möglich, immer besser ist als militärisches. Ich habe die Frage beantwortet.

(Beifall bei der LINKEN)

Zu dem, was akut zu tun ist, hat die Linke in ihrem Entschließungsantrag viele Vorschläge gemacht. Am wichtigsten ist es derzeit, nach kubanischem Vorbild medizinisches Fachpersonal zu entsenden, außerdem Isolierstationen zu liefern und zu betreiben und die Finanzzusagen auf 100 Millionen Euro zu erhöhen.

Herr Kollege, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.

Ja. – Wenn die pessimistischen Prognosen stimmen sollten, stehen wir vor einer Seuche, wie es sie seit Jahrhunderten nicht gegeben hat. Der Präsident von Ärzte ohne Grenzen sagte heute, dass es nicht mehr um Wochen und Monate, sondern um Stunden und Tage geht. Ich appelliere daher an die Bundesregierung: Handeln Sie jetzt!

Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Danke, Herr Kollege Movassat. – Nächster Redner in der Debatte: der Parlamentarische Staatssekretär Thomas Silberhorn.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3905882
Wahlperiode 18
Sitzung 53
Tagesordnungspunkt Vereinbarte Debatte zur Ebola-Epidemie
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