Manuel SarrazinDIE GRÜNEN - Europäische Bankenunion
Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst nachträglich herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag an Bundesminister Schäuble. Ich glaube, Ihnen auch zur Ausgestaltung der Bankenunion zu gratulieren, ist vielleicht richtig; Sie sind schon ein echter Europäer. Aber Ihnen dazu zu gratulieren, dass Sie den größten Anteil an der am Ende inhaltlich viel besser gewordenen Ausgestaltung hatten, das wäre zu viel des Lobes. Sie haben bei diesem wichtigen Thema lange Zeit zu bremsen versucht und allein darauf gedrungen, dass wir jetzt unter anderem einen Gesetzentwurf vorliegen haben, um eine völkerrechtliche Vereinbarung zur Ausgestaltung der Bankenunion, des Abwicklungsfonds und des Abwicklungsmechanismus zu ratifizieren.
Das haben Sie durchgesetzt mit einer Interpretation des Gemeinschaftsrechts, die exklusiv Sie hatten. Sie haben diesen Weg gewählt, um die Abgeordneten des Europäischen Parlaments, die in diesem Fall durchgesetzt haben, dass nationale Bankenrettungsinteressen nicht mehr Vorrang haben können vor europäischen Interessen, auch Gläubiger zu beteiligen, in den Verhandlungen zu negieren. Das ist Ihnen nicht gelungen. Die europäischen Abgeordneten haben Ihnen mehr abverhandelt, als Sie wollten, und, ganz nebenbei, mehr als die 27 anderen Finanzminister. Von daher gratuliere ich Ihnen, Herr Minister, zum Geburtstag, und ich gratuliere unseren Kollegen im Europäischen Parlament dazu, dass heute im Bundestag damit begonnen wird, etwas durchzusetzen, an dem sie einen wichtigen Anteil hatten.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Das Prinzip ist doch eigentlich ziemlich logisch: Wir brauchen die Bankenunion auch, um die wirtschaftliche Erholung in den Ländern, in denen die Krise besonders schlimm zugeschlagen hat, voranzubringen. Wenn vor allem kleine und mittelständische Unternehmen nicht mehr Zugang zu den Finanzmärkten haben, nicht mehr Kredite verlängern können, dann werden Menschen arbeitslos. In Portugal sind 90 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Betrieben beschäftigt, in denen weniger als neun Menschen arbeiten. Gerade diese Betriebe haben jetzt Probleme, an Kapital zu kommen. Das führt dazu, dass Menschen nicht mehr in Arbeit, nicht mehr in Ausbildung kommen. Deswegen ist die Bankenunion richtig.
Aber eine Lehre aus der Krise muss doch auch sein, dass wir starke gemeinsame europäische Institutionen brauchen, die unter Berücksichtigung nationaler Interessen, aber eben auch unter Berücksichtigung des europäischen Interesses entscheiden. Hier musste das Europäische Parlament Ihnen abverhandeln, dass nicht die Nationalstaaten – vor allem Deutschland und Frankreich – etwas verhindern können, was im europäischen Interesse wäre. Deswegen sind wir mit dem Verhandlungsergebnis zur Bankenunion ganz zufrieden.
Man muss aber sagen, dass das Verfahren im Hinblick auf diesen völkerrechtlichen Vertrag genau diesem Interesse in zweierlei Hinsicht massiv schadet:
Erstens. Es ist unserer Meinung nach ein klares Rechtsprinzip, dass dort, wo eine europäische Kompetenz vorliegt, diese auch genutzt werden muss. Man kann nicht in einem Bereich, wo ein Mitentscheidungsrecht des Europäischen Parlaments vorliegt, eine völkerrechtliche Vereinbarung schließen – das wäre das allererste Mal –, auf die das Europäische Parlament im offiziellen Verfahren keinen Einfluss mehr hat. Das ist ein Präzedenzfall, der, wenn dies Schule macht, zu einer Erosion der demokratischen Verfasstheit der Europäischen Union beitragen kann. Denn man könnte sich darauf berufen: Einmal ging das, jetzt geht das immer.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Zweitens. Mit dieser komischen Konstruktion machen Sie die Bankenunion auch nicht rechtssicherer. Zumindest wir sind davon überzeugt, dass die antieuropäischen Kläger aus Linkspartei und AfD und der Kollege Gauweiler – der in dieser Hinsicht meistens die klügsten Angriffspunkte findet; inhaltlich hat er jedoch unrecht – genau auf diesen Punkt rekurrieren werden. Wir hätten uns gewünscht, dass Sie den Mut hätten, durch eine ordentliche europäische Lösung und durch Bestätigung der europäischen Kompetenz – beispielsweise durch eine Stellungnahme des Deutschen Bundestages, wie wir sie eingebracht haben – die Zweifel, die vielleicht in Karlsruhe an der Legitimation aus Deutschland vorliegen könnten, auszuräumen, statt einen Präzedenzfall zu schaffen, der dafür sorgt, dass das Europäische Parlament in Zukunft umgangen werden kann, wenn man das möchte.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich möchte eines hinzufügen: Ich persönlich habe beim Thema „direkte Bankenrekapitalisierung“ oftmals eine Meinung vertreten, die auch die SPD angegriffen hat. Ich glaube, dass wir einen Backstop brauchen, und ich finde, man muss immer wieder offen darüber reden, ob man ein solches Instrument vielleicht braucht. Deswegen haben wir Grüne auch offene Diskussionen darüber geführt.
Ehrlich gesagt, haben wir mit der Bankenunion eine Entwicklung, bei der wir uns fragen: Warum integriert man diesen Backstop jetzt nicht in die Struktur der Bankenunion? Warum sorgt man für eine neue Struktur? Warum gibt man jetzt dem ESM eine solche Kompetenz, anstatt zu sagen: „Bis das Geld vorhanden ist, organisieren wir den Backstop über eine Kreditlinie im ESM für den Bankenabwicklungsfonds bzw. den Bankenabwicklungsmechanismus, um so nicht wieder einen Wald von Regeln zu schaffen, den am Ende keiner mehr versteht, sondern um das gemeinsame europäische Haus zu vollenden und an dieser Stelle gut genug auszustatten“?
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Die Kollegin Antje Tillmann erhält nun das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3907356 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 54 |
Tagesordnungspunkt | Europäische Bankenunion |