Lothar BindingSPD - Europäische Bankenunion
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch von mir ein paar Worte zu Sahra Wagenknecht. Sie haben gesagt: Im ESM wird das Geld verbrannt, das hier für die Infrastruktur gebraucht wird. – Das hat uns natürlich aufmerken lassen; denn der ESM ist ja ein europäisches Konzept. In ihm ist übrigens nicht nur deutsches Geld, sondern auch das Geld vieler anderer Länder enthalten. Ihre Formulierung – das Geld, das hier gebraucht wird – deutet in einer gewissen Weise auf Deutschland hin und hat uns, wie gesagt, hellhörig gemacht.
Ich möchte einen komplexen, volkswirtschaftlichen Zusammenhang anhand eines Beispiels quantifiziert darstellen, und zwar so einfach, dass man ihn gut verstehen kann –
(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD)
dies zeigt auch die Schnittstelle zwischen der AfD und der Linken, die immer mit der Vorstellung kommen, dass wir der größte Nettozahler sind und unser Geld in Europa verlieren –: 1 Euro fließt nach Europa. Dann kommt er in Brüssel an und ist weg. Jetzt kann man natürlich an dieser Stelle aufhören, zu denken. Aber wir denken heute ausnahmsweise einmal weiter.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Die Spanier bekommen diesen Euro nur, wenn sie einen zweiten Euro hinzufügen. Mit diesen beiden Euros kaufen die Spanier in Deutschland eine Straßenbaumaschine.
(Dr. Sahra Wagenknecht [DIE LINKE]: Ich habe über Bankenrettung geredet und nicht über Investitionen!)
Beim Kauf dieser Maschine wird der eine Euro für das Material ausgegeben und der andere Euro für die Löhne. Die Arbeitnehmer fahren dann mit diesen Löhnen nach Spanien in Urlaub. Jetzt merkt man plötzlich, wie sich ein Geldkreislauf schließt.
(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Wir kritisieren ja, dass die Banken wirtschaftlich gar nicht angebunden sind!)
Wenn man solche Sätze, wie Sie es getan haben, formuliert, muss man also immer schauen, dass man nicht einem Irrtum aufsitzt, weil sich, wenn man in einem runden Modell nur weit genug nach rechts oder nach links geht,
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Oder nach Spanien!)
die Methoden verdächtig nahekommen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Man muss sehr aufpassen, wenn man solche Sätze formuliert.
Schauen wir einmal vorsichtig, ob wir uns trotzdem annähern können, wenn wir eine gewisse Rationalität walten lassen. Sie wollen ja nicht, dass das Geld verbrannt wird, obwohl Sie noch gar nicht erklärt haben, was das eigentlich bedeutet: Wer hat das Geld, wenn es irgendwo verschwindet? Irgendjemand hat es ja.
Wir wollen, dass in der allergrößten Not zunächst einmal die Aktionäre, die auf eine Dividende gehofft haben, verantwortlich sind. Wären wir uns da einig? Die Aktionäre sollen zahlen. Diese sind ja tendenziell ohnehin die Bösen. Sie zahlen zuerst. Dann kommen die Gläubiger – vorrangige und nachrangige –, die auch auf Gewinne gehofft haben. Auf der Grundlage einer solchen Haftungskaskade ist also klar, wer welche Verantwortung trägt. Wahrscheinlich wären wir da auch noch einig. Dann kommen die Anleger mit Einlagen über 100 000 Euro. Das sind die, von denen wir wähnen, dass sie starke Schultern haben und ein solches Risiko eher tragen können als die, die vielleicht ihren Spargroschen abgegeben haben. Dann kommt der Bankenhaftungsfonds, bei dem es uns ganz wichtig war, dass er von den Banken gespeist wird. Ihr Zwischenruf lautete: Ja, wenn er denn mal voll ist! – Das stimmt. Er soll 55 Milliarden Euro umfassen. Das wird eine Weile dauern. Aber zumindest sind die Banken verantwortlich dafür, 55 Milliarden Euro einzuzahlen. 55 Milliarden Euro sind ja immerhin mehr als nichts. Dann kommen die Länder, und irgendwann kommt der ESM ins Spiel.
Sie sagen: Dort wird unser Geld verbrannt. Das sollen nicht die Steuerzahler übernehmen. Meine Frage: Was schlagen Sie vor? Wer soll dieses Risiko tragen? – Sie gestikulieren; das ist aber die falsche Bewegung. Sie müssen sich fragen: Wer?
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Wessen Geld will Frau Wagenknecht in dieser größten Not einsetzen? Sie sagen: Ich weiß nicht, wer es bezahlen soll, aber jedenfalls nicht der Steuerzahler.
Jetzt frage ich einmal ganz ehrlich: Wer, wenn wir nicht den Steuerzahler meinen, soll das in letzter Konsequenz zahlen? Wer ist denn dann gemeint? Vielleicht der Sparer, dessen Geld noch im System ist? Vielleicht die Versicherung, die der Bank ihr Geld zum Anlegen gegeben hat? Die Versicherung bekommt das Geld ja von den Versicherungsnehmern. Ich rede immerhin von 1 400 Milliarden Euro. Oder vielleicht derjenige, der sein Geld, das sich jetzt noch im Bankensystem findet, zur Altersvorsorge angelegt hat? Würden die dann bezahlen? Wollen Sie mir den Unterschied zwischen Steuerzahler und Sparer noch erklären? Das wird eine komplizierte Angelegenheit.
Kollege Binding, darf die Kollegin Wagenknecht Ihnen eine Zwischenfrage stellen?
Ja, darf sie.
(Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nur mit der richtigen Handbewegung!)
– Nur wenn die richtige Handbewegung gemacht wird; das ist klar.
Handbewegungen werden hier ja etwas seltsam gedeutet. – Bevor ich die Frage stelle, sage ich noch etwas zu Ihrem Eingangsstatement. Sie haben gesagt: Das Geld wird ja nicht verbrannt, sondern damit kaufen Spanier Maschinen. – Sie sollten wissen: Wenn der ESM Banken rekapitalisiert, ob in Spanien oder irgendwo sonst, dann werden damit Altlasten oder Spekulationsverluste abgedeckt, aber kein einziger Kredit für irgendeine Maschine bereitgestellt. Das wollte ich zunächst einmal festhalten.
(Beifall bei der LINKEN)
Zweitens. Wenn Sie fragen: „Wer soll es denn bezahlen?“, dann muss ich sagen, dass das eine absurde Frage ist. Wenn ein kleiner Handwerksbetrieb oder ein Mittelständler pleitegeht, wer zahlt denn dann? Zahlt dann der Staat? Natürlich zahlt nicht der Staat, sondern es zahlen die Eigentümer und die Gläubiger, und zwar nicht gedeckelt auf 8 Prozent, sondern mit dem gesamten Volumen, das da ist.
Das Kernproblem ist ja – daran knüpft auch meine Frage an, ob wir da auf einen gemeinsamen Nenner kommen –: Solange man den Banken erlaubt, weiter so zu spekulieren, wie sie es derzeit tun, wird sich nichts ändern. Ich erinnere daran, dass allein die Deutsche Bank – wir reden ja nicht nur über spanische Banken, sondern auch über deutsche – mit einer Bilanzsumme von etwa 2 000 Milliarden Euro und einem Eigenkapital von 50 Milliarden Euro Derivate mit einem Nominalvolumen von 55 000 Milliarden Euro in den Büchern hat.
(Dagmar Ziegler [SPD]: Aber die Frage kommt noch?)
Diese sind natürlich nicht ausgewiesen, aber man kann das trotzdem berechnen. Also, mit 50 Milliarden Euro Eigenkapital wird ein riesiges Rad gedreht, in dem Derivate von 55 000 Milliarden Euro enthalten sind. Banken, die solche absurden Geschäfte machen, haben natürlich ein allgemeingefährliches Potenzial. Wenn Sie sagen, dafür haften dann die Eigentümer und die Gläubiger nicht, dann sollten Sie sich endlich einmal dafür einsetzen, dass diese Regierung das Trennbankensystem nicht weiter aufweicht, sondern dass man die Banken verpflichtet, so viel Eigenkapital vorzuhalten, dass sie für ihre Risiken selber haften können. Da wäre das Geld, da ist die Verantwortung, da ist die Haftung – das ist normale Marktwirtschaft. Alles andere, was Sie erzählen, ist Unsinn.
(Beifall bei der LINKEN)
Es ist immer klug, wenn man nur Vergleichbares miteinander vergleicht. Eine Insolvenz ist natürlich eine Insolvenz. Aber die Insolvenz eines kleinen Handwerkers und die Insolvenz einer Bank sind eben nicht vergleichbar, weil der Handwerker ja keiner ist, der als Geldsammelstelle, als Dienstleister fungiert, dieses Geld klug oder dumm anzulegen. Hier handelt es sich um eine völlig andere Struktur. Die sind gar nicht miteinander vergleichbar.
Sie haben gesagt: Der Handwerker trägt das Risiko. – Wer trägt denn bei der Bank das Risiko? Der Bankvorstand? – Nein. Der Bankvorstand kann das Risiko doch gar nicht tragen, wenn er auch noch so viel verdient. Das Risiko tragen die Einleger, die Sparer, letztlich alle die, die ihr Geld der Bank geben. Die werden es verlieren. Deshalb ist es klug, sich darum zu kümmern, dass das in dieser Weise nicht passiert, dass wir eine geordnete Haftungskaskade haben und dass der Bürger, der Sparer, der Steuerzahler zuallerletzt kommt. Alle die, die sich von dieser Bank Gewinne versprochen haben, sollen dann auch das Risiko tragen. So gehören Haftung und Risiko zusammen.
Gleichwohl will ich Ihnen konzedieren, dass wir natürlich regulieren müssen. Wir haben in der Regulierung auch Fehler gemacht. Es ist auch noch nicht alles reguliert. Ich würde sogar sagen, Bankenregulierung ist ein andauernder Prozess, vielleicht sogar ein Prozess, in dem man permanent dazulernen muss. Aber dieser Aufgabe müssen wir uns stellen. Deshalb ist es wichtig, zu sagen, was man will, und nicht nur zu sagen, was man nicht will. Diesen Schritt haben Sie leider noch nicht gehen können, aber ich denke, wir sind gemeinsam auf einem guten Weg, oder?
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr wolltet ja einmal ein Trennbankensystem! Ist das noch aktuell?)
Wenn wir ganz ehrlich sind, glaube ich, müssen wir sagen, dass vor zwei Jahren keiner von uns gedacht hätte, dass wir mit unserer Regulierung so weit kommen würden. Auch diese Regulierung, auch dieser Abwicklungsmechanismus, ist noch nicht perfekt. Das ist völlig klar. Gerhard Schick hat doch einen ganz guten Vorschlag gemacht, den man sogar hätte verfolgen können. Aber er hat ihn gemacht, ohne die Franzosen zu fragen, ohne die Italiener zu fragen, ohne die Spanier zu fragen. Die sind nicht dieser Meinung, dass wir das machen können. Wenn man aber in Europa etwas machen will, ist man leider darauf angewiesen, dass andere mittun. Das ist im Moment noch nicht so weit, aber wir können gemeinsam – auch parlamentarisch – die anderen Länder überzeugen. Dann könnten wir vielleicht eines Tages diesen Weg gehen.
Vor zehn Jahren hätte ich mir auch nicht vorstellen können, dass wir so weit gehen müssen. Ich glaube, die meisten, die hier sitzen, müssen sich eingestehen, wenn sie ehrlich reflektieren, was vor zehn Jahren war, dass keiner eine Vorstellung von der Dimension dessen hatte, was heute passiert und passieren muss.
Wenn wir heute über die Banken reden, reden wir eigentlich über eine Funktion, die letztlich der Realwirtschaft dient. Manfred Zöllmer und Carsten Schneider haben darauf hingewiesen: Eigentlich geht es darum, dass die Menschen in Europa wieder Arbeit finden, dass wir wieder investieren, und zwar nicht nur in Deutschland, sondern eben in ganz Europa. Wenn man mit Amerikanern spricht, dann hört man, dass die eine ganz andere Erwartung an Deutschland haben. Die sagen auch: Ihr müsst mehr investieren. Ihr mit eurer Schuldenpanik, das ist ein schwerer Fehler. Es kommt sofort das Wort „Austerität“. Sie sagen: Das ist die falsche Richtung. – Ich meine auch, dass das die falsche Richtung ist. Also, da müssen wir sicherlich noch sehr viel mehr überlegen.
Gleichwohl: Mit dem, was wir heute machen, um das Bankensystem zu retten, schaffen wir etwas Wichtiges für den Erhalt der Dienstleistungsfunktion der Banken, der Realwirtschaft zu dienen und letztlich auch das Einkommen der Familien zu sichern; denn ohne Arbeit kein Einkommen, ohne Einkommen keine Binnennachfrage, ohne Binnennachfrage keine Wirtschaftsdynamik. Vom Export können wir nur so lange leben, wie diejenigen, die importieren, unsere Nachbarn, reich genug sind.
Also, wir merken: Es ist immer der gesamte Kreislauf in den Blick zu nehmen. Deshalb ist es wichtig, dass wir hier sehr viel mehr machen. Deshalb wollen wir einen funktionierenden Bankensektor. Wir wollen so weit gehen, dass wir nicht nur eine Aufsicht haben; denn das Aufsichtsregime allein ist ohne Abwicklungsregime ein stumpfes Schwert. Über dieses Abwicklungsregime reden wir heute. Da sind wir mit dem jetzt vorgeschlagenen Modell und der Haftungskaskade auf einem sehr guten Weg. Ich bin gespannt, ob wir in zwei Jahren sagen können: Wir haben ein seriöses Bankensystem und eine prosperierende Wirtschaft.
Schönen Dank.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Das Wort erhält nun der Kollege Norbert Barthle für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
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Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 54 |
Tagesordnungspunkt | Europäische Bankenunion |