25.09.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 54 / Tagesordnungspunkt 5 + ZP 4

Heiko Maas - Änderung des Strafgesetzbuches - Sexualstrafrecht

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Dezember 2012 musste das OLG Koblenz einen Lehrer, der eine 14-jährige Schülerin verführt hatte, vom Vorwurf des Missbrauchs von Schutzbefohlenen freisprechen. Er hatte sich gezielt an das Mädchen herangemacht und es über fünf Monate zum Sex gedrängt. Trotzdem: Der Mann konnte nicht verurteilt werden. Der Grund: Er unterrichtete in der Klasse des Mädchens nicht regelmäßig, sondern er war nur Vertretungslehrer. Deshalb bestand kein sogenanntes Obhutsverhältnis zu der Neuntklässlerin. Diese Schutzlücke wollen wir heute mit diesem Gesetz schließen. Niemand soll seine Vertrauensstellung ungestraft missbrauchen dürfen, egal ob er Klassenlehrer ist oder nur vertretungsweise unterrichtet. Das wird durch dieses Gesetz jetzt auch gewährleistet.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Wir verlängern des Weiteren die Verjährungsfristen beim sexuellen Missbrauch. Denken Sie an die Vorwürfe, die im Zusammenhang mit der Odenwaldschule oder auch kirchlichen Organisationen bekannt geworden sind. Ein Großteil der Taten war und ist bereits verjährt. Wir wissen heute von den Opfern, dass diese ihr Leid verdrängen, um überhaupt ein normales Leben führen zu können.

Opfer brauchen Zeit – oftmals sehr viel Zeit –, um den Mut zu fassen, sich zu äußern. In Zukunft soll deshalb die Verjährung erst mit dem 30. Lebensjahr des Opfers beginnen. Bei schweren Missbrauchsfällen tritt die Verjährung erst mit dem 50. Lebensjahr des Opfers ein. Täter dürfen nicht länger davon profitieren, dass die grausamen Folgen ihrer Tat, nämlich die Traumatisierung der Opfer, die Täter auch noch vor Strafverfolgung schützen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Wichtig ist bei diesem Gesetzentwurf auch, dass wir den Katalog der Auslandsstraftaten erweitern. Wenn ein Deutscher, der in Thailand lebt, dort einen sexuellen Missbrauch begeht, was leider noch viel zu häufig der Fall ist, dann kommt es für die Strafbarkeit nach deutschem Recht in einigen Fällen darauf an, ob das Opfer seine Lebensgrundlage in Deutschland hat oder nicht. Das Unrecht einer solchen Tat hängt aber ganz sicher nicht davon ab, ob ein Kind die deutsche Staatsbürgerschaft hat oder nicht. Der Missbrauch eines jeden Kindes durch einen Deutschen muss bestraft werden. Die bisher geltende Regelung werden wir jetzt ändern.

(Beifall im ganzen Hause)

Wir schützen zukünftig insbesondere Kinder davor, dass von ihnen Nacktbilder, zum Beispiel im Internet, verbreitet werden. Niemand soll in Zukunft ungestraft mit den nackten Körpern von Kindern Geschäfte machen können. Bislang waren nur Bilder strafbar, die Kinder in unnatürlicher, geschlechtsbetonter Haltung zeigten, die sogenannten Posingbilder. Diese Strafvorschriften werden seit vielen Jahren von Pädophilennetzwerken gezielt umgangen. Es gibt mittlerweile ganze Magazine und Internetseiten, die diese Schutzlücke ganz gezielt ausnutzen. Es werden dann Nacktbilder von Kindern verbreitet und gehandelt, die scheinbar keinen sexuellen Bezug haben. Auch das ist, finde ich, strafwürdig. Mit den nackten Körpern von Kindern sollen nicht mehr ungestraft Geschäfte gemacht werden. Deshalb werden wir diese Schutzlücke ebenso schließen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Eine weitere Schutzlücke, die wir mit diesem Gesetz schließen, ist die beim Cybermobbing. Welch schreckliche Konsequenzen so etwas haben kann, zeigt das Beispiel eines jungen Mädchens namens Amanda. Sie war zwölf Jahre alt, als ein peinliches Foto von ihr entstand, das sie halbnackt zeigte. Es wurde im Internet verbreitet und war Anlass für jahrelanges Cybermobbing durch ihre Mitschüler. Es folgten Schulwechsel, Selbstverletzungen und ein gescheiterter Suizidversuch. Ende 2012, im Alter von 15 Jahren, gelang es Amanda, sich das Leben zu nehmen. Solche Schicksale dürfen uns nicht gleichgültig lassen. Mit diesem Gesetz sorgen wir auch dafür, dass gegen Cybermobbing besser vorgegangen werden kann. Das ist alles andere als ein Kavaliersdelikt.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will aber auch ganz klar sagen, dass viele Befürchtungen, die in den letzten Tagen im Hinblick auf die Vorlagen, die wir heute einbringen, geäußert worden sind, nicht gerechtfertigt sind:

Erstens. Wir kriminalisieren nichts, was sozial völlig üblich ist. Auch in Zukunft dürfen Eltern ihre Kinder nackt beim Planschen im Urlaub am See fotografieren. Sie erfüllen schon den entsprechenden Tatbestand nicht; denn sie handeln nicht unbefugt. Ich will in Bezug auf das eine oder andere, was ich in den letzten Tagen gelesen habe, was zukünftig auf Kindergeburtstagen oder Kindergartenfesten nicht mehr möglich sein soll, hinzufügen: Bei manchen, die diese Kritik verfasst haben, habe ich wirklich den Eindruck, dass sie schon lange nicht mehr auf einem Kindergeburtstag oder in einem Kindergarten gewesen sind. Die Lebenswirklichkeit ist eine völlig andere.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Zweitens. Es muss auch niemand befürchten, dass es in Zukunft eine Flut von Ermittlungen geben wird.

(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Doch!)

Dieser Straftatbestand ist ein Antragsdelikt. Das heißt, die Staatsanwaltschaft wird in der Regel nicht von sich aus aktiv werden, sondern nur auf Antrag.

Drittens. Es ist nichts unbefugt – auch das sei in aller Deutlichkeit gesagt –, was etwa vom Presserecht oder von der vom Grundgesetz garantierten Pressefreiheit abgedeckt ist. Die Presse kann und darf selbstverständlich auch in Zukunft von Prominenten unvorteilhafte Bilder schießen und sie abdrucken. Sie handelt nämlich in solchen Fällen nicht unbefugt, sondern sie nimmt eine wichtige Gemeinschaftsaufgabe wahr. Ihre Freiheit wird durch diese Vorschriften in keiner Weise eingeschränkt.

Mit dem Gesetzentwurf ziehen wir auch die Konsequenz aus dem technischen Wandel, der sich in den letzten Jahren ergeben hat. Digitalfotos können heute mit einem Klick weltweit im Internet verbreitet werden. Manche Handyfotos werden sogar automatisch im Netz gespeichert. Wenn solche Fotos erst einmal veröffentlicht sind, kriegt man sie aus dem Internet kaum noch heraus. Sie bleiben über Jahre zugänglich, und dies zulasten von Kindern, Heranwachsenden und auch erwachsenen Personen.

Deshalb meine ich, Kinder haben ein Recht darauf, dass sie dagegen geschützt werden. Und die technische Entwicklung macht es notwendig, dass der Schutz unserer Kinder früher einsetzt, als das bisher der Fall gewesen ist. Ja, wir erwarten mehr Sorgfalt und Verantwortungsbewusstsein von allen im Umgang mit Kindern und ihren Rechten. Ich finde, das ist nicht zu viel verlangt.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich korrigiere: Das war natürlich der Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz, damit das vollständig festgehalten wird.

Bevor wir mit der Debatte fortfahren, gebe ich Ihnen die von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelten Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen bekannt.

Erste namentliche Abstimmung zum Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/2612 zur Beratung der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Fraktion Die Linke „Soziale, ökologische, ökonomische und politische Effekte des EU- USA Freihandelsabkommens“: abgegebene Stimmen 586. Mit Ja haben 114 Kolleginnen und Kollegen gestimmt, mit Nein 466, 6 haben sich enthalten. Der Entschließungsantrag ist damit abgelehnt.

Zweite namentliche Abstimmung zum Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/2611 zur Beratung der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage „Soziale, ökologische, ökonomische und politische Effekte des EU-USA Freihandelsabkommens“: Daran haben 576 Kolleginnen und Kollegen teilgenommen. Mit Ja haben 110 gestimmt, mit Nein 460, und 6 haben sich enthalten. Der Entschließungsantrag ist abgelehnt.

Dritte namentliche Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen „Für fairen Handel ohne Klageprivilegien für Konzerne“: Hieran haben 581 Kolleginnen und Kollegen teilgenommen. Mit Ja haben 460 gestimmt, mit Nein 119, 2 haben sich enthalten. Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen.

Wir kommen nun zurück zur Debatte zum Tagesordnungspunkt 5. Das Wort hat die Kollegin Halina Wawzyniak für die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3909534
Wahlperiode 18
Sitzung 54
Tagesordnungspunkt Änderung des Strafgesetzbuches - Sexualstrafrecht
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