25.09.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 54 / Zusatzpunkt 6

Heike HänselDIE LINKE - Aktuelle Stunde zur Flüchtlingskatastrophe an der türkisch-syrischen Grenze

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Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Situation an der syrisch-türkischen Grenze ist dramatisch. Deshalb hat meine Fraktion diese Aktuelle Stunde beantragt. Zehntausende in der Region, vor allem viele Kurden und Kurdinnen, sind auf der Flucht. Ich war am Sonntag selbst vor Ort und konnte mit eigenen Augen sehen, wie das Erdogan-Regime die Grenze zu Syrien für kurdische Flüchtlinge, Familien und Kinder, die mit ihrem Hab und Gut am Stacheldrahtzaun saßen, geschlossen hatte. Sie fliehen vor den Terrorgruppen des „Islamischen Staates“. Die Dorfbevölkerung auf der türkischen Seite, die helfen wollte, wurde mit Tränengas beschossen. Die Nahrungsmittel und die Zelte, die sie mitgebracht hatten, wurden von türkischen Sicherheitskräften zerstört.

Wer vor Ort ist, bekommt ein ganz anderes Bild, als es hier in den Medien vermittelt wird, auch was die große Anzahl von Flüchtlingen betrifft, die jetzt angeblich über die Grenze gekommen sind. Ich habe sie nicht gesehen. Es gibt zweifelsohne sehr viele Flüchtlinge, aber sie werden eben bei weitem nicht alle über die Grenze gelassen. Das ist in dieser Notsituation schlichtweg kriminell. Die Türkei muss die Grenzen für diese Flüchtlinge öffnen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir brauchen viel mehr humanitäre Hilfe. Die UN oder der Rote Halbmond waren in dieser Region nicht vor Ort. Die gesamte Hilfe in der Grenzstadt Suruc wird ausschließlich von der kurdischen Zivilbevölkerung in der Türkei geleistet, die zum Teil selbst sehr arm ist.

Was hat eigentlich die Bundesregierung gemacht? Ich habe von Ihnen zu dieser Situation vor Ort nichts gehört. Sie haben nicht einmal den türkischen Botschafter einbestellt, um gegen diese Politik zu protestieren. Ich finde das beschämend.

(Beifall bei der LINKEN)

Haben Sie ernsthaft versucht, auf die Türkei einzuwirken, damit diese ihre Unterstützungspolitik für den „Islamischen Staat“ aufgibt und stattdessen die Grenzen für die kurdischen Flüchtlinge öffnet? Es häufen sich nämlich Berichte, zum Beispiel auch in der New York Times, über Rekrutierungen des „Islamischen Staates“ in der Türkei, von Krankenhausaufenthalten. Uns liegen zum Beispiel Berichte vor, dass IS-Kämpfer aus Kobani mittlerweile in Urfa im Krankenhaus behandelt werden, oder über Ölverkäufe des „Islamischen Staates“ an die Türkei usw. Dass die türkische Grenze für IS-Kämpfer offen ist, aber für Flüchtlinge nicht, das ist inakzeptabel.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Bundesregierung betreibt eine Politik des organisierten Wegschauens. Hier könnten Sie internationale Verantwortung zeigen. Aber Sie übersetzen das ja nur noch mit Militärinterventionen, Waffenlieferungen und imperialer Einflussnahme. Sie, Herr Roth, waren in Zypern, um die Beitrittsverhandlungen der EU mit der Türkei voranzutreiben. Ich bitte Sie wirklich: Erklären Sie dies einmal der Öffentlichkeit hier im Land. Sie wollen ausgerechnet jetzt die Beitrittsverhandlungen mit dem Erdogan-Regime intensivieren, das diese Mörder des „Islamischen Staates“ unterstützt hat und offenbar weiterhin unterstützt. Ich frage mich: Sieht so Ihre angeblich wertegeleitete Außenpolitik aus? Wir brauchen endlich einen Kurswechsel in der Außenpolitik.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir brauchen eine Außenpolitik, die Verantwortung ernst nimmt und eben nicht mit den Sponsoren und Unterstützern des „Islamischen Staates“ paktiert. Deshalb fordern wir auch, dass Rüstungsexporte in die Türkei gestoppt und die dort stationierten Patriot-Raketen und Bundeswehrsoldaten abgezogen werden. Das wäre ein deutliches Zeichen.

(Beifall bei der LINKEN)

Stattdessen kriminalisieren Sie hier in Deutschland weiterhin ausgerechnet die kurdischen Organisationen, wie zum Beispiel die PKK, die im Norden Syriens und im Irak nachweislich die einzigen waren, die die verfolgten Jesiden verteidigten und die sich jetzt in Syrien gegen den „Islamischen Staat“ selbst verteidigen. Die Linke setzt sich für ein Ende des PKK-Verbots in Deutschland ein. Das ist überfällig.

(Beifall bei der LINKEN)

Die USA bombardieren nun völkerrechtswidrig Syrien im Verbund mit den Golf-Diktaturen, ausgerechnet mit den Staaten, die zu den Brandstiftern im Nahen Osten gehören. Die Kanzlerin rollt dem blutigen Diktator Katars auch noch den roten Teppich in Berlin aus. Das ist wirklich nicht mehr zu übertreffen. Wir lehnen auch diese US-Bombardierungen ab. Sie bedeuten neue Opfer, neue Fluchtbewegungen. Das ist für uns keine Lösung.

(Beifall bei der LINKEN)

Die katastrophale Situation im Nahen Osten mit diesen Millionen von Flüchtlingen, mit all dem Elend, ist nämlich die Folge der zahlreichen militärischen Interventionen in der Region: allen voran der Irakkrieg, der die Menschen dort ethnisch und religiös gespalten hat, und die Politik der Destabilisierung des syrischen Staates, diese massive Einmischung von außen, diese Regime-Change-Politik. Nun werden Sie diese Geister, die Sie riefen, nicht mehr los. Den Preis zahlen die Menschen in der Region. Wir haben diese Politik von Anfang an abgelehnt.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir fordern eine außenpolitische Wende, verantwortungsvolle, friedliche Politik, die alle Akteure in der Region einbezieht – auch den Iran, auch Russland –, die die Zivilbevölkerung im Rahmen einer neuen Syrien-Initiative für eine politische Lösung mit einbezieht, die für eine umfassende politische Lösung streitet. Dann kommen wir vielleicht dazu, dass Menschen nicht mehr aus ihren Ländern fliehen müssen.

Danke.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Kollege Dr. Johann Wadephul hat für die CDU/ CSU-Fraktion das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3909646
Wahlperiode 18
Sitzung 54
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde zur Flüchtlingskatastrophe an der türkisch-syrischen Grenze
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